25. Januar 2010

Von wegen Stadt der Liebe

 

Gentleman bevorzugen zwar Blondinen, heiraten aber Brünette, lehrte die dunkelhaarige Anita Loos in den Wilden Zwanzigern. Die erfolgreiche Schriftstellerin musste es ja wissen, kannte sie das Milieu der Schönen und Reichen wie ihre eigene Handtasche. In den pulsierenden Metropolen des 19. Jahrhunderts wie London und Paris boten sich Chancen, entweder das eigene Glück zu finden oder sich einen Millionär zu angeln. Von drei Flappern in New York erzählt Loos denn auch in ihrem Theaterstück, dessen Verfilmung mit der singenden Marilyn Monroe wohl heute am bekanntesten sein dürfte: „Diamonds Are a Girl’s Best Friend“ seufzte die Blondine berechnend ins klobige Mikrophon. Obwohl sich die Zeiten wandeln , bleibt sich das Prinzip gleich, wie die Variationen bis in die Gegenwart beweisen. Aretha Franklin und Annie Lennox spornten ihre Schwestern an, selbst aktiv zu werden, was sich die jungen Generationen nicht zweimal sagen lassen. In „Sex and the City“ verbinden sich vier Frauen zu einer Clique, um ihr Konto zu füllen, berühmt zu werden und den Mann ihrer Träume zu finden, häufiger sind es lediglich drei – wie in „I love Paris“ von Maarten Vande Wiele und Erika Raven.

 

Der kleine Band, der in jedes Täschchen passt, ist mehr als eine Graphic Novel: Der Verleger und Gestalter Johan Stuyck legt mit diesem Schmöker ein wunderbares Kunstobjekt vor. Die stimmige Melange aus kitschigem Pink im Übermaß, einem 1950er Jahre Layout nach dem Geschmack jener Bekannten von Truman Capote, die bei dem Juwelier Tiffany frühstücken wollte, und einem festen Klettverschluss, adeln die bitterböse Erzählung mit einem schlechten Gewissen. Denn das Publikum muss sich bewusst den Widerstand der borstigen Härchen überwinden, um in das private Tagebuch der aufstrebenden Hope einzudringen, die an die Seine gekommen ist, damit sie als Top-Modell entdeckt werden kann.

 

Seit sie als erstes Kind im neuen Jahr geboren wurde, kennt sich Hope mit dem Bad in Blitzlichtgewittern aus, zumal sie seither einen Miss-Titel nach dem nächsten gewinnt. Bei der Rückfahrt von einem dieser Triumph endet ihre Glückssträhne, da ihr Vater den Autounfall nicht überlebt und ihr Gesicht fortan entstellt ist. Im Vertrauen auf ihre wohlgeformte Figur lässt sich Hope vom Schicksal nicht entmutigen, vielmehr packt sie die Gelegenheit beim Schopfe und fährt als junge Erwachsene in die Stadt der Liebe und der Mode: Paris. Um sich eine günstig gelegene Wohnung leisten zu können, mietet sie sich in der WG zweier Mädchen ein, die ähnliches vorhaben. Faith kellnert in einem Restaurant, bis sie ihren Durchbruch als Sängerin hinter sich hat, und die Stripperin Chastity aus dem Crazy Horse mischt sich bei Partys und Vernissagen unter die Oberen Zehntausend, um sich ihren Mr. Right zu angeln, den sie in dem alten, im Rollstuhl sitzenden Minister Maurice Bardot zu finden glaubt. Kaum eingezogen bewirbt sich Hope mit dem Antlitz eines Quasimodo bei der Agentur ihres Idols, Fashionista Models von Regine Démonico, bei der sie gleich splitterfasernackt vorsprechen darf, damit die Chefin an den richtigen Stellen zugreifen darf …

 

Hoffnung, Treue und Keuschheit – dieses blasphemische Pastiche der christlichen Trias kündet von einer ätzenden Farce, die weniger alttestamentarisch  als eine gallige Revue ist. Obwohl das Gerüst der leichten Unterhaltung mit überspitzten Klischees durchsetzt ist, wirkt das Haifischbecken der gnadenlosen Konkurrenz glaubwürdig. Der pointierte Retro-Look täuscht: Was zunächst an die pittoresken Trickfilme eines Friz Freleng erinnert, der sich mit dem Pink Panther unvergesslich machte, entlarvt sich als schwarzhumorige Lektüre für Erwachsene. Raven und Vande Wiele scheuen wie Robert Altman in „Prêt-à-Porter“ oder die Comic-Satiriker Philippe Foerster und Lelong vor keiner Gemeinheit zurück, solange sie die Zustände treffend beschreibt. Die Note politisch unkorrekt für diese Abrechnung mit postmodernen Frauenbildern wäre schmeichelhaft.

 

Wer ist besser geeignet, feministische Trugbilder über das eigene Geschlecht zu entlarven als eine Autorin mit feministischer Vergangenheit? Erika Raven war 1986 eine Pionierin, eine der ersten Frauen im niederländisch-flämischen Comic, deren Serien mit Hugo Pratt verglichen und mit dem Comicpreis Bronzen Adhemar prämiert wurde. Weil sie trotzdem damit auf keinen grünen Zweig kam, zog sie sich aus dem Metier zurück, sicherte sich ihren Lebensunterhalt als Verkäuferin, während sie ihre kreativen Energien für Gemälde und Romane nutzte. Ihr letztes Buch kann quasi als Vorarbeit der Graphic Novel betrachtet werden: „Het kreng, de ontmaskering van de moderne carrièrevrouw“ – die Demaskierung der modernen Karrierefrau. Ihr zur Seite steht der deutlich jüngere Maarten Vande Wiele, der sich mit seinen Geschichten über Femmes fatales im Stile von Roald Dahls und Ronald Searles Klassiker über die garstigen Zöglinge der Mädchenschule St. Trinians etabliert hatte.

 

Zum Verschenken (und selber lesen) ist dieses Juwel flämischer Comics vor allem für Fashion-Victims, Trägerinnen von Hosenanzügen, Spekulanten von geschliffenen Edelsteinen geeignet, für den Rest der Bevölkerung sowieso. Wer danach süchtig geworden ist, sei getröstet: Der zweite Band ist für dieses Jahr angekündigt, „I hate Paris“. Auf ein Lachen, das im Halse steckenbleibt!

 

Britta Madeleine Woitschig (01/10)

 

Maarten Vande Wiele (Zeichnungen) / Erika Raven (Szenario): I love Paris, Leuven: Uitgeverij Oogachtend 2009, 112 Seiten, Softcover mit Klettverschluss

 

www.oogachtend.be