6. November 2009

Verschenkt

 

Dieses Buch ist umso wertvoller, je weiter man von Berlin weg ist, denn in Berlin wird man es kaum gebrauchen können, so schwer liegt es in der Hand mit gefühlten drei Kilogramm (faktisch gut 2,5). Einerseits. Andererseits hat man ja auch nicht den Beuys-Katalog in der Hand, wenn man in den Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – geht. Die Frage bleibt trotzdem, wie man der Schwere und Unhandlichkeit begegnet. Am Besten man pflanzt sich zu Hause schön auf den Teppich und beugt sich über den Wälzer – und beginnt zu blättern.

 

Es erwarten einen auf gut 400 Seiten die Highlights von Berlin, in großformatigen Fotos (aktuelle und patinabesetzte, was ganz schön ist als Kontrast), kommentiert (deutsch und englisch) und eingegliedert in thematische Felder wie „Öffentliche Räume“, „Der Kronschatz der Stadt“, „Schlösser und Gärten“ und „Drüben in Potsdam“. Das Ganze ist sehr mainstreamig, und dennoch wird es vermutlich niemanden geben, der all das schon kennt oder überall schon war. Wirklich spektakulär die Abbildung auf Seite 325, eine „futuristisch gestaltete Raumskulptur im Atrium der DZ-Bank am Brandenburger Tor“. Ein gutes Versteck für ein überwältigendes Stück Raumplastik. Warum kennt man das nicht?

 

Aber wer hier etwas mehr wissen will, kommt auch schon an eine der Grenzen dieses Buchs. Man erfährt zwar, wer die Bank hat bauen lassen (Frank O. Gehry), doch von wem stammt die Skulptur? Hier wird der Leser allein gelassen. Schade auch, dass im Grunde keine Straßenangaben notiert werden. Hier müsste man erst umständlich über eine andere Quelle den Standort ermitteln. Problematisch ist auch, dass man teils sehr ruppig mit den Kunstwerken hinsichtlich der Abbildung umgegangen ist. Ernst Ludwig Kirchners „Potsdamer Platz“ von 1914, ein Juwel aus der Sammlung der Neuen Nationalgalerie, wird im linken Bereich ganz leicht abgeschnitten, ohne dass das dann auch als „Ausschnitt“ ausgewiesen würde. Das war wohl auch nicht beabsichtigt, aber der technische Bearbeitungsfehler hat zur Konsequenz, dass Kirchners Bild völlig aus dem Ruder kippt. Auch wird deutlich, dass die Abbildungen nicht allererste Sahne sind, denn so hell (grell) hat Kirchner in dieser Phase seines Schaffens nicht mehr gearbeitet.

 

Ein wenig lieblos – das fällt auch bei dieser Doppelseite auf – die Gegenüberstellung auf der rechten Seite mit einem Nachtbild von Lesser Ury; hier hätte man sich etwas mehr gestaltendes „Design“ gewünscht. Ein anderes Beispiel, wie wenig man sich beschäftigt hat mit der Ausgangslage der Präsentation von Kunst ist eine Arbeit von Max Beckmann, „Die Straße“, ebenfalls von 1914, zu sehen in der Berlinischen Galerie. Eigentlich müsste man dort, wo auf dieser Seite erneut ein Bild von Lesser Ury steht, den zweiten Teil von Beckmanns Arbeit geboten bekommen (mit dem Titel „Menschen auf der Straße“), denn „Die Straße“ besteht seit 1928, wie aus einer Fotografie ersichtlich ist, aus zwei Teilen. Max Beckmann malte 1914 ein Breitformat mit diesem Titel, als er einige Jahre später die Arbeit wieder sah, war er von der Komposition enttäuscht, woraufhin er das Bild zerschnitt, eine frühe Form von Bildbearbeitung. Man wird den Eindruck nicht los, dass hier ein Buch zusammengestellt wurde, für das man sich etwas mehr Zeit und Mühe hätte geben können. Denn Berliner Highlights in solchen Formaten gibt es ja nun wirklich à la pelle.

 

Dieter Wenk (11-09)

 

Harro Schweizer (Hg.) Berlin – Kunst und Architektur Art and Architecture. Mit Texten von Edelgard Abenstein, Königswinter 2009 (h.f.ullmann in der Tandem Verlag GmbH)