23. August 2009

Armer Klassikaner

 

Etwas Don-Quichoteskes steckte von Anfang an im Bauhaus, das seinen Anfang 1919 in Weimar nahm, um 1925, durch die Nationalsozialisten vertrieben, nach Dessau umzuziehen, bis 1932 ebenfalls dort das Ende kam, erneut erzwungen durch die baldigen neuen Machthaber. Walter Gropius hatte in seinem Bauhaus-Gründungsmanifest von einer „Kathedrale der Zukunft“ gesprochen, doch die Wirklichkeit sah anders aus.

 

Ré Soupault, die als Bauhausschülerin sich auskannte, schrieb: „Die Mehrzahl der Schüler war völlig mittellos. Sie litten Hunger, die Werkstätten, die während des Kriegs als Militärspital gedient hatten, waren ungeheizt, und zu Anfang herrschte überdies Mangel an Tischen, Stühlen, an jeglichem Mobiliar: die Studenten mussten auf dem Fußboden sitzend arbeiten.“ Eine Architekturklasse gab es zudem gar nicht in Weimar, erst 1927, also schon in Dessau, wurde eine solche eingeführt. Gleichwohl waren die Schüler fasziniert, von dem Glauben, etwas Neues schaffen zu können, und von den „Meistern“, allen voran Johannes Itten, einem Schweizer, der bis 1923 den von ihm eingeführten „Vorkurs“ leitete, in dem es vor allem darum ging, die „kreativen Kräfte“ der Studenten freizusetzen, die Berufswahl zu erleichtern und die Kompositionsregeln zu vermitteln.

 

Was von den Schülern als neue Freiheit (und vielleicht auch als neue Verpflichtung) empfunden wurde, stieß in der näheren Umgebung, also bei den Bewohnern von Weimar, zumeist auf Unverständnis. Ré Soupault: „Die Atmosphäre in der Stadt Weimar war nicht sehr günstig für Leute, die zeigten, dass sie nicht nur die Kunst, sondern auch das Leben verändern wollten. Die ,braven Bürger’ der Goethestadt waren davon zutiefst verstört. Es genügte, dass eine junge Frau in Sandalen und mit kurzgeschnittenen Haaren und ein junger Mann mit weiten Hosen den ,Frauenplan’ überquerten, an dem das Goethehaus liegt, und die Spießer schrien um Hilfe.“ Nun, die Hilfe kam ja dann auch, 1925.

 

Aber bis es soweit war, konnten Künstler wie Paul Klee, Kandinsky, Moholy-Nagy, Oskar Schlemmer und viele andere zumindest ihre Ideen verbreiten, auch wenn sie uns aus heutiger Sicht einigermaßen esoterisch vorkommen mögen. Was sich heute gar nicht mehr rezipieren lässt, ist das Klima und die Intensität dieser Neueinrichtung „Bauhaus“. Heute sind wir zufrieden, wenn ein Stuhl nicht im Rücken klemmt. Der zweite Text Ré Soupaults des in diesem sehr schön aufgemachten und mit zahlreichen Abbildungen versehenen Bändchen erlaubt einen persönlicheren Einblick in den Alltag und die verschiedenen Tätigkeiten der Künstlerin, die 1923 an der ersten Bauhaus-Ausstellung teilnahm und direkt nach Ausstellungsende mit dem Filmvisionär Viking Eggeling nach Berlin ging, wo sie dessen Assistentin wurde. Soupault: „Dieses Experiment überstieg alle meine Kräfte. Da ich aber kein Aufgeber bin, führte ich es mit Fanatismus – das kann ich sagen – bis zur Fertigstellung des Films ,Diagonal-Symphonie’ durch, der am 4. November 1924 vor geladenen Gästen in Gegenwart des Reichskunstwarts Redslob in Berlin gezeigt wurde.“

 

In Weimar fasste Ré Soupault nicht mehr Fuß. Sie erkrankte Ende 1924, erholte sich in Italien, und 1925 ging es mit dem Bauhaus in Weimar zu Ende. Nach Dessau folgte Soupault dem Bauhaus nicht. Sie ging zurück nach Berlin, als Modejournalistin, ein paar Jahre später machte sie Karriere, diesmal in Paris, wo sie die Pariser Boheme einkleidete. Schreiben, das zeigen die hier vorgelegten Texte, konnte diese Frau auch.

 

Dieter Wenk (08-09)

 

Ré Soupault: Das Bauhaus. Die heroischen Jahre von Weimar, hrsg. von Manfred Metzner, aus dem Französischen übersetzt von Beate Thill, Heidelberg 2009 (Verlag Das Wunderhorn)

 

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