13. Oktober 2009

Hartgekocht - vier

 

Nur Idioten ziehen aufs Land, weil sie denken, dort wäre die Welt noch in Ordnung. Landluft soll gut sein. Mitunter ist sie aber auch tödlich. Ex-Polizist Turner hat sich auf dem Land zur Ruhe gesetzt. Döst sich in einen alkoholgesättigten Küchenstuhlschlaf. Kann hilfreich sein, wenn man bereits auf dem Weg in die ewigen Jagdgründe ist.

Mit der Ruhe ist es aber rasch vorbei, als man die Leiche eines jungen Mannes findet. Der ist nicht nur tot, sondern wurde obendrein auch noch gekreuzigt und gepfählt. Da „empfähle“ noch einer zukünftig Urlaub auf dem Land. (Bitte Lacher einspielen.)

Der Sheriff knattert mit dem Jeep zu Turner und bittet ihn um Hilfe. Tipp an alle Landpolizisten: Immer zusehen, dass ein Turner in der Nähe ist. Sollte keiner da sein, könnte es beim nächsten Mord eng werden.

Weil dem Turner unseres Romans gerade langweilig ist, schließt er sich den polizeilichen Ermittlungen an. Immer noch besser als sich tot dösen. Und ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, nein, flüstere: „Der Mörder wird gefasst.“ Passt. Klingt aber irgendwie nicht überraschend. Soll es wohl auch nicht. Denn der Mord ist nur ein Gimmick am Rande.

 

Die eigentliche Geschichte hätte Sallis locker in 30 Seiten packen können. Vielleicht auch 50. Höchstens aber 70. Aber um die eigentliche Geschichte geht es ihm nicht. Er kümmert sich um einen Personenkreis, der von der modernen Literatur gerne vernachlässigt wird. Er schreibt über die Menschen.

Natürlich kümmert er sich hauptsächlich um Turner. Das ist gut und richtig so. Schließlich hat er das arme Schwein ja auch erfunden. Und ein wenig väterliche Sorge sollte da schon walten.

Sallis entfaltet Turners Leben auf dem Hintergrund eines zweiten Erzählstrangs. Wie Seiltänzer folgen wir Turner auf diesem Faden, der in seine Vergangenheit führt. Und wieder zurück. Es ist kein Ariadnefaden. Es ist ein Noirfaden. Sallis kennt sich im Genre aus. So gut, dass er die eigentlichen Wege immer wieder verlässt, um die Nebenschauplätze zu erkunden und zu zerstören. Ein Guerillakämpfer der Literatur. Das tat er bereits in seinem gelobten Roman „Driver“. Dort bombte er alles kurz und klein, um es anschließend neu aufbauen zu dürfen. Nachkriegsliteratur eben. Nur ohne Trümmerfrauen. Dafür mit Gangstern und Rache. „Driver“ ist ein Highlight des Kriminalromans.

In diesem Roman ist alles etwas träger. Wir sind ja auch auf dem Land. Da ticken die Uhren halt anders. Trotzdem ist es ein echter Sallis. Und das heißt, es ist ein großer Roman.

 

James Sallis wurde 1944 in Arkansas geboren. 2008 wurde Sallis für seinen Roman „Driver“ mit dem Krimipreis ausgezeichnet. James Sallis ist immer eine Lesesünde wert. Sein Roman „Dunkle Schuld“ ist eine Reise ins Herz der amerikanischen Finsternis, wie auch eine Reise ins dunkle Herz seines Protagonisten Turner. Die Erlösung könnte auf der letzten Seite lauern. Sie lauert aber in jedem Satz. Tun Sie also etwas für Ihr Seelenheil und lesen Sie Sallis. Amen.

 

Guido Rohm

 

 

James Sallis: Dunkle Schuld, 8,95 Euro, Heyne 2009

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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