26. November 2009

Die Kunst der Modefotografie

 

 

Jahrelang war er vergriffen, jetzt liegt der Bildband zu Nick Knights Oeuvre in einer neuen Auflage vor. Sein Schaffenswerk reicht von der fotografischen Begleitung der britischen Skinhead-Szene in den 80er Jahren bis hin zu Modekampagnen für Jil Sander und Christian Dior.

 

Es reicht nicht aus, das Schöne und Besondere zu entdecken und festzuhalten, um ein guter Fotograf zu sein. Wer dies meint, befindet sich auf dem Holzweg, denn Objekte präsentieren sich dem Fotografen in den seltensten Fällen derart, dass er nur noch die Kamera draufhalten und auf den Auslöser drücken muss. Es ist der Blick des Fotografen, sein Gespür für Stimmung und Atmosphäre, sein Einfallsreichtum und seine Fantasie, die ihn dazu bringen, bestimmte Perspektiven einzunehmen, wenn er Dinge, Bewegungen oder Situationen mit seiner Kamera einfängt.

Für die Modefotografie gilt dies umso mehr. In diesem Metier ist es nicht ausreichend, einfach nur Attraktives auf Zelluloid bzw. einen lichtempfindlichen Sensor zu bringen. Hier ist es fast ausschließlich die Fantasie des Fotografen, die darüber entscheidet, ob eine Modelinie ankommt, Trends sich durchsetzen oder nicht. Der britische Fotograf Nick Knight gehört unter den Modefotografen zu den Großen seiner Zunft. Seine Arbeiten sind exzentrisch, geheimnisvoll, leidenschaftlich und experimentell. Stillstand existiert in seiner Welt nicht. Immer weiter entwickelt er sich und seine Arbeit, Wiederholungen gibt es in seiner zahlreichen Arbeiten kaum.

Dabei ist Knight kein typischer Fotograf. In London studierte er zunächst Humanbiologie und beschäftigte sich zunächst mit den Naturwissenschaften. Als er für seine Prüfungen neben Physik, Biologie und Chemie ein viertes Prüfungsfach benötigte, wählte er Fotografie – und fand sich selbst. „Ich fand plötzlich heraus, dass ich mich in der Fotografie selbst ausdrücken konnte“, wird Knight in der biografischen Textbeilage zu der im Sommer erschienenen Wiederauflage seines ersten Bildbands „Nicknight“ zitiert. Der Forscherdrang, den er in seinem naturwissenschaftlichen Studium nie so stark wahrgenommen hat, treibt ihn als Fotograf nach vorn.

Dementsprechend abenteuerlich sind seine Fotografien. Dieser Kitzel ist es, der den Betrachter verweilen und in die Tiefe der Bilder blicken lässt. Tatjana Patitz in der verführerisch-melancholischen Rolle einer modernen Marilyn Monroe, Linda Evangelista als lasziv-selbstbewusste femme fatale oder Kirsten Owen in adliger Blässe in und vor schlichtem Schwarz – all diese Bilder faszinieren und bezaubern in ihrer schlichten Eleganz. In Knights Repertoire müssen sie geradezu klassisch genannt werden. Seine Bilderserie für die Designerin Martine Sitbon lässt hingegen erahnen, was bei Nick Knight experimentell heißt. Mit ungewöhnlichen Entwicklungsmethoden, Überblendungen und digitalen Manipulationen provoziert er und zwingt zur Akzeptanz der neuen Möglichkeiten der Fotografie. Hier knallen die Farben und explodieren die Formen. „Die meisten Regeln der Fotografie stammen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, meint Knight, doch diese Fotografie sei nicht die seine. Mit jedem Bild erobert er sich das Medium wieder aufs Neue, geht Risiken ein und wird allzu oft belohnt.

Seine neueste Entdeckung ist der Modefilm, noch eine Art Begleitprodukt bei der Fotosession, vielleicht bald sein eigentliches Anliegen, um Fotos zu machen. Der amerikanischen Modezeitschrift Vogue diktierte er in ein Videointerview, dass mithilfe der Modefilme eine völlig neue Kommunikation zwischen Modemachern, Models und dem Konsumenten entstehen könne. Endlich werde es so möglich, die Performanz beim Shooting, die er selbst als immens wichtig betrachtet, zu übertragen. In dem vorliegenden Bildband sind einige Bilder abgebildet, die ihn zur Idee des Modefilms geführt haben. Es sind scherenschnittartige Fotografien von Naomi Campbell, die einen roten Mantel des japanischen Modemachers Yohji Yamamoto präsentiert. Wie Knight in dem Vogue-Interview preisgibt, hörte das britische Supermodell bei dem Shooting Musik von Prince und bewegte sich wie in Ekstase vor seinen Augen. Seit diesem Erlebnis sei er überzeugt, dass Mode unbedingt in Bewegung präsentiert werden müsse.

Sein lange vergriffenes erstes Buch „Nicknight“, mit ausgewählten Fotografien aus der gesamten Schaffensphase des Fotografen, liegt nun in einer prächtigen Neuauflage vor. Nur wenige der abgebildeten Fotografien in dem Band fallen dabei in die Kategorie „Liebhaberaufnahmen für Modenarren“. Die große Mehrzahl der ausgewählten Fotografien überzeugt durch den Einfallsreichtum und die stilistische Vielfältigkeit des Briten. Wie seine Bilder aus der britischen Skinheadszene, die noch in seinen Studienzeiten entstanden sind. Gleiches gilt für die geradezu ikonischen Aufnahmen aus seiner Serie „100 Portraits“, von denen keine Porträt dem anderen gleicht. Beim Betrachten seiner Aufnahmen für Jil Sander, Christian Dior, Yohji Yamamoto und Martine Sitbone gerät man unweigerlich ins Schwärmen. Dieser edle, in künstliches Wildleder eingeschlagene Band versammelt beeindruckende Bilder eines der kreativsten Köpfe der internationalen Modefotografie.

Wer mehr davon will. Soeben ist bei Schirmer-Mosel ein neuer Band mit seinen Fotografien von 1994 bis 2009 erschienen.

 

Thomas Hummitzsch

 

Nicknight. Die Photografien von Nick Knight. Mit einem Text von Satoko Nakahara. 212 Farb- und Duotone-Tafeln. Schirmer Mosel Verlag. München 2009. 159 S. 88,00 €. ISBN: 3888146615

 

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