1. Dezember 2009

SPLITS - »1 Zimmer von Schwarzfahrer Kind Rot«

 

Eröffnungsrede zu Alexander Hoepfner, Saloon 28.11.09

 

Ich freue mich sehr, dass mich Alexander gefragt hat, ob ich nicht ein paar Worte zu seiner Ausstellung sagen möchte – hier in Gustav Mechlenburgs Saloon, der damit ebenfalls als Galerierraum eingeweiht wird.

 

Ein Saloon könnte so etwas wie ein verwilderter Salon sein. Ein Ort, wo man Konflikte eher mit dem Sechsschüsser regelt als mit wohlgesetzten Worten.

Ich habe mich gefragt, was es in einem solchen Ambiente eigentlich für einen Sinn macht, eine Einführungsrede zu halten. Hier kann es wohl kaum darum gehen, eine exklusive Atmosphäre zu erzeugen. Ich will auch nicht die Deutungshoheit übernehmen oder die allgemeine Wahrnehmung von Alexanders Bildern steuern.

 

Das widerstrebt mir sehr.

Was ich aber machen möchte, ist, den nicht ganz einfachen Arbeiten ein paar Stichworte zur Seite zu stellen, die Horizonte aufmachen sollen.

Es geht also darum, lieber Türen aufzustoßen, anstatt sie zu verrammeln.

Bretter wegreißen, anstatt welche davorzunageln.

 

Was macht Alexander Hoepfner also?

Ich habe mir im Atelier seine Arbeiten angesehen, ich habe mit ihm gesprochen, mir seine Arbeitsweise und sein künstlerisches Vorgehen erläutern lassen.

Er hat mir von seinen Zielen und Vorstellungen berichtet.

 

Das habe ich auf mich wirken lassen und bin nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss gekommen, dass man sein Vorgehen am besten so beschreiben kann:
Alexander Hoepfner macht Bilder!

 

Aha, höre ich Euch brummeln, da wäre ich ja nie drauf gekommen, raunt's durch die Runde.

Aber halt: Diese Erkenntnis ist nicht so banal, wie sie sich zunächst vielleicht anhört.

Ja, in Wirklichkeit ist diese Erkenntnis sogar außerordentlich vorraussetzungsvoll.

 

Banal wäre diese Erkenntnis nur, wenn man wüsste, was eigentlich ein Bild ist.

Die Truppe phänomenologischer Denker poststrukturalistischer Schule beißt sich aber seit Jahr und Tag genau daran die Zähne aus. Sie können keine Antwort finden.

Und warum?

Weil sie aus der Theorie kommen. Ein Bild aber – so viel scheint mir klar zu sein – ein Bild ist kein Konzept, sondern eine Praxis.

 

Und was für eine Praxis wäre das? Nun, eine Praxis des Bildersuchens!

Wenn Picasso in einem berühmten Bonmot sagt: "Ich suche nicht, ich finde", dann ist das meiner Meinung nach ein Euphemismus.

Denn was ist ein Fund denn anderes als der Vollzug der Suche?

Nur aus diesem Grund kann man etwas finden, was man gar nicht gesucht hat.

Immanuel Kant nennt in der "Kritik der ästhetischen Urteilskraft" das Beispiel des alchemistischen Goldkochs, der zwar nicht den Stein der Weisen, aber dafür den Schwefel (samt seiner chemischen Eigenschaften) entdeckt hat.

 

Ohne auf der Suche zu sein, kann man nicht finden. Finden bedeutet also, auf der Suche zu sein.

 

Was hat das nun alles mit Alexanders Bildern zu tun, die hier ausgestellt sind?

Ich habe den Eindruck gewonnen, dass er der paradigmatische Sucher ist.

Suche heißt in seinem Fall: Er arbeitet sich an seinen Funden ab.

 

Er entdeckt Motive, er untersucht sie im Nahblick, er fotografiert sie. Dann druckt er die Fotos aus, bläst sie auf und hängt sie in seiner Küche auf.

Er fertigt Zeichnungen an, die einzelne Elemente daraus in den Fokus nehmen, und entwickelt diese Elemente weiter.

 

Das kann eine Uhr im Innenraum eines Autos sein. Er meditiert dann über Zeit und Raum, Geschwindigkeit und Technologie.

Das kann ein Reißverschluss sein. Er verwandelt ihn in Gartenzäune, in Kirchtürme, in Fishnet-stockings.

Er denkt über Öffnen und Schließen nach, über Ineinandergreifen und Festhalten.

Aber auch über Symmetrie und Ergänzung, über Formspiele von positiv und negativ, Figur und Grund.

 

Alexander weiß: Ein Motiv ist kein Bild. Ein Bild ist eine Praxis.

Also bewegt er seine Bilder durch verschiedene Medien.

So, wie man Mundwasser erst in der rechten Backe spült, dann in die linke Backe und schließlich im Rachenraum gurgelt, bevor man es ins Waschbecken spuckt:

Das Wasser ist das Motiv, die Gegenden im Rachenraum die verschiedenen Medien.

Danach ist das Motiv ziemlich weg.

Aber das Bild als Resultat der Praxis bleibt übrig.

 

Um im Bild zu bleiben, ist das Bild so etwas wie die Hygiene, die gibt es auch nur, solange man sie praktiziert.

Aber wenn das so ist, kann man dann die Bilder von Alexander überhaupt von ihm entfernen?

Sind sie dann nicht nur Ausdruck einer subjektiven Befindlichkeit?

Kann man sie wegtragen, ohne dass ihr Sinn beim Künstler bliebe?

 

Ja, ich denke sehr wohl.

Ich glaube, das macht den Unterschied zwischen dem Resultat einer Suche nach einem Bild und einem Bild aus.

Es springt sozusagen über. Es ist ja eine Praxis, die geht an andere Leute über.

Das ist jetzt der Punkt, an dem ich aus der Metapher mit dem Mundwasser definitiv aussteigen möchte, und mich dann doch lieber wieder auf den großen Phänomenologen Maurice Merleau-Ponty berufen möchte, der in seinem Essay "Der Zweifel Cezannes" von 1942 schrieb:

"Der Maler konnte nicht mehr tun, als das Bild zu malen. Jetzt muss er warten, bis das Bild für die anderen Lebendig wird. Alsdann wird das Kunstwerk die Trennung zwischen den Lebenden überwunden haben […]."

 

Ein solcher Übersprung, eine solche Ansteckung ist am besten auf engem Raum möglich.

Nicht zuletzt deshalb halte ich den Saloon für solche Art von Kunst für denkbar geeignet. Hier wird die Trennung zwischen den Lebenden genauso leicht überwunden, wie die Trennung zwischen Privat und Öffentlich, zwischen Kunst und Leben.

 

Ich kann also nur raten, die Bilder von Alexander Hoepfner als Praxis aufzunehmen.

Das heißt: Anschauen ist Weitergurgeln!

Lasst Euch infizieren – keine Angst vor GlaxoSmithKline. Ich glaube, die sind heute nicht hier.

 

Viel Spaß und danke für die Aufmerksamkeit.

 

Dr. Friedrich Weltzien

 

 

 

SPLITS

»1 Zimmer von Schwarzfahrer Kind Rot«

 

Ausstellung von Alexander Hoepfner

 

29. 11. 2009 - 24. 12. 2009

Öffnungszeiten: nach Vereinbarung

Eröffnung: Samstag, 28. 11. 2009 - 19 Uhr

Rede: Dr. Friedrich Weltzien

 

SALOON

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Christburger Straße 25 / 3. OG - Berlin

Kontakt: post(at)textem.de