11. März 2010

Ein Schuss im Dunkel

 

Die Revolution frisst ihre Kinder. Die Beatliteratur machte da keine Ausnahme. Der amerikanische Dichter Louis Gordon war ein Nischenkind. Ein Aufständischer, der gegen alles und jeden aufbegehrte. Einer, der sich am Ende selbst auffraß, verdaute und in seine kleinen dreckigen Gedichte wieder ausspuckte.

 

Louis Gordon schrieb knappe und harte Gedichte, die vom Leben am Rande der Gesellschaft erzählen. Denn dort lebte er. Immer am Rand einer Klippe stehend. Immer auf dem Sprung. Immer mit einem Schrei im weit geöffneten Mund.

In einem seiner zahllosen Briefe, die bis heute von dem Dichter und Verleger Lawrence Ferlinghetti aufbewahrt und schließlich auch unter dem Titel „After the bomb“ bei City Lights herausgegeben wurden, schreibt Gordon über seine Gedichte: „Ich sehe mich mehr als so eine Art Maler. Ich sehe diese Dinge dort draußen. Die Einsamkeit. Ein Mann, der sich tot säuft. Das alles existiert. Ich male es mit wenigen Strichen auf. Verflucht. Ich habe es zumindest versucht. Und das ist doch schon mal was.“

Seine Gedichte sind prosaische Miniaturen in dunklen Farben, durchsetzt von einigen Spritzern aus Neonlicht. Er erzählt von einsamen Männern in billigen Absteigen, Nutten, die in einem Hotelzimmer auf ihren Exmann warten, Säufern, die bei einem Drink von einer Zukunft ohne Whiskey träumen, und von Killern, die Liebesschnulzen und das Leuchten in den Augen kleiner Kinder mögen, weil sie dabei zum ersten Mal ihren eigenen Herzschlag spüren.

Seine Gedichte sind prall mit Leben erfüllt. Denn darum geht es. Um das Leben. Sie wandern auf der scharfen Kante einer Rasierklinge, und sie erzählen immer wieder vom Scheitern. Das Scheitern ist sein großes Thema. Vielleicht weil er selbst ständig scheiterte und sich viel zu früh selbst vertilgte. Kannibalismus auf Louis-Gordon-Art.

Louis Gordon wurde nur vierzig Jahre. Man fand ihn am 20. Juni 1967 mit einer Überdosis Heroin unter einer Brücke. Er war ein Kind seiner Zeit. Ein Dichter, der keine Grenzen kannte. Nicht im Werk, und nicht im Leben.

 

Warten

 

Sie sitzt

auf dem Bett,

massiert sich

die Fußknöchel,

hat neben sich

einen Drink.

Sie fühlt sich alt.

Die besten Zeiten

sind nicht vorbei,

weil sie immer noch

auf die besten

Zeiten wartet.

Sie räuspert sich und

blickt zum Spiegel rüber.

Sie sieht sich

an und flüstert:

„Wird schon.

Es wird

schon werden.“

Sie greift nach dem Glas

und nimmt einen Schluck.

Sie schämt sich,

weil sie sich

inzwischen

schon selbst belügt.

 

Seine ersten Gedichte veröffentlichte Louis Gordon in kleinen Undergroundzeitschriften. Gegen Ende seines Lebens erschienen die Gedichte regelmäßig in der Los Angeles Free Press. Er hatte seine ersten Fans. Der Autor Charles Bukowski schrieb auf seine ganz eigene Art über Gordon. „Ich mochte die Schreibe von dem kleinen Scheißer. Er hatte wirklich was drauf. Es ist schade um ihn.“ (Aus „Last Poems and other works“)

Gordon war schon als junger Mann Alkoholiker. Schwerstalkoholiker. („Das ist nichts für Weicheier. Das Saufen verlangt alles von dir. Du musst dran bleiben. Und ich blieb dran.“)

Louis Gordon war die meiste Zeit über betrunken, wankte durch die Bars und verkaufte seine Gedichte für einen lausigen Drink. Laut Ferlinghetti gab er „ … ein erbärmliches Bild ab. Der Junge war wirklich talentiert. Und er achtete überhaupt nicht auf sich. Er wollte sterben. Das sah man in seinen Augen. Da fehlte nämlich etwas. Sie waren leer. Und daran erkannte man es.“ (Aus „Young and angry“)

Schließlich wurde die Black Sparrow Press auf ihn aufmerksam. „Some Girls“ (dt. „Einige hübsche Mädchen mit Prothesen“) wurde seine erste und einzige Buchveröffentlichung. In dem Band findet sich unter anderem das Gedicht „Kühle Gesichter“.

 

Kühle Gesichter

 

Keine Ahnung,

woran es liegt.

Vielleicht am Ventilator

oder der Klimaanlage.

Vielleicht auch

an einer kühlen Brise,

die sich

vom Meer kommend,

bis hierher

verirrt hat.

Sieh sie dir doch an.

Sie verziehen

keine Miene.

Blicken eiskalt auf

die Eiswürfel ihrer Drinks.

Keiner

spricht ein Wort.

Es gibt nichts

zu sagen.

Und sie sagen nichts.

Starren in den Spiegel

hinter dem

Barmann und

erschrecken sich vor

ihren eigenen

kühlen Gesichtern.

