4. November 2003

Am Ende doch Theater

 

Sie haben noch alles vor sich oder schon alles hinter sich. Sie sind Quereinsteiger aus Frust oder Renegaten der offiziell eingespielten Lust. Weniger hysterisch als neurotisch. Verletzt bis aufs Fleisch oder verkopft ohne Zugang zum Körper. Harmlos oder wahnsinnig bis zum Mord. Man muss nicht viel kratzen, um zu erfahren, wie es um sie steht. Die Fassade ist jedenfalls lässig bis cool mit mehr als einem Anstrich Zynismus. Nach mehr als drei Sätzen verrät einen der Zynismus, oder die Beichte kommt von ganz allein. Dass man mit dem Job nicht zufrieden ist. Dass das ganze Leben doch nicht daraus bestehen kann. Dass man die Schnauze voll hat von der Schauspielerei und man sich überhaupt nicht dafür schämt, zu kellnern (es wimmelt hier vor Kellnern).

Der 30-jährige David hat mal in einer Fernsehserie mitgespielt. Als der 18-jährige Hilfskellner Come seinem angebeten David in der Villa seiner steinreichen, aber den Reichtum nicht zusammen genießenden Eltern eine Folge der Serie vorführen möchte, um ihm zu zeigen, wie sehr er ihn verehrt und wie sehr er so sein möchte wie David, bekommt man sofort eine Ahnung davon, dass diese Serie ein ziemlicher Müll sein musste und dass David vielleicht gar nicht das Handtuch geworfen hat, weil er ein schlechter Schauspieler ist, was ihm seine verklemmte Mitbewohnerin Candy vorwirft, als sie mal in einer Situation steckt, wo auch sie mal austeilen möchte. Wie auch immer, David, der Held des Films, sieht ziemlich gut aus, auch ein halbes Jahr nach Ausstieg aus der Serie, und letztlich kann man ihn ja nur beneiden, wie sich alles nach ihm drängt, was für ihn natürlich auch anstrengend sein kann. Aber das Personal, das er zu seinen Freunden und Bekannten zählen kann, ist wirklich beachtlich. Neben der schreibenden Candy, der allerdings die Bücher nie gefallen, die sie rezensiert (ach, wie im Leben) und die zwischen Hetero- und Lesbentum verzweifelt pendelt und schließlich alles kaputt macht, der wahrsagenden Hexe Benita, einer jungen Frau, die sich in Sado-Maso-Praktiken ganz gut auskennt und damit ihr Geld verdient, wobei David ihr manchmal sehr souverän hilft, der entschiedenen Schwuchtel Sal, ebenfalls Schauspieler, aber auch gerade auf Eis liegend und leider mit dem Virus behaftet, was ihn jedoch nicht daran hindert, cool in Diskotheken abzuhängen, gibt es da noch diesen etwas undurchschaubaren Bernie, der arrivierteste der Combo, aber auch der verzweifeltste. Man weiß gar nicht, wie David mit ihm noch zu tun hat, David weiß es selbst nicht, und das wirft ihm Bernie auch vor. Hanebüchen ist freilich die Begründung, dass man wegen einer etwas schleifenden Freundschaft gleich zum Serienmörder werden muss.

Das ist dem Film ein Anhängsel, eine Art Schmuck aus der Serie amouröser Abartigkeiten, die sich der Regisseur oder der ursprüngliche Theaterautor nicht entgehen lassen wollte. Der Abgang des Mörders ist zwar wirklich „unheimlich stark“ – auf einem Hochhaus stehend und David zur Rechtschaffenheit ziehend, lässt Bernie sich dann mit den Worten „Ich liebe dich“ von der Dachkante in die Tiefe fallen –, aber diese Figur ist wohl die schwächste des Films, nicht hinter jeder alltäglichen und beruflichen Kalamität lauert ein Monster. Ansonsten hat der Film das, was man Atmosphäre nennt, und nur, wenn man ihn schon ein paar Mal gesehen hat, scheint das Theatergerüst durch und man spürt den Vorführeffekt im Sexuellen, den man sich Anfang der 90er nicht entgehen lassen wollte. Und so pendelt die Betrachtung zwischen nostalgischer Coolheit und der Sympathie mit dem eigenen abgelegten Schicksal.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Denys Arcand, Liebe und andere Grausamkeiten (Love and other remains), Kanada 1993</typohead>