2. März 2010

Farbwelten

 

Wie viele Farben gibt es eigentlich? Oder: Wie viele können wir überhaupt unterscheiden? Und die jeweiligen Namen dazu? Sehr viele fallen einem nicht ein. Man hat von Primärfarben und von Komplementärfarben gehört. Gab es die schon immer? In der Bibel hat man den Regenbogen nicht weiter spektral analysiert, und wer 40 Jahre lang in der Wüste umherirrte, besaß wohl nur ein sehr begrenztes Farbarsenal. „Die europäische Kultur kennt sechs Hauptfarben, die nämlich, die uns allen spontan einfallen: Blau, Rot, Weiß, Grün, Gelb und Schwarz“.

 

Ich muss gestehen, dass ich, anders als M. Pastoureau, nicht in der Lage bin, diesen spontanen Akt zu produzieren. Warum sechs Farben (Newton nannte noch sieben), und warum gerade diese, die dazu noch Weiß und Schwarz einschließen, von denen man auch heute noch nicht so recht weiß, ob sie überhaupt zu den Farben zählen. Die Farbauswahl, die die beiden Autoren für dieses kleine, sehr lesenswerte Buch getroffen haben, geht auf keinen Farbfundamentalismus zurück, man hat sich lediglich der Rückendeckung des Aristoteles versichert, dessen Klassifizierung für eine sehr lange Zeit die gängigste war mit dem Spektrum: weiß, gelb, rot, grün, blau, schwarz. Farbsymbolisch lässt sich mit dieser Auswahl in der Tat mehr anfangen als mit RGB oder CMYK. Und nur historisch lässt sich begreifen, dass zu bestimmten Zeiten bestimmte Farben nicht verwendet wurden, weil sie entweder nicht leicht herzustellen waren oder weil sie schlicht zu viel kosteten. Die Unterscheidung zwischen „reinen“ und „unreinen“ Farben, die zum Beispiel das Bauhaus getroffen hat, findet man bei Aristoteles vergeblich.

 

Keine Frage, dass eine solche Unterscheidung eine eigene Hierarchie mit sich bringt, Grün etwa, eine Mischfarbe (modern gesprochen), war weder bei Kandinsky noch bei Mondrian hoch angesehen. Dafür findet man bei Letzterem ausgiebig Gelb, eine Farbe, die noch im 19. Jahrhundert im Grunde nicht salonfähig war, so sehr haftete noch der Ruch des „Verräterischen“ und des Ausgegrenzten an ihr. „Im Gegensatz zu den anderen Grundfarben“, so Pastoureau, „die alle einen doppelten Symbolismus aufweisen, ist Gelb die einzige, von der nur der negative Aspekt übrig geblieben ist.“ Judas zum Beispiel ist auf Gemälden in der Regel in einen gelben Mantel gehüllt, obwohl es dafür keinen Farbbeweis in der Bibel gibt. Der (gelbe) Judenstern, der keine Erfindung der Nationalsozialisten ist, taucht am Ende des Mittelalters auf zwecks Kenntlichmachung und Ausgrenzung der Juden. Das Französische kennt den schönen Ausdruck „rire jaune“, also das gezwungene Lachen, das mit Safran in Verbindung steht, von dem man annahm, „dass es eine Art Wahnsinn auslöste, der mit einem unkontrollierbaren Lachen einherging.“

 

Mit der Farbe Braun hat Gelb lange den letzten Platz in der Farbhierarchie eingenommen. Auch heute noch sieht man nicht sehr viele Autos in diesen Farben. Was die Malerei angeht, passierte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Entscheidendes, die Palette hellte sich auf (Stichwort Impressionismus), einen Van Gogh ohne Gelb kann man sich nicht vorstellen. Die Post präsentiert sich in Gelb, der Radsport kennt das „Gelbe Trikot“ – hier muss man allerdings sagen, dass die alte Farbsymbolik von Zeit zu Zeit voll ins Reale durchschlägt, so schnell wird man die Geschichte nicht los. Dieses „Kleine Buch der Farben“ ist sehr unterhaltsam – Madame Simonnet stellt Fragen, die M. Pastoureau präzise und weitsichtig zugleich beantwortet – und am Ende werden einem über das eine oder andere Phänomen die Augen aufgegangen sein.

 

Dieter Wenk (02-10)

 

Michel Pastoureau/Dominique Simonnet, Le petit livre des couleurs, Paris 2005 (Éditions du Panama)