 

Jack Kerouac wurde auf Gordon aufmerksam und bat Allen Ginsberg, dem jungen Dichter unter die Arme zu greifen. Zu spät, wie sich leider herausstellen sollte. Gordon hatte sich einer weiteren Droge zugewandt. Heroin. Er hing an der Nadel, und es sollte sich nichts mehr daran ändern. Das Heroin wurde zu seinem einzigen Freund, zu seinem einzigen Berater, und schließlich auch zu seinem Todesurteil.

Allen Ginsbergs Lover Peter Orlowski, der Gordon auf einer Lesung in San Franzisco kennen lernte, erinnerte sich „ … an einen jungen fahrigen Typ. Hübsches Kerlchen. Der hätte einem schon gefallen können. Er schrieb diese düsteren Gedichte. Sie waren wirklich seltsam. Es gab nie Hoffnung in den Gedichten. Ich glaube seine Gedichte waren wie er: Genial, aber auch verloren.“

In einem seiner letzten Gedichte mit dem Titel „Fremdenzimmer“ ahnt er wahrscheinlich bereits sein eigenes Ende voraus.

 

Fremdenzimmer

 

Er ist gerade erst

in der Stadt angekommen.

Es ist eine altmodische Stadt.

Er läuft die staubige

Hauptstraße

entlang und lauscht.

Nichts.

Und das verwirrt ihn

am meisten.

Die Nacht ist dunkler als

jedes Dunkel,

das er bisher kannte.

Er setzt Fuß vor Fuß

und sieht sich so beim

Gehen zu.

Eine ganz neue Erfahrung.

Die Hecken sind ordentlich geschnitten.

Die Häuser weis angestrichen.

Und plötzlich ruft

ihn ein Licht zu sich.

Das Haus ist heller erleuchtet

als alle anderen.

Draußen hängt ein Schild:

Zimmer zu vermieten.

Er bleibt stehen, sieht hin,

fühlt sich an seine Kindheit erinnert,

an warmen Kakao, Plätzchen und eine warme

Decke.

Er lächelt und dann

geht er weiter.

Immer weiter.

An den Häusern vorbei.

Der Nacht entgegen, die

ihn schon bald

verschlucken wird.

 

In seinem inzwischen berühmt-berüchtigten Essay „Die Verlorenen der geschlagenen Generation“, schrieb G. Corso: „Es gab einige Dichter, die für unsere neue Bewegung rasch verloren waren. Klar, Kerouac gehörte dazu, weil er mit dem Ruhm nicht klar kam. Er soff sich zu Tode. Genau wie dieser junge Kerl. Louis Gordon. Ich mochte seine Gedichte. Diese Gedichte spielten kein Spiel. Sie waren echt. Sie waren authentisch. So etwas findest du selten. Sehr selten. Ich glaube, er schrieb diese Gedicht über eine Nutte, die auf ihren Exmann wartet. Das gefiel mir gut. Sehr gut sogar.“

 

Ex

 

Das Motel ist schäbig.

Sie sitzt traurig

vor dem Fernseher.

Sie hat

mit ihrem Ex telefoniert.

Sie hat

sogar am Telefon geweint.

Er käme vorbei.

Das hat er gesagt.

Also sitzt sie nun hier

und wartet.

Bei jedem Geräusch

zuckt sie zusammen.

Sie wartet Stunde

für Stunde.

Irgendwann schläft sie ein.

Als sie spät in der Nacht erwacht,

klopft es an der Tür.

Sie springt auf,

reißt die Tür

mit einem Lachen auf.

Es ist ihr

Ex-Zuhälter.

Er murmelt:

Das Lachen wird

dir gleich vergehen.

Er schlägt ihr die

Nase blutig.

Sie kippt ins Zimmer

und lacht mit einem

blutigen Gesicht

die Wand an.

Sie lacht

die ganze Nacht.

Und dann haucht sie

ein letztes Mal

seinen Namen.

 

Klar ist, Louis Gordon sollte nicht nur eine Fußnote der Literaturgeschichte bleiben. Er gehört eindeutig in eine Ahnengalerie mit Burroughs und Kerouac. Es ist an der Zeit, das Werk dieses großen Dichters wieder neu zu entdecken. Auch wenn Gordon selbst das nicht gewollt hätte. Er hätte versucht, einen Drink zu schnorren und gemurmelt: „Verpisst euch!“

Und dann?

Vielleicht hätte er sich unter eine Brücke zurückgezogen, hätte sich eine Spritze gesetzt, um dann ein Gedicht in den Wind zu murmeln. Diese Windgedichte sind leider auf immer verloren.

Die wenigen Gedichte, die es von Gordon gibt, und die nicht nur dem Wind gehören, sollten endlich wieder gelesen werden.

 

Guido Rohm

 

 

Bücher von Louis Gordon:

 

Some Girls (Black Sparrow Press, 1966)

 

Einige hübsche Mädchen mit Prothesen (Danon Verlag, 1972, ins Deutsche übersetzt von Ute Paulsen)

 

Trockeneis-Blues (Ausgewählte Gedichte) (Danon-Verlag, 1973, ins Deutsche übersetzt von Ute Paulsen)

 

After the bomb (Letters from Hell)(City Lights Press, 1981)