2. März 2010

Schnittmenge « Kunst »

 

Seinen einzigen Bestseller, Femmes, aus dem Jahr 1983, kann man in vielerlei Hinsicht als bissigen Kommentar zu dem verstehen, was später als „political correctness“ bekannt geworden ist. Feminismus, cultural und gender studies haben ihre Spuren hinterlassen. Man muss nicht viel von Sollers gelesen haben, um zu wissen, dass er es sich nicht nehmen lässt, pikant zu schreiben. Er hält nichts von Glättungen. Eine der Schreibtechniken von Sollers ist die der Anverwandlung. Besonders bemerkbar macht sich das in seinen zahlreichen „Biografien“ (Vivant Denon, Casanova, Nietzsche). Es sind Parallelgeschichten mit wechselnden Andockstationen.

 

Mozart wird also nicht, wie in Femmes perhorresziert, didaktisch in seiner Zeit verortet, anders gesagt: als „Fall ,präsentiert’“, sondern als sollers’scher Anlehnungstypus gezeichnet. Wer die Schwäche des Franzosen für Namen und Pseudonyme kennt, weiß, was Sollers (alias Joyaux, der „ganz aus Kunst“ aufersteht) aus dem Namen „Mozart“ macht. „Mozart“ und „Sollers“ teilen den namentlichen Bezug auf die Kunst (die zweite Silbe), im Französischen schwingt bei Mozart in der ersten Silbe das Wort „mot“ mit, im Plural, das „z“ dient hier als Bindungskonsonant. Sollers präsentiert uns Mozart also als Wortkünstler, und wenn man bedenkt, mit welcher Lust Sollers aus den Briefen des Musikers vor allem an seine Frau zitiert, kann man dem nur beipflichten. Bei aller Drastik wünschte man für sich selbst gerne eine entsprechende Kanonade.

 

Sollers ist kein Musikwissenschaftler, er agiert überhaupt nicht als Wissenschaftler (was er noch nie getan hat), die „Präsentation“ vor allem der bekannten Opern hält sich vor allem an den Wortlaut, also an das Libretto, wobei er immer wieder betont, dass die Musik keine Illustration des Textes ist, sondern überhaupt erst seine eigentliche Inkarnation. Was Sollers unabhängig von Namensnachbarschaften an Mozart interessiert, ist natürlich die Genialität des Musikers, seine Unbeirrbarkeit, seinen Weg zu gehen, seine gute Laune (auch in schlechten Zeiten), seine gute Ehe mit Constanze, seine Unvergleichbarkeit und vor allem seine Leichtigkeit. Dieser letzte Zug teilt sich auch diesem Buch mit, in dem die unangenehmen Seiten Sollers’ sich erfreulicherweise in Grenzen halten. Das hat der Leser Mozart zu verdanken, so weit reichen manchmal Schatten. In ganz unangestrengtem Wechsel erfährt der Leser vom Leben Mozarts und von den musikalischen Erfolgen und Misserfolgen. Sollers ist in jedem Moment beteiligt. Jede seiner Biografien verfährt ja als Duplik.

 

Mozart wird also immer wieder aufgeladen mit Positionen, die zeitlich nachgelagert sind, Nietzsche, Rimbaud. Nach Mozart, besonders nach dessen letzter bedeutender Oper, der Zauberflöte, konstatiert Sollers einen radikalen Bruch, musikalisch gesprochen. Nach der Mozartschen Revolution die Gegenrevolution des 19. Jahrhunderts, das Sollers hasst (bis auf wenige Ausnahmen). Beethoven, nein, Wagner, noch viel weniger. Das Mysterium Mozarts ist anders als das (dumpfe) Pathos der Spätromantiker. Mit diesem Buch ist man Mozart nicht näher gekommen, aber man bekommt Lust darauf, seine Musik (wieder) zu hören.

 

Dieter Wenk (02-10)

 

Philippe Sollers, Mystérieux Mozart, Paris 2001 (Éditions Plon)


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