20. September 2009

Unsichtbare Strippenzieher

 

Wer heute von unsichtbaren Strippenziehern spricht, die hinter den Kulissen die Politik bestimmen, fängt sich rasch das Attribut eines Verschwörungstheoretikers ein. Dieses Urteil wirkt inzwischen wie ein modernes Anathema, durch das unerwünschte Kritik verbannt und die Boten der Nachricht der Lächerlichkeit preisgegeben werden – also ein elegantes Mittel, um Argumente von der Gegenseite erst gar nicht wahrnehmen zu müssen. Sämtliche rhetorische Mittel, die den Einfluss mächtiger Interessengruppen in den Hinterzimmern nachzeichnen wollen, geraten in diese Falle des neuzeitlichen Scherbengerichtes. Während sich der Ostrakismus im antiken Griechenland gegen mögliche Usurpatoren und Tyrannen richtete, trifft das Verdikt heutzutage diejenigen, die den Angriff auf bürgerliche Rechte, die mangelnde Trennung der Gewalten und die fehlenden öffentlichen Debatten über die schleichende Erosion der demokratischen Grundfeste anmahnen. Deswegen werden sich Personen, die ernstgenommen werden wollen, hüten, diese Idee gar zu einer unsichtbaren Regierung zuzuspitzen, durch die eine aristokratische Elite über eine dumpfe Masse herrscht, die mit geschickt eingesetzten Instrumenten fast nach Belieben gesteuert werden kann. Sollte es einen Whistleblower aus den Reihen der Entscheidungsträger geben, seine Karriere wäre beendet, wobei das wahrscheinlich die harmloseste Konsequenz wäre.

 

Eine derartige Persönlichkeit hat es allerdings gegeben: Bei ihr handelte es sich um Edward Bernays, einem amerikanischen Neffen des Vaters der Psychoanalyse, Sigmund Freud. Der 1891 geborene Amerikaner hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die öffentliche Meinung zu erforschen und diese im Sinne seiner Finanziers aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Verwaltung und Pädagogik günstig zu beeinflussen. Bernays begnügte sich nicht mit Rolle eines Theoretikers, vielmehr agierte er aktiv und bestimmte dadurch über ein halbes Jahrhundert die amerikanische Kultur und den Aufstieg zur Weltmacht mit. Während des Ersten Weltkriegs baute er mit Walter Lippmann das U.S. Committee on Public Information (CPI) auf, um wie ein Ingenieur in der Bevölkerung einen Konsens herzustellen, durch den Eintritt in den laufenden Weltkrieg in Übersee gerechtfertigt werden konnte: Es hieß, die Welt für die Demokratie sicherer zu machen. Eine weitere erfolgreiche Kampagne führte im Auftrag der United Fruit Company 1954 Jahre zum Putsch in Guatemala mit Unterstützung der CIA. Zu seinen weiteren Klienten gehörten neben Präsident Calvin Coolidge und dem Präsidenten der just gegründeten Tschechoslowakei nach dem Ersten Weltkrieg, Tomás Garrigue Masaryk, die Firmen Procter & Gamble, CBS, die American Tobacco Company und General Electric. Dieser Pionier der verdeckten Einflussnahme segnete erst 1995 das Zeitliche.

 

Der Name Bernays wird trotz seiner Bedeutung nur den wenigsten geläufig sein, am ehesten Fachleuten für Public Relations, Soziologen, Politologen und zeitgeschichtlich Interessierten. Dabei lohnt sich eine Auseinandersetzung mit seinem Werk und seinen Ideen durchaus. Die Graue Eminenz der PR veröffentlichte 1928 eine Sammlung vormals verstreuter Aufsätze unter dem eindeutigen Titel „Propaganda“. Der als Kritiker von Bush und Cheney zu Ansehen gekommene Mark Crispin Miller beleuchtet in seiner Einleitung, die mit gut 30 Seiten ein Fünftel des Bandes einnimmt, die zeitgeschichtlichen Hintergründe. Denn Bernays versuchte sich damals mit derselben Strategie durchzusetzen, die in den 1960er Jahren von den Neuen Sozialen Bewegungen genutzt wurden, nämlich die offensive Verwendung eines verschmähten Begriffs, um ihn fortan als positiv zu besetzen. Was den Lesben und Schwulen Ende des 20. Jahrhunderts gelang, daran scheiterte Bernays. Während auf dem europäischen Schlachtfeld gestorben wurde, lieferte die eigene PR den Alliierten eine Gräuelpropaganda, die auf der berüchtigten Hunnenrede Kaiser Wilhelms II. aufbaute und den Begriff für das Publikum ausnahmslos mit feindlicher Manipulation verknüpfte. In den Roaring Twenties flogen jedoch die Verfälschungen des CPI und anderer Denkfabriken auf, mit denen Amerikaner und Briten im Sinne ihrer Regierungen für den Krieg gewonnen wurden. Der britische Abgeordnete des House of Commons, Arthur Posonby, legte fast zeitgleich mit Bernays ein Brevier der Selbstbezichtigung vor. Somit war der Begriff der Propaganda obsolet – heute hieße es „verbrannt“. Die Graue Eminenz als Ewiggestrigen, jeglicher Erkenntnis Verschlossenen zu verdammen, wäre der Sache nicht gerecht.

