21. März 2010

Die Fackel brennt wieder

 

In der besinnlichen Zeit des vergangenen Jahres jagte Roberto J. De Lapuente seinem treuen Publikum einen kalten Schauer über den Rücken, verkündete er doch am 22. Dezember auf seiner Seite „ad sinistram“ im Untertitel, es habe sich ausgebloggt. Während der Hinweis in eigener Sache das befürchtete Ende seiner prominenten Online-Kolumne entkräftete, indem er stolz auf sein erstes Buch bei dem kleinen, unabhängigen Renneritz-Verlag hinwies, zeigen die Kommentare, welchen Rang sich der Sohn eines spanischen Einwanderers durch kontinuierliche Qualität erarbeitet hat. Der zweite Schreck folgte wenige Tage später in einem Hinweis auf sein Geleit, das tatsächlich erst am 3. Januar 2008 geschrieben war. Weil ich zu den mittlerweile 600.000 regelmäßigen Besuchern seines Manuskripts mit digitalen Mitteln gehörte, war ich davon ausgegangen, dass er schon längere Zeit fleißig gewesen war. Der rasante Aufstieg mit dem Gipfel von 150.000 im ersten Jahr erstaunte mich dann doch.

Der erste Eintrag seines Blogs, das den Titel der Online-Kolumne erläutert, bildet in dieser Hinsicht sein politisches Manifest und verdient es, hier ganz zitiert zu werden:

 

„ad si | nis | tram (lat.); (nach links) [milit. schwenkt links, links um]

In einem Staat, der stufenweise eine Überwachungs- und Polizeigesellschaft heranzüchtet, der gezielt repressive Mittel einsetzt gegen diejenigen, die ihm nicht genehm sind, der international zur früheren Großmannssucht neigt, der die Rolle des Steigbügelhalters der Wirtschaft perfektioniert hat, ist es Gebot des aufgeklärten Menschen, eine linke Gegenöffentlichkeit aufzubauen. Eine Gegenöffentlichkeit, die den herrschenden Gedanken - und damit den herrschenden materiellen Verhältnissen - den Absolutheitsanspruch raubt und differente Sichtweisen anbietet.

Daher: ad sinistram - links um!“

 

Diese Markierung in den Weiten des globalen Netzes klingt zunächst martialisch, in der konkreten Umsetzung wird jedoch erkennbar, dass De Lapuente ein feines Garn spinnt und jedes seiner Worte, und erst recht diejenigen seiner Gegner, auf die Goldwaage legt. Die fehlenden Kommentare der frühen Eintrage beweisen meines Erachtens hinreichend seine Stellung als einsamer Rufer in der Wüste, der durch Querverweise zu anderen unabhängigen Stimmen in Blogs sich seine Aufmerksamkeit hartnäckig erwerben musste. Sein politischer Standpunkt ist aus meiner Perspektive – glücklicherweise – nur die halbe Miete, denn der 1978 geborene Ingolstädter lockt mit weiteren Qualitäten, die seine kurzen Texte über die reine Kommentierung des Tagesgeschehens erheben und damit über das Niveau der bekannteren Edelfedern des (gut bezahlten) Feuilletons der sogenannten ‚Qualitätsmedien‘ hinaus.

In einem frühen Beitrag (der sich im Buch findet) gesteht er, dass er sich als Migrant nach dem Tod seines Vaters durch Assimilation an nationale Patrioten als ‚besserer Deutscher‘ zu bewähren versuchte. Der Selbstbetrug scheiterte jedoch an Merkmalen, durch die er ständig auf seine Makel zurückgeworfen wurde, indem ihm zu erkennen gegeben wurde, dass er eben nicht dazugehörte, selbst wenn er besser Deutsch sprach und schrieb als die Autochthonen – wesentlich besser. Ginge es nach den Sonntagsreden der Lautsprecher der sogenannten ‚Leitkultur‘ müsste sich De Lapuente inmitten der Gesellschaft wiederfinden; seine lieben Mitmenschen weisen ihm dennoch einen Platz als Außenseiter am Rande zu: Unzugehörig, wie der Titel seines Buchdebüts lautet. Durch seine spitze Zunge und sein rhetorisches Talent wendet er die vermeintlich mindere Position in einen Vorteil um.

Roberto J. De Lapuente ist in meinen Augen ein Meister der kleinen literarischen Formen. Das mögliche Publikum begrenzt sich durch seine Ansprüche an korrekte Grammatik und ein elaboriertes Vokabular, das er mit Kenntnissen philosophischer Klassiker wie Marcuse, Horkheimer und Arendt unterfüttert, mit eigenen Erfahrungen auspolstert und mit bitterböser Rollenprosa im Konjunktiv in geschmeidige Kritik verwandelt. Die lateinischen Überschriften der Rubriken zeigen, dass sich De Lapuente nicht anbiedert, indem er das Niveau auf den kleinsten gemeinsamen Nenner absenkt. Nein, er bleibt ein humanistischer Bildungsbürger in der außerparlamentarischen Opposition, der den angepassten Parteien des Status quo nichts abgewinnen kann und seine Vorbilder lieber in den anarchistischen Modellen der Pariser Kommune von 1871 oder dem befreiten Barcelona im Spanischen Bürgerkrieg findet, bevor die Metropole durch den tödlichen Zwist linker Gruppen zu einer leichten Beute des Generalissimo Franco wurde (siehe George Orwells „Mein Katalonien“).

