11. November 2009

Wir raten zu

 

Kultur & Gespenster

 

Sie wollen »mehr als eine Zeitschrift« sein, aber zugleich »noch kein Buch«, so haben es die Gründer von Kultur & Gespenster um Gustav Mechlenburg einmal formuliert. Wer sich also bereits genretechnisch bewusst zwischen die Stühle setzt, hat einen idealen Gestaltungsraum: Denn zwischen den Stühlen (die man in diesem Fall Theorie & Praxis, Kulturwissenschaft & Pop, Kunst & Literatur oder Text & Bild nennen könnte) schwebt man kurz, hat Luft zum Atmen, und direkt darunter ist, man beachte die Fallhöhe, der Boden der Wirklichkeit. Genau in diesem Zwischenreich entsteht jener »Diskurs-Pogo« (Enno Stahl) von Kultur & Gespenster, der dieses Zeitschriftenbuch zu einem der interessantesten deutschen Phänomene macht, die man abonnieren kann. Die aktuelle Ausgabe ist dem Thema »Hochstapler« gewidmet – und wie sich hier die Lust auf grafisches Spiel, rücksichtslose Intelligenz, grenzenlose Neugierde und stilistische Vielfalt auf 250 Seiten mischen, ist, um tiefzustapeln: zumindest erhebend. Es spricht für das Rhythmusgefühl von Kultur & Gespenster genauso wie für deren so weiten wie präzisen Kulturbegriff, wie hier nicht nur feinsinnige Bildstrecken auf grobkörnige Bleiwüsten folgen, sondern auch, wie historische Texte lässig und konsequent mit Zeitdiagnosen verknüpft werden. Es sind immer die interessantesten Phänome, die selbst ein neues Genre begründen. Wir raten dringend zum Abonnement.

 

DIE ZEIT, 12. 11. 2009, Florian Illies

 

Kultur & Gespenster Nr. 9/2009; Textem Verlag, Hamburg (www. textem.de); 246 S., 12,– € (Abo: 4 Hefte 45,– €)

 

www.kulturgespenster.de