22. November 2009

Kunstverein Cuxhaven

 

Besen, Besen

Manöver zur Herstellung von reiner Unmittelbarkeit

 

 

Stella Geppert verwendet Geläufiges, ja bis zum Überdruss Bekanntes in beharrlich unverwandter, fremdartiger Weise. Sie balanciert: den Raum, den Raum als Rahmen, den Körper, die Bewegung, und hier ist die Bewegung ein ausgewachsenes, zweiköpfiges Stoß-mich-zieh-dich.

Es ist ein Ritual, welches hier zur Ausstellung kommt. Die emsige Betriebsamkeit, die sich während des Aufbaus einer Ausstellung entfaltet – prächtig geschäftig, wichtig nervös.

Ein Ritual, welches von Ferne an die Reinheitsideen der freien Kunst erinnert, ein Charakteristikum, welches die Kunst als antikes, von sagen wir Winkelmann in die Welt gesetztes Geschwurbel von sich abschütteln konnte. Kunst muss seit geraumer Zeit nicht mehr das Kriterium der Reinheit erfüllen. So schnell wird man die einmal gesetzten Behauptungen aber nicht los, erst recht nicht, wenn die Werbeindustrie von porentiefer Reinheit faselt und der Miterfinder irgendwas mit „Winkel“ heißt, und so gilt es also als ausgesprochen schlampig, die Gäste einer Ausstellung mit dreckigem Fußboden und staubigen Ecken zu empfangen, obwohl die Kunst „dreckig“ sein darf. Und also fegt man den Ausstellungsraum.

 

Bei Stella Geppert wird die Konvention der Reinheit, also die Modifikation der reinen Kunst in das Fegeritual nun aber auf verschiedene Weise tückisch und das allein aufgrund einer einzigen simplen Proportionsverschiebung: Der Besenstiel ist ungewöhnlich lang.

Der Effekt ist, dass der gebaute Raum die fegende Person zu ärgern scheint. Der Besenstiel sperrt an der Decke. Als ob der Raum ständig auf sich als besonderen Raum hinweisen wollte, darauf, dass er ein Raum ist, der immer ganz besonders sorgfältig gereinigt wird, ein eitler Galerieraum, der in der Lage ist, etwas zu Kunst zu verwandeln, was man in anderen Zusammenhängen nicht als solche erkennen könnte. Und eine weitere entsetzliche Tatsache wird offenbar. Ein sorgfältig gereinigter Fußboden ist nur um den Preis einer eingeferkelten Zimmerdecke zu haben.

(Die Deckenlampen sind in diesem Fall nicht in Gefahr, da abmontiert und in ein anderes Stockwerk verbracht.)

 

Was wäre einem lieber, Dreck an der Decke oder Dreck auf dem Boden? Solange es nicht kleckert, wahrscheinlich Dreck an der Decke, obwohl das sehr ungewöhnlich ist. Trotzdem, allein aus pragmatischen Gründen, Dreck an der Decke ist weniger auffällig, da man nur in Schlössern und Kirchen an die Decke schaut, um dort irgendwelche Fresken und Stuckaturen zu bestaunen – farbige Matschberge, die man wirklich nicht auf dem Fußboden haben will, allein wegen der Stolpergefahr. Apropos Schlösser und Kirchen kommt man weg von den Reinigungsszenarien doch wieder in Galerien, wo versierte Besucher sofort alles Mögliche anschauen, auch die Decke, denn sie kommen, um die Ausstellung zu finden, so wie man einst staatliche Würde und religiöse Erbauung suchte. Der Galerieraum verheißt, etwas in ihm finden zu können. Und Stella Geppert zieht die historischen Entwicklungen von Ritual und Raum zusammen mit den bisher wenig beachteten Übersprungshandlungen zeitgenössischer Künstler.

 

Außerdem wird hier mit einem schon länger bekannten Kunstproblem herumgetrickst. Es handelt sich bei dem Problem um den Verlust der Unmittelbarkeit, die, ist sie erst einmal verloren gegangen, durch Willensanstrengung nicht wieder zurückgewonnen werden kann. Das konstatiert bereits Hegel und er hat mal wieder recht, weswegen Künstler vieler Generationen sich die unglaublichsten Kniffe ausdachten, um das Verblüffungsmoment der Unmittelbarkeit für sich und die Betrachter wiederherzustellen. Dazu gehört etwa, als Rechtshänder zur Abwechslung mit der linken Hand zu malen oder gleich im Dunklen, auch Farbe zu schütten zählt dazu oder andere Zufallsdinge mehr.

 

Auch mit diesem Besen gelingt, was Hegel ausschloss. Die Willensanstrengung, den Boden eines Ausstellungsstellungsraums penibel zu reinigen, zaubert eine unmittelbare freie Handzeichnung an die Zimmerdecke. Denn es handelt sich außer um einen Karl-Valentin-haften Akt des Kehrens mit einem Werkzeug, welches den Dimensionen des Raums nicht adäquat ist, um eine zeichnerische Dokumentation der Kehrbewegungen am gegenüberliegenden Ende des Besens.

Dokumentation im Sinne einer nachvollziehbaren Wiedergabe des Fegens ist das falsche Wort, es handelt sich eher um eine Parodie, um ein zerzaustes Gekrakel, welches mit Nichten den systematischen Akt des Fegens wiedergibt, ihn aber dennoch aufzeichnete als synchron ablaufender Prozess. Es ist wirklich mehr das Stoß-mich-zieh-dich der Dr.-Doolitle-Romane denn der Besen, den der Goethe’sche Zauberlehrling losschickt zum Wasserholen. Das Stoß-mich-zieh-dich hat zwei Köpfe und befindet sich deshalb ständig im Konflikt, der eine Kopf will sauber machen, der andere Kopf will zeichnen. Beides gleichzeitig geht nur in einem Raum mit der passenden Deckenhöhe.

