5. November 2003

Endlosschleifen, und wie man da raus kommt

 

Auf seine Ehre pocht heute niemand mehr. Sie ist geschenkt. Heute macht man sich darüber Gedanken, in welche molekularen Substrukturen der Rechtsbegriff auszudehnen ist. Man sollte also nicht zu früh lachen, wenn auf dem Bildschirm mal wieder die Klingen sich kreuzen oder im fahlen Morgenlicht zwei seriöse Männer mit Pistolen in der Hand sich gegenüberstehen, um sich den Garaus zu machen. Lachen tut man aber natürlich trotzdem. Dazu braucht es überhaupt keine Klamotte oder einen überdrehten Witz, denn für später Geborene ist die Sache selbst schon der Witz. Es ist dieses erbarmungslose Räderwerk, das sich an einen oftmals nichtigen Anlass kettet, diese tödliche Mechanik, die aus Lebenden Pappfiguren macht mit dem Zusatz, dass diese Pappfiguren ein Herz haben, das zwar nicht mehr schlägt, aber dennoch verwundbar ist.

Das Besondere an Ridley Scotts Film ist, dass er die Duellsituation nicht aus einem Kampf zweier unvereinbarer Vorstellungswelten wie Liebe und Ehre heraustreibt, damit der Zuschauer über den liebenden, aber jetzt leider totgeschossenen Helden weinen kann, nachdem ihm das Lachen vergangen ist, sondern dass er das Ehrenrührige ins Maßlose ausdehnt und so einen Begriff von Ehre erhält, dem nie Genüge getan werden kann. Die Übertreibung liegt also schon in der Sache des Duells selbst, denn im Moment der Forderung wird nicht darüber diskutiert, ob man in seinem verletzten Ehrgefühl nicht doch ein bisschen zu weit gegangen ist. Ridley Scott nimmt diese Situation Ernst, vermutlich hat ihm auch die Vorlage von Joseph Conrad gefallen, und so macht er einen Film, der aus einer einzigen Duellsituation zu bestehen scheint.

Im Jahr 1800 duelliert sich der französische Leutnant Fereau mit dem Neffen des Straßburger Bürgermeisters. Die Sache dringt ans Licht, Fereau muss sich vor seinem Vorgesetzten verantworten. Dazu schickt dieser einen Offizier aus, der Fereau kennt, um diesem mitzuteilen, dass er unter Arrest steht. Leutnant D’Hubert trifft Fereau im Salon einer Abendgesellschaft. Nachdem der Geschickte seine Mission glaubt beendet zu haben, wird der andere unwillig und ungehalten. Er fühlt sich beleidigt, weil – ja warum eigentlich? Weil der andere seinen Auftrag korrekt ausgeführt hat? Weil der Gesuchte sich gestört fühlte? Fereau fordert D’Hubert heraus, dieser erkennt zwar die Absurdität der Situation, lässt sich aber trotzdem darauf ein. Die beiden duellieren sich, D’Hubert wird verletzt, kann nicht weiter kämpfen. Das Spiel geht jetzt so weiter. Immer, wenn sich die beiden im Gewirr der Revolutionskriege wieder sehen, kommt es zu einer Fortsetzung des Duells, das nie zu Ende gebracht wird, weil sie scheinbar unsterblich sind. Wie Comic-Figuren. Aber natürlich möchte der Film etwas zeigen, und das ist nicht weniger, als wie man aus einem Teufelskreis lebend herauskommt, der einem definitiv den Tod bestimmt hat. Im Jahr 1816, Napoleon ist am Ende, haben beide den Rang von Generälen, nachdem sie beide den russischen Feldzug überstanden haben, von dem es atemberaubende Standbilder zu sehen gab, sehr malerisch, sehr surreal.

Wie sehr der Ehrbegriff bindet, zeigt sich in einer der letzten Handlungen D’Huberts, der seinen Todfeind vor dem sichern Tod bewahrt, indem er ihrer beider Chef, Fouché, um Gnade angeht, den fanatisierten Bonapartisten Fereau laufen zu lassen. Obwohl der mittlerweile verheiratete und Nachwuchs erwartende D’Hubert weiß, dass Fereau nichts anderes machen wird, als wieder zu ihm zu laufen. D’Hubert spielt also ein bisschen Russisches Roulette – und gewinnt. Bei dem dann doch letzten Duell der beiden wird Fereau ein zweites Mal das Leben geschenkt mit dem Zusatz, dass D’Hubert sich ab sofort nicht länger mit dem von Fereau aufoktroyierten Ehrbegriff identifiziert. Jetzt diktiert er, und dieses Diktat erklärt beide Gegner als füreinander tot. Rettung ist also nur im Symbolischen und in der Fähigkeit, es auch Wirklichkeit werden zu lassen. Manchmal stirbt man schon zu Lebzeit.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Ridley Scott, Die Duellisten, GB 1976</typohead>

 

Ridley Scott: Die Duellisten