Träume eines Autohassers
Mitten in der Konjunkturflaute läuft das sogenannte Abwracken auf Hochtouren. Mehr davon, lasst uns die Demontage des Symbols der Moderne feiern! Ein fantastischer Spaziergang
Der französische Denker Roland Barthes hat das Automobil einmal das gegenwärtige »Äquivalent der gotischen Kathedralen« genannt. Wenn der PKW wirklich das Symbol unserer Kultur ist, dann kann man sich angesichts seiner jetzigen Krise an keinen herrlicheren Ort träumen als eine Autoverwertung.
In meiner Vorstellung nimmt ein solcher Saurierpark, der die Relikte des Traums von Mobilität ausstellt, Gestalt an. »Autoverwertung Schmitt«, »Arndt’s PKW-Recycling« oder irgendein anderer bodenständiger Name prangt am Tor dieser Autovorhölle. Im Hintergrund türmen sich zerbeulte Metallskelette gen Himmel auf und deuten den Punkt ohne Wiederkehr bereits an. Hier also bekommen die Dreckschleudern ihr letztes Geleit. Das geschieht wenig würdevoll, doch mir ist es gerade recht.
Peu à peu geht die Demontage vonstatten, fast so als ob die Autos leiden sollen. Die Verschrottung beginnt mit dem Trockenlegen. An einer Pumpstation werden Benzin, Kühlflüssigkeit, diverse Altöle abgesaugt, gleichsam per Entsafter aller Lebenskräfte entledigt. Im nächsten Schritt werden die Reifen entfernt, die vor meinem Auge auf einem großen Haufen in Flammen aufgehen. Die Fahrzeuge hauchen ihren Atem aus. Ohne Pneus und mit leerem Tank stellen sie nur mehr groteske Karikaturen von Beweglichkeit dar.
Dann geht’s an die Eingeweide. Ob es sich noch lohnt, jedes Teil auszubauen? Ich stelle mir ein Meer abgehalfterter Straßenkreuzer vor, das sich schier grenzenlos vor meinen Füssen ausbreitet. Ein Überblick ist unmöglich, der ganze Hof von Karossen übersät, deren Halbwertzeit unbekannt ist. Droht derzeit ganzen Marken das abrupte Aussterben, werden andere Fahrzeuge vielleicht noch komplett ausgeschlachtet. Ein Gabelstapler schiebt diese unsanft in große Werkstatthallen, aus denen das Zischen der Schneidbrenner und vielstimmiges Flex-Kreischen dringen. Auf die Hebebühne gebockt, wird die Amputation der Altautos fortgesetzt. Nach fachgerechter Ausweidung finden sie sich ihres Antriebs beraubt wieder, auch das Augenlicht ist erloschen, die Zündkerzen ausgepustet. Die abmontierten Teile warten in riesigen Lagern auf ihre eventuelle Weiterverwendung. Auch diese sind randvoll. In den Regalen drängen sich die Windschutzscheiben, reibt Getriebe an Getriebe und füllen Kleinteile jede Lücke. Es reihen sich die Sitze aneinander, wird eine ganze Halle zur Polsterecke. Container mit Kühlern und Motoren versperren die Sicht auf Keilriemenknäuels und Gurtgewusel. Unter einem Blechbaldachin hängen Kupplungsgestänge und Auspuffrohre zur Verschrottung bereit.
Die Restkarossen werden wieder nach draußen gezerrt und aufeinander gestapelt und haben nun wirklich fertig. In einer Ecke erkenne ich eine lachende Horde Trabbis, Überlebende des Abwrackwahns vor 20 Jahren. Nur wenige von ihnen sind übrig, heute fragen die Sammler nach den Leukoplastbombern. Sie bezeugen den Wechsel der Moden, sind die Wächter der verlorenen Schatzkisten. Diese harren als aufeinander gestapelte Hüllen dessen, wonach der Mensch einmal lechzte, dem großen Finale entgegen.
Dann treten die Karossen ihren allerletzten Gang an: In der Schredderanlage werden die Kultursymbole in handtellergroße Stücke zerlegt und dem Recycling zugeführt. Wohlige Schauer streicheln bei diesem Anblick meinen Rücken. Hier finden die hässlichen Vehikel der Moderne ihr Ende – und erleben vielleicht eine spätere Wiedergeburt als Stromabnehmer einer Straßenbahn oder als Fahrradklingel.
Tobias Prüwer