5. November 2003

Drogen gibt es immer wieder

 

Die Entdeckung der Langsamkeit ist zwar nicht mehr ganz neu, aber der militärische Einsatz der Zeitlupe zum Beispiel in der TV-Werbung hat immer noch das Zeug, panische Reaktionen beim Zuschauer auszulösen, wenn er nicht gleich die Macht findet, dem Verbund aus sanft wandelndem Tafelbild und Herz-Moos-Märchen-Musik ein Ende zu bereiten. Umgekehrt kennen wir den Effekt, dass wir von beschleunigten Bildern gar nicht genug kriegen können, weil die so lustig aussehen. Wenn diese Bilder dann auch noch als eine bestimmte Handlungssequenz leitmotivisch wiederholt werden, ist die Freude kaum noch zu überbieten.

Deshalb ist dieser Film auch kein Requiem, sondern eher eine Farce und eine Klamotte. Er ist sozialkritisch, will aber natürlich mehr sein. Als Videoclip wäre das in Ordnung gewesen, aber so hauen die technischen Effekte die Botschaft entzwei. Aber so ist das wohl, dass es alle paar Jahr einen Antidrogenfilm gibt, der inhaltlich ja nichts Neues zu bieten hat („keine Macht den Drogen“ usw.) und der dann formal das Thema zeitgerecht behandelt. Oder nach der Art der Regisseurs. Immer wenn hier also geschnüffelt oder gespritzt wird, bekommt der Zuschauer einen 3-sekündigen Trailer serviert, der die Prozedur der Zubereitung und der Einfuhr der Droge in einem schnell wiedererkennbaren Päckchen schnell folgender Bilder zeigt bzw. nicht zeigt, indem die Prozedur auf die Highlights zerhackstückt wird. Das ist gewissermaßen die cineastisch coole Entsprechung der Drogenerfahrung von Harry, seiner Freundin und seinem Kumpel, während der Zuschauer sich dabei auf die Schenkel klopfen kann und ihm kurz danach vielleicht etwas Zeit bleibt, darüber nachzudenken, ob er etwa in Aronofskys „Pi“ noch etwas anderes als coole Bilder und coole Stimmen gehört hat.

Diese Frage wird er vermutlich verneinen, wenn Sara (Ellen Burstyn), Harrys Mutter, ihren großen Auftritt hat und von ihrer Einsamkeit spricht. Das geht ganz ohne technische Tricks und Einstellungswechsel und wird von der Darstellerin so eindrücklich gespielt, dass der eine oder andere Zuschauer vermutlich schon vor der ersten Träne Harrys ein feuchtes Auge bekommt. Hier also ist eine entsetzliche Ruhe, Requiem, aber natürlich dauert sie nicht ewig, der Alptraum geht gleich weiter. Die Kids werden immer abhängiger, wo sie doch nur die anderen abhängig machen wollten, und die bedauernswerte Mutter glaubt sich in Form bringen zu müssen, weil sie irgendwann einmal in einer Fernsehshow auftreten soll. Weil sie zu fett ist und gleichzeitig zu willensschwach, müssen Tabletten her, die ihr ein Quacksalber verschreibt. Die Nebeneffekte sind auch hier die Hauptsache. Das Fett ist weg, die Frau ist krank. In einem bilderreichen und lautstarken Wettbewerb der Leidensakkumulation von Sohn und Mutter geht der Film seinem apokalyptischen Ende entgegen. Die leitmotivischen Speed-Packungen sind längst gegessen, das Lachen vergangen, jetzt wird abgerechnet mit den Passionen, die ja so ambivalent sind wie die Machart des Films selbst, während der vorgeführte Prozess der Verelendung an Eindeutigkeit und Logik nichts zu wünschen übrig lässt. Aber Filme kann man schlecht auf Entzug setzen, es sei denn, man wählt die dänische Option.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Darren Aronofsky, Requiem for a dream, USA 2000</typohead>