28. September 2009

Keine Zeit für Jim

 

Tote können bekanntlich nicht mehr reden. Aber was wäre, wenn sie doch plötzlich Kontakt mit uns aufnehmen würden? Was würden sie uns erzählen?

Probieren wir es einfach aus. Stören wir die Totenruhe und lassen wir den unvergleichlichen Jim Thompson zu Wort kommen.

 

 

Das soll es also gewesen sein?

Ich weiß nicht, wie Sie sich die Ewigkeit vorstellen. Aber glauben Sie mir: Es ist anders.

Sitze da und trinke. Setze das Glas an meine Lippen, die ich nicht mehr spüre und denke über die Vergangenheit nach. Mehr kann man nicht tun. Das ist schon viel. Vor allem bei meiner Vergangenheit.

Ich trinke schon immer. Was ich trinke? Ist doch egal. Ich trinke. Das zählt. Sonst nichts. Die Trinkerei ist immer ein Makel für die Umwelt. Die können Trinker nicht gebrauchen. Früher nicht. Heute nicht. Aber ich glaube, früher kam man besser damit durch.

Der Trinker? Nun, der Trinker kann sich auch nicht gebrauchen. Aber was soll er machen? Hängt in sich drin wie in einem schäbigen Kokon, den er nie abwerfen wird. Ist sein eigener Kerker. Hockt da drin. An Ketten aus Longdrinkgläsern.

Lassen Sie sich nichts einreden. Für den Trinker existiert der Makel auch. Und um diesen Makel wieder zu vergessen, trinkt er.

Schämen und Trinken. Trinken und Schämen.

Wenn man in diesem Karussell erst mal drin hängt, ist es schwer auszusteigen. Man kotzt sich ständig die Schuhe voll. Die Dreherei macht einen ganz wirr im Kopf. Aber man kann einfach nicht absteigen. Ist ein Gefangener dieses Freizeitparks. So geht das. Immer so weiter und so fort, bis man irgendwann tot vom Pferd fällt oder mit dem Kopf in die Schreibmaschine knallt.

Meine Familie sparte dieses Thema aus. Glorifizierten mich zu einem Schwerstarbeiter. Das ging in Ordnung. Ich schrieb mich auch zu einer Person, die ich nie war.

Damit hier keine falschen Ideen aufkommen. Ich war ein Schwerstarbeiter. Aber nicht nur.

Ich sparte den Alkohol nicht aus. Ich schrieb sogar darüber. Ich schrieb immer. Irgendwie. Ließ mir eine Schreibmaschine und 2 Wochen von einem Verlag geben. Kam raus und hatte einen Roman in der Hand. So läuft das bei mir.

Am Ende kamen 29 Romane dabei rum. Aber was brachte es mir? Gegen Ende meines Lebens war ich nahezu vergessen. Es wollte mich keiner mehr lesen.

Ich ersoff in meinen Romananfängen. Schickte verzweifelt Idee für Idee an die Verleger. Die spuckten auf mich und in meine Suppe. War auch in Ordnung. Irgendwer muss ja die Suppe salzen.

Sie vergaßen mich. Ist nicht weiter schlimm. Einen Drink drauf und weiter geht es.

Die Franzosen haben mich immer gemocht. Und dieser deutsche Verlag kümmerte sich rührend. Nannten sich nach dem Typen in der Tonne. Da fand sich so einiges von mir im Programm. Und nun soll Schluss sein. Sie bringen noch einmal 4 meiner Romane. Und dann …

Dabei war ich doch mal so eine Art König. Habe 2 Biografien über mich geschrieben. Habe in allen Jobs gearbeitet. War mitten drin in der Pulp-Ära. Ein Gott. Erkannten leider nur die wenigsten. Oder vergaßen es wieder. Mochten meinen Stil wohl nicht. Dieses Wanken am Abgrund.

Es gab Zeiten, da haben sie meine Bücher verfilmt. Gute Filme. Aber nichts für ungut. Die Bücher waren auch nicht schlecht.

Heute interessiert mich das nicht mehr. Ich bin längst tot. Hocke hier und starre auf die Falten in meiner Hand, auf das Glas, auf die Wand. Da ist nichts. Das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben, wenn Sie das nächste Mal für die Toten beten.

So. Das war alles. Vielleicht haben Sie ja etwas Zeit übrig. Und wenn Sie überhaupt nicht wissen, wohin damit, dann schenken Sie Ihre Zeit einfach mir. Ich könnte Sie gebrauchen. Warum? Na, weil meine abgelaufen ist.

 

Guido Rohm

www.myspace.com/guidorohm

 

 

Romane von Jim Thompson bei Diogenes:

 

Der Mörder in mir, Roman, 2009

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

amazon

 

Getaway, Zwölfhundertachtzig schwarze Seelen, Roman

 

Muttersöhnchen, Roman