3. November 2003

Die Tücken des Tauschs

 

Spätestens bei der Strandszene, als es die ersten wichtigen Toten in diesem Film gibt, wird der Zuschauer sich vielleicht fragen, wie der Regisseur denn gedenkt, das Ende zu gestalten. Nach so viel Clip-Kultur – die Auftankszene des Anfangs – und technischer Spielerei samt postmoderner Giganto-Architektur schlägt sich von selbst irgendwo im Archiv der Erinnerung die Seite auf, wo Fläschchen mit Gift eine Rolle spielen und ein knallhartes Timing des Schicksals, als ob es darum ginge, dem Zuschauer (oder damaligen Leser) die unerbittlichste Situation des uferlosen Tränenflusses zu präsentieren.

Denn schmunzelnd auch denkt man des Anfangs dieses Films,

Wo reimend wie im Buch des Unglücks wird gedacht,

Das die Sprecherin der Nachricht im Fernsehen überbringt dem Betrachter,

Wonach zwei Familien feindlich sich gegenüberstehen – die Capulet

und die Montague – und nichts vermag, sie zu versöhnen.

Zwei Riesentürme ragen über der Stadt, und es sind doch keine Twin Towers. Woher die Feindschaft kommt, erfährt man nicht, allein die Haltung zählt und dass man nichts dem Gegner erlässt. Gegen verhärtete Köpfe hilft immer nur eins, Liebe. Romeo Montague ist bei den street-fights seit einiger Zeit nicht mehr so richtig dabei. Er träumt, lässt seine Freunde hängen, zieht sich zurück. Sie heißt Rosalinde und kommt in dem Film nicht vor, obwohl sie Romeo so ohne Verstand liebt. Aber Romeo ist noch sehr jung, und da die junge Frau etwas knauserig ist, kann man schon mal schwach werden, wenn eine andere Hübsche auftaucht. Erst diese Liebe ist dann theater- und filmreif. Sie ist so schön eingebunden, das Tragische steht schon vor der Tür. Mit der gebundenen Sprache wird es auch nicht anders, genauer: besser, als es die ersten Szenen mit Julia gibt, also Liebesszenen, und Claire Danes ist zwar wirklich ein ganz süßes Mädchen, aber Leonardo überzeugt auch als Gesicht nicht, hat mich noch nie überzeugt, und es braucht erst die technisch erzeugte Verfremdung, die Fahrt im Auto, kurz bevor er die „Katze“ der Capulet erschießt, dass da etwas Diabolisches auftaucht.

Wenn also die gebundene Sprache ein problematisches Geschenk aus der Vergangenheit ist, das die Kluft eher noch erweitert, als dass sie sie schließt (immerhin nimmt der Film die Geschichte ja Ernst), so muss auch die Gegenwart der Vergangenheit einen Tribut zollen, ohne den die Geschichte nicht plausibel erzählt werden könnte. Das sind Tauschverhältnisse, die man sich nicht aussuchen kann. Um an die anfänglich gestellte Frage anzuknüpfen, so wird diese virulent spätestens dann, wenn Romeo nach Mantua aufgebrochen ist, diese sparsam pointierte Wohnwagenwelt, und er auf die Dinge warten soll, die da noch kommen. Der Mörder ist bekanntlich nicht immer der Gärtner, sondern auch manchmal der Priester, und obwohl dieser ein wirklich toller Typ ist und superaufgeklärt und alles, vermasselt er doch die süße Geschichte, und dies einzig aus dem Grund, weil er einfach kein Handy zur Verfügung hat. Doch, es wird am Ende des Films telefoniert, aber über Festnetz, und der Priester muss geschlagen feststellen, dass Briefe nicht immer ihren Bestimmungsort erreichen. Nur Handys können das Problem der Unzustellbarkeit unmittelbar lösen, was in diesem Fall kein Problem gewesen wäre (auch außerfilmisch, das Produkt gab’s schon), denn so ein Priester kennt alles von seinem Schützling, jedenfalls wenn er so heikle Sachen vorhat wie diese. Und so reist Romeo mit einer unvollständigen Botschaft zurück nach Verona, um dort seinen eigenen Abschluss zu vollziehen. Natürlich passt dieser nicht, aber jetzt das Handy klingeln zu lassen, wäre so respektlos, wie bei „Tristan und Isolde“ an bereinigte Verhältnisse zu denken. Aber da wir eh schon das Ende kannten, hatten wir auch schon eh das Handy ausgestellt. Niemand hat es vermisst.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Baz Luhrmann, Romeo und Julia, USA 1996</typohead>