4. November 2003

Buch und Betrieb

 

Wozu Literaturkritik gut sein soll, weiß eigentlich niemand so richtig. Geht es um Geschmacksorientierung zum Zwecke der Kaufanregung, würden Inhaltsangaben, einfache Vergleiche und Genreeinordnungen vollends ausreichen. Nicht umsonst gelten „Brigitte“ und Elke Heidenreich als die wichtigsten Buchempfehlungsorgane Deutschlands. Doch erstaunlicherweise hält sich in Zeitungen und Zeitschriften standhaft ein Rezensionsmarkt aufrecht, der Bücher einer kritischen Bewertung zu unterziehen versucht. Welche absurden Maßstäbe und Mechanismen sich hinter dem scheinbar redlichen kulturellen Unterfangen verbergen können, darüber hat Charles Simmons ein bitterböses und zugleich wunderbar witziges Buch geschrieben.

 

„Belles Lettres“, in Amerika bereits 1987 erschienen, wurde nun endlich vom C. H. Beck Verlag erstmals auf Deutsch herausgebracht. Doch diese zeitliche Verzögerung bedeutet keinen Mangel an Aktualität. Einiges, was aus den Redaktionsräumen an Intimem, Abgründigem und Geheimem preisgegeben wird, mag für Kenner der amerikanischen Literaturszene hohen Erkennungswert haben. Wie die Schwemme an Biografien zurzeit wieder zeigt, ist solcherlei Interesse wohl eine anthropologische Konstante. Doch die Freude an personaler Aufdeckung ist doch oft nur von kurzer Dauer und Simmons` Roman zum Glück auch nicht so sehr Schlüsselroman als vielmehr eine zeitlose Satire über den andauernden Ausverkauf des Literaturbetriebs.

 

Charles Simmons hat selbst mehr als 30 Jahre lang als Kritiker bei der New York Times Book Review gearbeitet. Dabei scheint er auch so einiges eingesteckt zu haben. Glücklicherweise wirkt sein Roman aber an keiner Stelle verbittert. Im Gegenteil, selbst den profilierungssüchtigsten, skrupellosesten Charakteren wohnt eine fast sympathische Kauzigkeit inne. Die analytisch-objektive Erzählweise tut ihr Übriges.

 

Nur anfangs liest sich das etwas zäh. Die zusammengetragenen Fakten über die Gründung und die Anfangszeit der fiktiven Literaturzeitschrift „Belles Lettres“, die seit den 50er Jahren wöchentlich erscheint, gründen sich auf die Seminararbeit des jungen Ich-Erzählers Frank Page. Dieser wird später vom derzeitigen Chef als Redakteur eingestellt, da der Student mit seiner Arbeit bewiesen habe, dass er versteht, worum es geht.

 

So richtig hat Page zu dieser Zeit allerdings noch gar nicht verstanden, wo der Hase lang läuft. Sonst würde er seine ironischen Bemerkungen besser im Zaum halten. Als er in einer seiner ersten Redaktionssitzungen als Witz äußert, man solle aus Public-Relations-Gründen eine Liste mit den 25 besten amerikanischen Autoren ins Blatt stellen, wird dieser Vorschlag von der Verlegerin sofort dankbar aufgegriffen. Dass der Kanon nach wochenlanger interner Diskussion schließlich aus einem Lexikon abgeschrieben ist, tut dem Erfolg der Aktion keinen Abbruch.

 

Mit Frank Page hat sich Simmons ein äußerst glattes Alter Ego zugelegt. Er eignet sich gut als Hauptfigur, ist so integer wie anpassungsfähig und erlebt somit so manchen Wechsel an Chefredakteuren. Mit Literatur haben die vom Großkonzern durchgereichten Blatt-Sanierer nicht unbedingt viel am Hut. „Wenn ich erfolgreich Fotomodelle entblättert hab, werd ich wohl auch in Büchern blättern können“, preist einer von ihnen seine Fähigkeiten an. Doch es kommen auch nachdenklichere Geister auf den Posten, die den Spagat zwischen Geist und Kommerz rhetorisch brillant meistern. Die Redaktionssitzungen sind so plastisch dargestellt, dass die Passagen ohne weiteres als Drehbuch zu einem skurrilen Coen-Brothers-Film dienen könnten.

 

„Ich wünsche, dass Sie Geschmack produzieren! Ich will nicht, dass Belles Lettres darüber spekuliert, wer den Nobelpreis bekommt, ich will, dass Belles Lettres über den Nobelpreis entscheidet“, wird in offener Hybris gefordert oder realistisch auf den Punkt gebracht, wie der Markt funktioniert: „Jede Woche halten wir drei oder vier Bücher hoch, damit die Leute in die Buchläden laufen und sie kaufen ...Wir sagen den Lesern nicht etwa: Das Buch hier, das in dieser Woche erschienen ist, ist ziemlich gut, aber warten Sie lieber bis nächste Woche, weil dann ein wirklich gutes Buch erscheint.“ Auf „Belles Lettres“ haben wir wohl lange genug gewartet, um uns ein unabhängiges Urteil erlauben zu können. Aber vielleicht überlassen wir das doch besser den Profis. Die brauchen das Geld.

 

Gustav Mechlenburg

 

Charles Simmons: Belles Lettres. Roman. Aus dem Englischen von Klaus Modick. Übersetzung der Sonette: Ulrike Draesner. Verlag C. H. Beck, München 2003. 184 Seiten, 17,90 Euro