25. September 2009

Zwischenbilanz

 

Der Band beginnt mit schwerem Geschütz. Da ist vom „ästhetischen Fundamentalisten“ Christian Kracht die Rede (das Wort stammt von Gustav Seibt). Oliver Jahraus versucht in seinem, das Seibtsche Wort aufgreifenden Text, Christian Kracht als Avantgarde wenn nicht zu feiern, so doch auf der literaturwissenschaftlichen Bleispur ganz nach vorne zu schieben. Gegenkanditaten? Werden nicht genannt. Kriterien? Fehlanzeige. Immerhin eine Definition des Prinzips des „ästhetischen Fundamentalismus“: nämlich „die Spannung in der Ästhetisierung des Nicht-Ästhetischen“. Ah ja. Gab es da nicht schon mal eine Diskussion eines gewissen W. Benjamin?

 

Ich meine, das hat Christian Kracht nicht verdient. Wie sehr er auch mit rechts kokettieren mag, es ist Koketterie, also Ironie, also nicht fundamentalistisch. Aus ästhetischen Gründen kann man das Wort fundamentalistisch nicht mit Kracht in Verbindung bringen. Als ob ein Jurist plötzlich von Selbstmord reden würde. Widerspruch im Beiwort. Der nächste Text versucht eine ähnliche Großklammer zu lancieren. Eine Großmetapher (hatten wir es sonst lediglich mit Kleinmetaphern zu? Wie furchtbar) für Krachts Ästhetik: „Das Verschwinden ist in allen Fällen ein transitorischer Prozess, in dem etwas Vorhandenes in einen neuen Zustand übergeht, an dessen Ende jedoch weder das Verschwundene noch das im Verschwinden neu Entstehende sichtbar werden.“ Nun ja, wenn etwas verschwunden ist, fällt es natürlich verdammt schwer, es sichtbar zu machen.

 

Gleichwohl wird hier auf etwas aufmerksam gemacht, das wie ein roter Faden die Texte durchzieht: Christian Kracht, wo steckst Du. Was denkst Du wirklich. Hast Du eine positive Vision. Zergeht alles in Ironie, oder ist sie „over“? Christian Kracht reist halt extrem viel, da fällt es schwer, ihn zu positionieren, zu lokalisieren, andere, neue Orte, neue Probleme, neue Fragen, neue Spiele. Wer immer nur in der Uckermark rumhängt, ist leicht zu orten. Christian Kracht ist eine privilegierte Persönlichkeit, aber spricht das gegen ihn? Was kann er dafür, dass sein Vater „Generalbevollmächtigter“ A. Springers war. Klar, dass hier „Der Freund“ lanciert wird. Aber anderes wird woanders untergebracht. Natürlich gibt es in diesem Sammelband auch ganz Wohltuendes zu lesen, so etwa Eckhart Nickels Beitrag „,Travels with my Aunt’“, der gemeinsame Look von Kracht und Nickel bei ihrer ersten Begegnung (es gibt noch so etwas wie Schicksal), der Katalog aus Abenteuern noch vor ihrer beider Karriere; hier muss nichts bewiesen werden, keine Hypothese durchstreift den eben nicht akademischen Text, aber klar, hier spricht ein Adlatus.

 

Schade, kein Text von David Woodard in dem Band. Ansonsten wird hier nichts ausgelassen, Christian Kracht zu vermessen, Texte also zu seinen drei Romanen, zu seiner Herausgeberschaft, zum Thema Exotismus, zu Christian Kracht im Netz (pool) und vieles andere mehr. Etwa eine Chronologie der Ereignisse (Kracht ist Schweizer Staatsbürger). Avantgarde und Experiment hin oder her: Christian Kracht ist einer der besten Autoren, die „wir“ haben.

 

Dieter Wenk (09-09)

 

Christian Kracht. Zu Leben und Werk, hrsg. von Johannes Birgfeld/Claude D. Conter, Köln 2009 (Kiepenheuer & Witsch)

 

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