30. Oktober 2009

Der seltsame Feind

 

Das Werk Carl Schmitts eignet sich ganz hervorragend dazu, das Prinzip der Rahmung vorzuführen. Rahmen schließen etwas ein, ohne dass damit notwendigerweise eine Hierarchie verbunden wäre. Denn der Rahmen und das durch ihn Eingeschlossene können ganz unterschiedlichen Ordnungen unterstehen. So rahmt in der bildenden Kunst (jedenfalls oft) der Rahmen das eigentliche Bild ein. Rahmen können wechseln, das Eingerahmte dagegen nicht, denn der Gegenstand des Bildes ist das Eingeschlossene und nicht das Rahmende. Dass Gemälde auch ohne Rahmen funktionieren können, ist eine andere Frage. Heinrich Meier nähert sich in seinem Buch – einer Anschlusspublikation zu seiner Schrift „Carl Schmitt, Leo Strauss und ,Der Begriff des Politischen’. Zu einem Dialog unter Abwesenden“ dem umstrittenen Staatstheoretiker und „Kronjuristen des Dritten Reichs“ Carl Schmitt als Politischer Philosoph.

 

Der Politische Philosoph Meier analysiert also den Politischen Theologen Schmitt. Eine vollständige Rekonstruktion des Schmittschen Begriffsgebäudes müsste wohl zeigen, dass diese noch etwas mehr an Schmitt zutage zu fördern vermag, als dieser selbst hat sehen lassen wollen. Hieße das dann, einmal dort angelangt, Schmitt „erledigt“ zu haben, wie manche vor Meier schon versucht haben, die Politische Theologie ad acta zu legen? Kann ein Rahmen „wahrer“ sein als das von ihm Eingerahmte? Oder gibt es Phänomene, die sich der landläufigen Definition entziehen, also dem Versuch, ein Entsprechungsverhältnis aufzubauen zwischen „word and object“? Vielleicht hat ja Carl Schmitt schon immer zurückgerahmt, oder sein Begriffsgebäude so eingerichtet, dass es gewissermaßen „unberührbar“ ist und auf etwas aufruht, das selbst „heilig“ ist. Dann würde jede Analyse an dieser Schutzkonstruktion abprallen; sie könnte einen Mechanismus aufzeigen, aber dieser wäre eben nur für den Politischen Philosophen interessant, der damit nur seine eigene typische Vorgehensweise demonstriert hätte.

 

Davon tangieren lassen müsste sich der Politische Theologe nicht, da er eben den Zugang nicht anerkennt, den der Politische Philosoph mit seinem Procedere voraussetzt. Man käme dann zu dem vielleicht etwas unbefriedigenden Ergebnis, dass sich bestimmte Phänomene nicht sinnvoll gegenseitig einrahmen können. Der Platz der letzten Position müsste offen bleiben. Das Spannende an diesem Buch ist, dass genau zwei solche verschiedenen Ordnungen aufeinander prallen. Ein nicht ganz gleicher Dialog (s.o.), denn Heinrich Meier ist „anwesend“. Carl Schmitt wird anwesend gemacht, auf hohem argumentationslogischen Niveau. Sinn der Übung Meiers ist es, „die Fundamente von Schmitts Begriffsgebäude“ freizulegen. Der Philosoph muss sich dabei fragen, ob die Schmittschen Fundamente von Schmitt selbst noch reflektiert oder als gegeben vorausgesetzt werden. Meier schreibt zum Problem der Theorie des Politischen: „Wer zum Kern des Unterfangens vorstoßen will (…), muss bis zu der alles entscheidenden Frage zurückgehen, die in Schmitts ,Theorie’ selbst nicht zur Sprache kommt, sondern ihr vorausliegt, weil sie für Schmitt ein für allemal autoritativ beantwortet ist. Wer von den Voraussetzungen sprechen will, die Schmitts Begriff des Politischen zur Grundlage hat, kann vom Glauben an die Offenbarung nicht schweigen.“

 

Nicht umsonst hat Schmitt zwei Bücher zur Politischen Theologie geschrieben, ein Begriff, den Schmitt von Bakunin, einem Erzfeind, übernimmt und ganz für seine eigenen Belange zurichtet. Die Ohrfeigen, die Carl Schmitt den Romantikern (ob politisch oder nicht) verabreicht hat, schallen noch heute durch die deutschen Wälder. Der Romantiker ist der Platzhalter für das von Carl Schmitt gehasste „endlose Gespräch“. Der Romantiker entscheidet nicht, und er entscheidet sich nicht. Er kann immer nur die Dinge noch einmal wenden, um ihnen einen weiteren Aspekt hinzuzufügen. Carl Schmitt spielt nicht, er ist kein „homo ludens“. Für ihn gibt es den nicht weiter verhandelbaren Ausgangspunkt, und das ist, wie Meier oben sagt, der Glaube an die Offenbarung. Es ist ein absoluter Glaube, der hinter Lessing und seine Ringparabel zurückgeht, denn die Gleichberechtigung der verschiedenen Glaubenssysteme wäre das Letzte, woran sich Schmitt orientieren würde. Es steht nicht Glaube gegen Glaube (so Lessing und die dann mögliche Harmonisierung), sondern wahrer Glaube gegen Irrglauben.