 

Bernays hat den Begriff Propaganda nicht erfunden. Das Wort wurde erstmals 1622 von Papst Gregor XV. im Rahmen der Gegenreformation geprägt und fand als Institution ab 1627 in der von Papst Urban VIII. Congregatio de propaganda fide. Diese Herrschaftstechniken, durch die der Status Quo erhalten werden sollte, wurden in den folgenden Jahrhunderten z.B. von Napoleon genutzt, obwohl der Begriff vermieden wurde und deshalb im Diskurs nicht auftauchte. Im 19. Jahrhundert wurden amerikanische Politiker wie Abraham Lincoln mit ihren öffentlichen Rededuellen zur Avantgarde der Propaganda, die jedoch mit dem Einzug der (damals) neuen Medien Radio und Fernsehen ins Hintertreffen gerieten und ihre Stellung an die Wirtschaft abgaben. Bernays formuliert dabei eine neue Propaganda, die Methoden der indirekten Beeinflussung nutzt, um die Wählenden und Konsumenten in dem Glauben zu lassen, sie hätten sich selbst entschieden. Durch scheinbar neutrale Quellen wie Wissenschaft und medizinische Forschung sollten nicht mehr die Vorzüge des Produkts selbst in den Vordergrund gerückt werden, vielmehr ging es um subtile Appelle an eine Masse, die Bernays ähnlich wie Gustave Le Bon als dumm und verführbar verachtete. Dabei übertrug Freuds Erkenntnisse über den Einfluss des Unbewussten auf Gruppen von Personen.

 

Der Charakter seines Essays als Manifest wird im programmatischen ersten Absatz deutlich: „Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in demokratischen Gesellschaften. Diese Manipulatoren der unsichtbaren Mechanismen der Gesellschaft konstituieren eine unsichtbare Regierung, die die wahre herrschende Macht in unserem Land ist.“ Obwohl Bernays de facto über Leichen ging, verstand er sich überraschenderweise als Idealist, der seiner Branche ein Ethos nahelegte. Der kleine Leviathan der Propaganda sollte die Gesellschaft verbessern, indem er sich nach neuesten Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung richtete.

 

Die dünne Schrift Bernays’ ist mehr als ein Zeitdokument und ein überholter Lehressay für die politische Klasse. Der unverblümte, hemdsärmelige Tonfall, in dem hier in übersichtlichen Kapiteln Einblicke in das historische Geschehen geliefert werden, macht das Handbuch heute noch für ein breites Publikum lesbar. Eine deutsche Ausgabe im Rahmen der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung wäre mehr als wünschenswert; allerdings wären dabei historisch-kritische Anmerkungen erforderlich, die in einem kleinen Apparat ergänzt werden könnten, weil ein Großteil der erwähnten Anekdoten über Ereignisse aus der amerikanischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sonst rätselhaft blieben.

 

Die Neuausgabe des amerikanischen Verlages scheint hingegen von einem Publikum auszugehen, das im Zweifelsfall mit einem Klick bei Wikipedia nachschlägt, um sich zu orientieren. Dass sich auf den letzten 50 Seiten Druckfehler häufen, empfinde ich als Schlamperei, die von einem Lektorat nachgebessert werden könnte, zumal das Werk offensichtlich international nachgefragt wird. In der siebten Auflage, die mir vorliegt, sind diese Nachlässigkeiten peinlich.

 

Britta Madeleine Woitschig (09/09)

 

Edward Bernays: Propaganda. With an Introduction by Mark Crispin Miller, Brooklyn, New York: ig Publishing 2008, 168 Seiten, ISBN 978-0-9703125-9-4