Stella Geppert vollzieht ein ironisches Manöver zur Herstellung von reiner Unmittelbarkeit. Da ist es wieder, das Wort von der Reinheit, und toll ist nun, dass unten am Boden ernsthaft rein gemacht wird und oben reine (also sehr ernste) Unmittelbarkeit waltet. Sie krakelt nicht mutwillig an der Decke, noch versucht sie dort, eine Hygieia, eine Göttin der Reinheit, eine Maria auf dem Wolkenthron oder Ähnliches anzubringen, sondern sie konzentriert sich auf den zu reinigenden Boden, ihr Werkzeug kehrt dabei so zuverlässig wie jeder Besen, nur dass der Stiel an der Zimmerdecke dabei eben sperrt, bremst, blockiert, abrutscht – eben zeichnet.

Der Kehricht liegt weiterhin am Boden, er ist nicht mit einem Staubsauger von unten nach oben befördert und dort wichtigtuerisch ausgestellt, an der Zimmerdecke befindet sich lediglich eine Zeichnung, die Zeichnung, die eine soziale Plastik hinterlassen kann.

 

 

 

22. November 2009

 

Das Vorzimmer

Die Entlarvung der Hauptdarsteller

 

Lobbyismus und Antichambrieren bedeuten so gut wie das Gleiche, die Worte sind nur seit unterschiedlichen Zeiten in der Welt, weshalb sie der jeweiligen Weltsprache verpflichtet sind. Beide Verhaltensweisen spielen sich in den Vorzimmern der Macht ab. Die Lobby als Aufenthaltsort, wie als Probebühne nutzend. Solche Probe- oder Vorbühnen sind natürlich möbliert, zum Beispiel mit diesen stapelbaren schwarz-silbrigen Sitzgelegenheiten. Die Arbeit der Lobbyisten wird stets gerahmt mit dem Mobiliar dessen, der die Spielregeln aufstellt, das ist eine der Gehässigkeiten, die man noch im Traum in Behörden, Schulfluren, Kundenzentren und anderen Orten erinnert, Museen, Kunstvereine und Galerien gehören natürlich auch dazu.

In diesem Fall hat sich der Charakter der wartenden Lobbyisten im Antichambre offenbar auf die physische Gestalt der Möbel übertragen, sie sind angefressen, zersträubt und irgendwie derangiert, wiewohl noch als Stühle zu erkennen. Die Rückenlehnen haben sich in die Sitze verwandelt, die Flächen sind aufeinander gesunken wie müde Krieger, um die Form zu wahren, tragen sie jetzt die typischen Designtaillen im Sitzfleisch. Wirklich eine Szene wie aus einem bizarren Traum.

Um nun nicht von zu kleinen Strudeln über Künstler als Lobbyisten ihrer selbst, die in wohldosierter Rachsucht das Mobiliar von Ausstellungsorten zu Sperrmüll verarbeiten, zu einer frühen fatalistischen Schlussfolgerung hinabgezogen zu werden, muss unbedingt ein Miniaturexkurs über das Sitzen angefügt werden: Ursprünglich Königen vorbehalten sind Büromöbel schließlich mittlerweile der Garant dafür, dass es nicht ständig zu Protestaufmärschen kommt. „Das ich setzt sich selbst“, behauptete Fichte, und Nietzsche zeichnete in seine Ausgabe des Fichte’schen Werks einen kleinen Stuhl an den Blattrand. Descartes bringt gar einen Gottesbeweis zustande, nachdem er sich vorher selbst im Schaukelstuhl erkannt hat, also fesselt Beckett seinen Helden folgerichtig nackt mit Riemen an seinen Schaukelstuhl. In einem anderen Beckett-Stück wird einer, der nicht sitzen kann, im Rollstuhl herumgefahren, eine komisch böse Variante der von Hegel aufgebrachten Verknüpfung von „Herr und Knecht“. Letztere unselige Tatsache ist eben zuallererst einer Kulturgeschichte des Sitzens geschuldet, bei deren kompliziert abgewinkelter Körperhaltung eben auch kompliziert abgewinkelte Gedankenkonstellationen zustande, besser zu sitzen kommen. Eine Gesellschaft nimmt Platz. Und so setzt Denken seit ein paar hundert Jahren körperliche Unbeweglichkeit voraus (und wer behauptet, beim Sporttreiben nachzudenken, lügt, denn Peripatetik ist ausgesprochen selten, oben genannter Nietzsche bestand darauf, und Benjamin hat freundlicherweise das eine und andere zu Flaneuren gesagt, auch die Situationisten sollten große Herumlungerer sein, obwohl ihr Name verdächtig nach Sitzen klingt, kurzum, alle diese haben derzeit keine Lobby).

Wieder bekommt Stella Geppert Ritual und Raum zu fassen, gekoppelt an die präzise Sondierung des Terrains, in dem sich Künstler bewegen, und entlarvt einen sonst wenig beachteten als Hauptdarsteller – den Sitz.

 

Nora Sdun

 

 

Stella Geppert: Unabhängig von der Lage, Kunstverein Cuxhaven 2009

 

Stella Geppert: Unabhängig von der Lage

Herausgeber: Cuxhavener Kunstverein

Heft mit Innenheft: schwarz, weiss / farbig, Format: 21 x 28 cm / 19 x 26 cm. Text von Nora Sdun,

Interview zwischen Stefanie Böttcher und Stella Geppert. Gestaltet von Knut Bayer / elfzwei,

in Zusammenarbeit mit der Künstlerin

deutsch / englisch, 32 Seiten, 12 Euro

ISBN 978–3–941613–08-9, Textem Verlag 2010

 

www.textem.de/index.php