 

Schmitt ist Katholik, kein Moslem oder Jude. Er glaubt an die Erbsünde, an die Schlechtigkeit des Menschen und, als Jurist sprechend, dass die Autorität und nicht die Wahrheit das Gesetz schaffe. Die Schwäche des Menschen benötigt ein ihn Überwölbendes. Und das kann nicht einfach ein dahergelaufener Glaube sein, sondern es ist die Lehre des katholischen Glaubens. Schmitts Lehre des Politischen steht und fällt mit der Möglichkeit, die Freund-Feind-Frage erstrangig zu beantworten. Es gibt das Politische, weil es den Feind gibt. Dabei reicht Schmitt die bloße Möglichkeit, dass es den Feind geben kann, aus, dass dieser immer im Hintergrund darauf wartet, bekämpft zu werden. So wohnt dieser Lehre ein primordialer Antagonismus inne, ohne dass die Lehre per se „bellizistisch“ sein muss. Der Romantiker hat keinen Feind, da es im Verschiebeverfahren des Romantikers dafür gar keine Position gibt. Hier rastet nichts ein.

 

Heinrich Meier geht der Frage nach dem Feind ausführlich nach, denn diese Frage ist das Herzstück der Politischen Theologie. Sie ist die fragwürdigste, und das in beider Hinsicht: die wichtigste und diejenige, zu der man dezisionistisch Stellung beziehen muss. Die Sache ist nicht ganz so vertrackt wie bei Johann Gottlieb Fichte und seinem Problem der (Selbst)Setzungen des Ich. Aber auch bei Schmitt, so Meier, geht es zuletzt um „Selbsterkenntnis“. Nur wer den Feind erkennt, erkennt sich selbst. Die Definition des Feindes lässt sich Schmitt ausgerechnet von einem Dichter vorgeben, Theodor Däubler, und – noch wundersamer – Carl Schmitt geht zurück bis zu Kain und Abel im AT, wo er den Anderen glaubt als Bruder fassen zu können und damit als Feind, denn nur der Feind als Anderer als Bruder als Alter Ego vermag dem Ego die wahre Selbsterkenntnis zu verschaffen. Ist man hier nicht bei der „Durchgängigkeit“ der Begriffe angelangt, die Schmitt selbst als „Gänsebeinlogik“ in „Der Hüter der Verfassung“ zu tiefst verabscheut hatte, weil dabei ständig vertauscht und verschoben würde? Romantisches „glissement“?

 

Heinrich Meier stellt zu Recht heraus, dass es sich bei Schmitts Begriff des Feindes um keine phänomenologische Beschreibung geografischer und historisch-politischer Situationen handeln kann. Dieser Begriff ist knallhart metaphysisch. Das heißt, man bekommt es mit ihm zu tun, auch wenn man nicht selbst daran glaubt. Es reicht ja, wenn bloß einer eine solche Setzung tätigt. Und das ist das Perfide an diesem Begriff und an Schmitts Vorgehen. Letztlich unterscheidet es ihn in nichts von Terroristen der RAF oder radikalislamistischen Gotteskämpfern. Nur scheinbar entspannter geht es bei Ernst Jünger zu, der auf das letzte Wort und die Wahrheit verzichtet und davon ausgeht, dass die Welt ein agonales Prinzip durchwalte. Auch hier ist also das Feindprinzip primär gesetzt, aber die jeweiligen Positionen sind allesamt kontingent. Habermasianer tun alles, um gegen ein solches Denken, das nicht bloßes Denken bleibt, anzudenken. Nein, man kommt nicht zueinander. Man hört immer nur voneinander. Und das kann dann auch sehr weh tun. Heinrich Meiers Buch „Die Lehre Carl Schmitts ist nun in dritter Auflage erschienen (1994/2004). Es wird so schnell nicht veralten.

 

Dieter Wenk (10-09)

 

Heinrich Meier, Die Lehre Carl Schmitts. Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie. Dritte Auflage Mit einem Rückblick: Der Streit um die Politische Theologie, Stuttgart-Weimar 2009 (Metzler)

 

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