Seine gedrechselten Hypotaxen mögen auf den ersten Blick für den leichten Genuss zwischendurch nicht geeignet sein; Interviews wie das auf Telepolis zeigen jedoch, dass sein Zungenschlag authentisch ist, zumal er im Gespräch ähnlich komplex bleibt. Seine Texte kommen am besten bei Lesungen zur Geltung. Mit seiner Kunstfigur „Roberto J. De Lapuente“ mag er politisch-kabarettistischen Größen wie Volker Pispers, Georg Schramm, Urban Priol, Josef Hader und Wilfried Schmickler konkurrieren, seine Glossen und Grotesken, seine Polemiken und Pamphlete erfordern hingegen unbedingt ein feines Gespür, um jegliche Nuance mitzubekommen. Mehrfaches Lesen fordert er geradezu selbstbewusst heraus! Mit seinem Debüt in Buchform zeigt er, dass er das Talent hat, jene Tradition fortzusetzen, die über „Die Fackel“ mit dem feinhörigen Karl Kraus und über den „Hessischen Landboten“ mit dem widerspenstigen Georg Büchner verbunden ist. Bislang durfte er in seiner ungeliebten, weil missverstandenen Rolle als Sachverständiger im Bereich Web 2.0 die Parlamentarier beraten, was ihm nicht besonders behagte. Gegen einen Kotau vor den herrschenden Mächten und den Charaktermasken ihrer Dienstklassen in Politik und Medien sträubt er sich unnachgiebig, wodurch er zu einem unbestechlichen Zeugen der Gegenwart wird.

Meines Erachtens besteht das einzige bedeutende Risiko in der Selbst-Bestätigung einer ‚geschlossenen Gemeinde‘, in der er sich lediglich an diejenigen richtet, die seine Meinungen teilen und nicht mehr überzeugt werden müssen. Dieser Gefahr setzt sich jeder Mensch aus, der an die breite Öffentlichkeit herantritt, bei „ad sinistram“ lässt sich der Lackmustest allerdings auf einen Begriff verengen, der nach meiner Erfahrung die Spreu vom Weizen scheiden muss: „Taliban“ und „Faschismus“ sind zu inflationär verwendeten Reizwörtern geworden, die je nach Nutzer mit teilweise sich widersprechenden Bedeutungen und Meinungen aufgeladen sind. Die erstgenannte Variante geht De Lapuente leicht von der Hand, da er ihn selten und im engsten Sinne verwendet, während er „Faschismus“ als Grundpfeiler des kapitalistischen Machtgefüges großzügig definiert und in den gegenwärtig herrschenden Strukturen Parallelen zu historischen Vorgängern wie dem Nationalsozialismus mit seiner aggressiven Kriegspolitik, der gezielten Hetze auf Mitmenschen und der Spaltung der Gesellschaft in bessere oder mindere Bürger erkennt. Das patriotische Abfeiern eines gespenstischen Antifaschismus in hohlen Gedenktagen ist ihm zuwider; lieber wehrt er den Anfängen, die ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen lassen. Zu einer Schlüsselskizze (seines Buches) wird seine Analyse „Hitler als Vorläufer“. Er will nicht auf eine banale Wiederholung des menschenverachtenden Regimes als Diktatur warten, durch die sich die demokratisch verfassten Parteien de facto durch eigene Ermächtigung pauschal von möglichen Vergleichen selbst entschuld(ig)en. Mit Carl Amery (und Theodor Adorno) teilt er die Ansicht, dass sich die Mechanismen faschistischer Herrschaft sogar mit demokratischer Fassade durchsetzen lassen, solange Demagogie, Demoskopie und Demografie im Einklang die Bevölkerung einschüchtern. Die Hitlerformel besteht demnach aus drei, einander ergänzenden Kriterien:

 

„1. [dem] Bekenntnis zur Geschichte als Naturgeschichte,

2. [der] Feststellung, dass es nicht für alle reicht, und

3. [der] Übernahme der Verantwortung dafür, wer wie an den knapper werdenden Ressourcen des Planeten und damit an der Zukunft der Menschheit beteiligt werden kann und soll.“ (Seite 119)

 

Mit erschreckender Akribie weist De Lapuente täglich nach, wie jedes der drei Kriterien seit Jahrzehnten unter Schlagworten wie ‚Globalisierung‘, ‚Freiheit‘, ‚Eigenverantwortung‘ und ‚lebenslanges Lernen‘ durch wiederholte Kampagnen durchgesetzt wird. Entscheidungsträger lenken dadurch von ihren Gestaltungsmöglichkeiten ab, indem sie behaupten, es gäbe keine Alternativen zum Kapitalismus (TINA-Doktrin nach Margaret Thatcher). Auf diese Weise wird von gezielten Manipulationen zum Nachteil des größten Teils der Bevölkerung abgelenkt, während minderwertige Positionen auf die Benachteiligten abgewälzt werden, die diese angeblich selbst verschuldet haben sollen. Der Dank für die brutale Verachtung der Oberen Zehntausend besteht in grausamen Fantasien der Vernichtung all jener, die sich dem Druck des Nützlichen nicht mehr zu beugen und keinen Mehrwert für die Aktienbesitzer und Investoren zu erwirtschaften vermögen.

 

Britta Madeleine Woitschig (03/10)

 

Roberto J. De Lapuente: Unzugehörig. Skizzen, Polemiken & Grotesken, Sandersdorf: Renneritz Verlag 2009, 175 Seiten, ISBN 978-3-940684-10-3

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