21. August 2009

„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch …“

Klassik

 

Oft geht die Rede von einer Krise des Klassik. Der Markt für CDs sei gesättigt. Dies gelte für Klassik noch mehr als für Pop.

 

Tatsächlich: Verkaufszahlen sinken. Cross-over-Projekte schießen ins Kraut. Die Musikindustrie zeigt sich im Umgang mit Tauschbörsen eklatant überfordert. Richtig ist auch, dass es seriösen aufstrebenden Künstlern zunehmend schwer fällt, Fuß in der Musikwelt zu fassen. Visionäre Produzenten vom Schlage Walter Legges oder Christopher Raeburns, die Platten- und Musikgeschichte schreiben, sind kaum noch anzutreffen. Incipit Lang Lang.

 

Pessimismus ist dennoch verfehlt: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Gewiss, die Zeit der Großen Oper ist vorüber – aber soll man’s bedauern? Die Inflation der Neuproduktionen seit den 80er Jahren hat wenig musikalischen Ertrag erbracht. Zahlreiche Stars wurden gemacht. Herbert von Karajan, Spiritus Rector auch der CD, hatte bedeutenden Anteil daran. Freilich: Die meisten seiner ‚Geschöpfe’ vermochten ihr Versprechen künstlerischer Exzellenz nicht einzulösen. Viele verschlissen sich. Der Aufstieg und Fall José Carreras’ und Katia Ricciarellis steht beispielhaft für den Talmiglanz jenes Goldenen Zeitalters.

 

Heute verhält es sich anders. Die dominierenden Konzerne produzieren kaum mehr irgendwelche Zyklen, wenig Kernrepertoire. Oper findet nicht statt. Studioproduktionen sind selten geworden, eher wirft man Live-Mitschnitte auf den Markt. Zumal der Aufstieg Lang Langs und Baiba Skrides gibt Zeugnis vom Niedergang des Gewerbes.

 

Dennoch: Kein Grund zur Klage. Zahlreichen kleinen Unternehmungen gelingt, woran die großen nicht einmal scheitern: Wer ihren Katalog betrachtet, spürt nichts von der Krise. Da finden sich Schubert- und Mahler-Zyklen, Wagner-Opern und avanciertes, randständiges Repertoire – auf hohem technischem Niveau, nicht selten mit sorgsam gestalteten Covers und Booklets, wie sie bei Majors selten begegnen. Weshalb den unverzagt Kleinen gelingt, was, folgt man den Großen, nicht möglich sein dürfte – es ist nicht leicht zu begreifen.

 

Sogar die Großen tun ihren Teil, wider Willen – indem sie die Back-Kataloge verwursten. Die Wiederveröffentlichungen historischer Einspielungen zählen nach Hunderten. Szells, Rubinsteins, Oistrachs Gesamtwerk wird auf den Markt gebracht, in immer neuer, teils verbesserter, digitaler Gestalt. Schon ist die – vorgeblich – zweite Garnitur an der Reihe: Wer hätte sich träumen lassen, dass Fritz Lehmann oder Joseph Keilberth solche späten Ehren widerfahren? Für wenig Geld werden lang vermisste Referenzaufnahmen verfügbar gemacht. Billig-Linien wie eloquence oder esprit sind der wesentlichste musikalische Gewinn des letzten Jahrzehnts: Wen kümmern die Jungspunde, wenn Alte Meister in digitaler Qualität vorgelegt werden? Für musikalische Neuentdeckungen sorgen einstweilen die Kleinen. Kurzum: Wie leben in glücklichen Zeiten.

 

Daniel Krause