5. Dezember 2009

Metamorphose auf hoher See

 

Im ersten Teil („Ruhe vor dem Sturm“) beginnt die authentische und verhängnisvolle Lebensgeschichte des Unterkaufmanns Jeronimus Cornelisz, die zugleich eine Parabel über Profitgier ist und mit einer der größten Katastrophen der Schifffahrtsgeschichte verknüpft ist.

 

Mit dem mehrteiligen Historienepos rekonstruiert der Autor Christoph Dabitch zusammen mit dem Zeichner Jean-Denis Pendax eine der größten Miseren in der Historie der Schifffahrt. Im Oktober 1628 verlässt die „Batavia“, ein sogenanntes „Retourship“ der Vereinigten Ostindischen Compagnie den Amsterdamer Hafen, um eine Überseereise nach Java zu machen. Auf dieser Seereise erhält der Leser einen tiefen Einblick in die Alltagskultur von Seefahrern unterschiedlicher Klassen. Das oft – gerade im Comicbereich – glorifizierte Bild der Seefahrt wird dadurch von seinen Trugbildern entkleidet: Langeweile, Krankheiten, Schlägereien, Gefahren durch das Klima, wenige Momente der Ablenkung. So sieht die Schifffahrt bei Dabitch und Pendax aus.

 

Im ersten Band wird anhand der wahren Lebensgeschichte des Jeronimus Cornelisz die Schifffahrtsgeschichte konkretisiert. Nachdem er in Haarlem sein einziges Kind verloren hat und seine Frau ihn offenbar betrügt, will der Protagonist auf hoher See ein neues Leben anfangen, ja ein neuer Mensch werden. Was er dabei nicht bemerkt, ist, dass er an Bord der „Batavia“ tatsächlich eine Metamorphose durchlebt und er sich langsam, aber sicher von sich selbst entfremdet.

 

Das alles erzählt Dabitch in einer ausgewogenen Mischung von knappem Erzähltext und Dialogen (Sprechblasen). In den belebteren Szenen hält er sich durchaus zurück und lässt Pendax durch dessen Bilder erzählen. Ein besonderes Merkmal der narrativen Struktur ist außerdem, dass Dabitch des Öfteren eine selbstreflexive Distanz zur Erzählung aufbaut, indem er Zweifel einwirft, Wissenslücken durch Vermutungen angibt, den weiteren Verlauf der Erzählung durch Andeutungen vorwegnimmt und wissenswerte Zusatzinformationen in den Erzähltext einfügt. Das ist im Comic – auch bei Graphic Novels – selten.

 

Dabitch bekommt mit Pendax genau den richtigen Künstler zur Seite gestellt. Selten wie in „Jeronimus“ bekommt man eine derart perfektionierte und wohl geordnete Panelanordnung präsentiert: vor allem tief-breite, hoch-schmale und quadratähnliche Panels werden einer Komposition gleich musikalisch angeordnet und geben den richtigen Takt für die Erzählung vor. Dass Pendax die gesamte Klaviatur der Comicsprache beherrscht, beweist er mit spielerischen Zooms, Schwenks, Schnitten sowie in Text-Bild-Scheren und Schuss-Gegenschuss-Einstellungen. Seine realistischen Zeichnungen veredelt er mit impressionistischen Farben, die er vielleicht mit Öl- oder Acrylfarben aufgetragen hat.

 

Das ungewöhnliche Format ist überraschend handlich im Vergleich zu vielen anderen sperrigen Graphic Novels, und für knapp 19 Euro erhält man großzügige 80 Seiten Lesestoff. Etwas Zusatzmaterial über Autor und Zeichner oder ein Making-of, wie es sich bei anderen Verlagen etabliert hat, hätte allerdings auch dieser Graphic Novel nicht geschadet.

 

Marco Behringer (11/09)

 

Christoph Dabitch (Text) / Jean-Denis Pendax (Zeichnungen und Farben): Jeronimus. Erster Teil: Ruhe vor dem Sturm. Schreiber & Leser 2009. Hardcover, 80 Seiten, 18,80 Euro

 

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