24. Oktober 2009

Verschollen in München

 

In Bayerns Hauptstadt kann man sich zwischen Schickeria und Religion schon mal verloren fühlen.

Was haben die Zeugen Jehovas mit der medialen Schickeria, weltfernen Vinylfreaks und heruntergekommenen Clubgängern zu tun? Nicht allzu viel, möchte man sagen. Doch Uli Oesterle macht aus dieser Konstellation einen packenden Comic-Krimi. Sein Meisterwerk „Hector Umbra“ liegt nun erstmals in kompletter Fassung vor.

Sein Titelheld „Hector Umbra“ ist eine gescheiterte Existenz. Mit seinen verwahrlosten Freunden macht er die Nacht zum Tag und hängt in völlig verqualmten Clubs ab, in denen nicht nur Tabakrauch in der Luft liegt. Tagsüber schläft er seinen Rausch aus und zweifelt an seinem Leben. Umbra befindet sich in einer Sinn- und Lebenskrise, die durch den kürzlich erlittenen Verlust eines Freundes noch erschwert wird. Als sein Freund Osaka Best, der „genialste DJ der Stadt“, auf mysteriöse Weise verschwindet, ist Umbra alarmiert. Einen weiteren Verlust in seinem Freundeskreis kann er nicht verkraften. Er macht sich auf die Suche und gerät in eine Unterwelt, in der es vor obskuren Gestalten nur so wimmelt. Eine irre Stadtstreicherin, die mit schwarzer Farbe eingebildete Tore in andere Welten versperrt. Aufdringliche Wachturmverkäufer, die im Auftrag einer höheren Macht handeln. Dazu kommen die skurrilen Figuren aus der Halbwelt der medialen Musikbranche, Türsteher, Groopies, Drogenhändler, ein neidischer DJ et cetera. Umbras engagierte Suche nach Osaka Best nimmt zwischenzeitlich höchst mysteriöse Züge an. Die entscheidende Auseinandersetzung dabei findet mit einer scheinbar imaginierten Macht, einer sehr konkreten Wahnvorstellung, statt. In einem Techno-Kampf in der Münchener Frauenkirche gipfelt diese Auseinandersetzung zwischen irdischer und pararealer Welt.

Kein Wunder, denn in „Hector Umbra“ geht es um das Wandeln zwischen Leben und Tod, um Spiritualität, Übersinnlichkeit und Wahnsinn. Der am Leben gescheiterte Umbra selbst ist ein Wanderer zwischen den Welten, der die Lösung für die Probleme in der Realität in der übersinnlichen Welt abholt. Vielleicht vertritt er damit weite Teile der Bevölkerung, die aufgrund ihrer Sorgen und Nöte in ihrem Leben in eine irrationale Spiritualität entfliehen. Oesterles Werk ist aber auch eine Grundsatzkritik an der naiven Technikverliebtheit des Homo Modernus, der sich keinerlei Gedanken über die Abhängigkeit und Auslieferung an eine Entität macht, die er im Zweifelsfall selbst nicht mehr zu steuern weiß.

Der renommierte amerikanische Comiczeichner Mike Mignola, Erfinder der legendären Hellboy-Serie, holte Oesterle zu seinem amerikanischen Verlag Dark Horse. Es ist also nicht verwunderlich, dass Oesterles kantiger, verschrobener Stil an die Zeichnungen von eben jenem Mignola erinnert. In Frankreich wurde er 2004 mit dem „Hector Umbra“-Preis des besten Newcomers in Angoulême nominiert. Und auch in Holland feiert er enorme Erfolge mit seinem Opus Magnum, welches dort in einer edlen dreibändigen Ausgabe vorliegt.

Osterles Szenarios haben immer einen Hang zum düster-schmuddelig Grotesken. Seine Bilder sind von einer klaren Linie dominiert, die weniger sichtbare Realität abbildet und stattdessen atmosphärisch wirkt. Expressiv kann man diese Zeichnungen nennen, George Grosz und Otto Dix fallen auf Anhieb ein, wenn man Oesterles Zeichnungen betrachtet. Zugleich ist er ein hervorragender Texter und Textsetzer.

Mit dieser besonderen Exkursion durch die Unterwelt der bajuwarischen Metropole hat Oesterle seinen bislang umfangreichsten Comic vorgelegt.

 

Thomas Hummitzsch

 

Uli Oesterle: Hector Umbra. Carlsen-Verlag. Hamburg 2009. 216 S. 24,90 €, ISBN: 3551748683.

 

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