7. November 2003

Sex is crime

 

Als die Nouvelle Vague so ziemlich am Ende war, schenkte sie in Gestalt von Agnès Varda dem Publikum als Akt der Versöhnung den Film „Le Bonheur“ (deutscher Titel: Glück aus dem Blickwinkel des Mannes), das war 1964. Es ist ein völlig unironischer Film (deshalb ist der deutsche Titel auch irreführend) über das schwerste Thema überhaupt, Glück als positives Phänomen. Natürlich ging auch das daneben, kein Wunder, in Zeiten, wo Glück nicht nur mit Affirmation assoziiert, sondern von ihr ersetzt wurde. Der richtige Gassenhauer ist aber selbstverständlich nach wie vor das Glück, nicht die Affirmation. Manifeste gibt es trotzdem nur für letztere, sie ist leichter zu haben, leichter beschreibbar, sie lässt sich sogar politisch instrumentalisieren, muss sich aber deshalb den Schuh anziehen, doch nur ein Notbehelf zu sein.

In der letzten Dekade haben wir uns nicht nur im Kino, aber vor da allem, angewöhnt, Glück mit Sex gleichzusetzen. Das ist nicht ganz neu, aber die 90er Jahre haben das nur ganz explizit gemacht. Ohne Sex kein Glück. Der sexo-logische modus tollens könnte etwa so lauten: Wenn X Sex hat, ist er/sie glücklich. X ist nicht glücklich. Also hat X keinen Sex (gehabt). Manche Gestalten in Todd Solondz’ Film sind allerdings so stumpf, dass sie nichts merken, wenn sie Sex haben. Die meisten hier haben zwar Sex, aber allein, oder sie versuchen es alleine, sind aber noch nicht so weit – wie der elfjährige Bobby, der so ehrlich und naiv ist, seinen Klassenkameraden gegenüber zuzugeben, dass er noch nicht gekommen ist, und dann seinen Vater fragen muss, ob er nicht krank sei. Das Wort krank schwirrt einem den ganzen Film lang im Kopf rum, aber wer jetzt genau oder ausschließlich krank ist oder macht, weiß man auch am Schluss nicht, obwohl böse Sachen passiert sind. Bobbys Vater, der auch Bob heißt, ist Psychotherapeut, selbst in Behandlung und weniger in seine Frau verliebt als in kleine Jungs. In seinen Träumen säubert er Parks, allerdings mit einem Maschinengewehr, meist bringt er sich danach um, nicht aber in seinem letzten Traum. Übersetzt in die Wirklichkeit heißt das, dass er anfängt, sich zu outen, er kauft jetzt nicht nur Heftchen mit kleinen Jungs, zu denen er sich in seinem Auto einen runterholt, er wird aktiv und vergewaltigt zwei Klassenkameraden seines Sohns. Ob Bob junior sich das so richtig vorstellen konnte, als ihm sein Vater erzählt, dass er kleine Jungs gefickt hat? Oder ist er einfach nur verzweifelt, dass Daddy ihn ausgespart, verschmäht und sich nur einen runtergeholt hätte?

Mit purem Sex ist es nicht getan, das weiß auch Helen, eine Schwester von Bobs Frau Trish. Sie ist als Schriftstellerin erfolgreich, kriegt jeden Mann ins Bett, merkt aber, dass sie nicht „um ihrer selbst“ willen geliebt wird. Joy, die andere Schwester, hat mit dem Verlierer-Syndrom zu kämpfen. Das heißt, dass sie unglücklich ist völlig unabhängig davon, ob sie Sex hat oder nicht. Die sympathische, aber wohl völlig unrealistische Position, glücklich zu sein unabhängig davon, ob man Sex hat oder nicht, kommt in diesem Film nicht vor. Aber vielleicht ist Bob junior ein Kandidat dieses Utopischen, denn am Ende „kommt“ er, aber man sieht es ihm nicht an, und wenn der Hund alles aufgeleckt hat, ist eigentlich gar nichts passiert, eine Art unbefleckter Ausstoß, und wenn dann auch noch Frauchen nichts riecht, wenn sie ihrem Liebsten, also dem leckermäuligen Hund, die Lippen reicht, dann ist eigentlich das Urteil über den Sex gesprochen, und wir dürfen gespannt sein auf die nächsten logisch-sexologischen Übungen, die uns noch beschert werden.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Todd Solondz, Happiness, USA 1998</typohead>