27. Juli 2009

Betörend verstörend: Helge Schneiders Mummenschanz

 

Helge Schneider hat seine Lebensbeichte, zweiter Teil, vorgelegt: »Bonbon aus Wurst. Mein Leben«. Die Reaktionen schwanken zwischen hilflos und begeistert. Damals, 1992, war es nicht anders: »Guten Tach. Auf Wiedersehen. Mein Leben, Teil 1.« Inzwischen war reichlich Gelegenheit, Schneider, den Universalkünstler, kennen zu lernen – in zahlreichen Filmen, Büchern, Fernsehauftritten, nicht zuletzt Liedern, von denen so manches (»Katzeklo«, »Es gibt Reis, Baby«) zum veritablen Hit und Evergreen avancierte. Dennoch: Vielerorts herrscht Verstörung, auch heute, getarnt als betulich-herablassendes Kichern. Warum?

 

Zunächst: »Bonbon aus Wurst« ist keine Lebensbeichte, ebenso wenig Bericht. Inhaltsangaben sind sinnlos. Worum es geht? Um alles und nichts. Über Schneider jedenfalls, die Person, erfahren wir nichts. Das tut gut, in einer Welt medialer Selbstentblößung. (Und kann als Merkmal literarisch anspruchsvoller Autobiografik gelten.) Gewisse Rezensenten freilich geben sich dennoch enttäuscht: Sie haben »Mein Leben« wörtlich genommen und allen tumben Ernstes, rund zwanzig Jahre nach Schneiders Debüt, »Memoiren« erwartet. Doch Helge Schneider ist nicht Dieter Bohlen. Dem steht sein Künstlertum in Dada-Nachfolge entgegen. Und seine Diskretion. Mag Reich-Ranicki ihn (furchtbare Kränkung) mit Atze Schröder verwechseln – und folgerichtig verdammen –, mag Schneider manchem als Totengräber deutscher Humorkultur gelten, Avantgardist des Obszönen, selbstgenügsamen Schwachsinns – die Weigerung, sich preiszugeben, hebt diesen Künstler weit über die authentizitätsnärrische Privatsenderkultur hinaus. Wer »Fakten« oder (schlimmer noch) Lebenshilfe erwartet, wird bitter enttäuscht und auf den eigenen dürftig verbrämten Voyeurismus zurückgeworfen. Selbst Stefan Raab, die Kaltschnäuzigkeit selber, ist bei der Buchvorstellung (»TV total«) eklatant hilflos gescheitert. Wer Parodien zweiten Grades zum biographischen Genre sucht, wird allerdings jubeln.

 

»Bonbon aus Wurst« verstört als Auswuchs Schneiderscher Sprachfantasie. Die Register werden wild vermischt, wie einst durch Heino Jaeger. Zwischen BILD und Bildungssprache ist alles vertreten, gelegentlich in einem Satz. Helge Schneider bietet ein verwegenes – und nüchtern kalkuliertes – Gemisch aus sprachlichen und photographischen Masken. (Dies ist, wie viele seiner Bücher, ein »Fotoroman«.) Der Titel deutet es an: »Bonbon aus Wurst« – hier wächst zusammen, was nicht zusammengehört. Der Dichter zeigt sich ein weiteres Mal als Meister unbarmherziger Oxymora und Katachresen. Dergleichen Kunst des Übergangs, manchmal subtil, häufig brachial – nicht selten beides in einem –, muss manche Lesererwartung enttäuschen. Auch finden sich wahre Exzesse ingeniösen Deliriums. Die Kunst der Digression und abgründigen Faselns wurde selten, durch Arno Schmidt vielleicht und Eckhard Henscheid, auch Thomas Kapielski, in solche Höhen – und Niederungen – getrieben:

 

»Da fällt mir wieder der Badeofen ein. Ich habe damals meine Zahnspange da reingeworfen, weil ich sie nachts nicht tragen wollte. Ich hatte den Zahnarzt bekniet, dass er mir erlaubt, sie tagsüber nicht anziehen zu müssen, wegen der Schule, ich hatte ihm gesagt, die anderen Schüler würden sich lustig machen über mich. Und da hat er sie nur für nachts angeordnet und dieses meinen Eltern vermittelt. Doch hatten sie diese Überreste dann in dem Badeofen gefunden. Die Drähte waren nicht verbrannt, sie schillerten grünlich. War glaube ich Kupfer: Wer würde von einem Typen wie mir denken, dass ich nachts auf Baustellen Kabel und so klaue, den Kupfer von dem Plastik trenne und das ganze Metallzeugs auf dem Schrott verkaufe? Niemand. Aber alle denken immer nur: Der Schneider, der hat ja Geld genug. Aber das Gegenteil ist der Fall. Ich habe immer zu wenig. Finde ich. Das ganze Geld, was in den Konzerten reinkommt, geht fast ungefiltert zum Finanzamt. Der Rest geht für Essen drauf und für Instrumente, Klamotten, Kinderspielzeug, Autos, was weiß ich. Wann kann ich meiner Frau mal einen schönen Slip kaufen, vielleicht auch mal eine Blume?« (S. 15 f.)

 

»Da fällt« dem Leser Jean Paul »ein«, Nietzsches »Verhängnis im Schlafrock«: »Wenn der Mensch wie die alte Theologie tut, aus der überirdischen Welt auf die irdische herunterschaut, so zieht diese klein und eitel dahin; wenn er mit der kleinen, wie der Humor tut, die unendliche ausmisset und verknüpft: so entsteht jenes Lachen, worin noch ein Schmerz und eine Größe ist.« So gehen in Helge Schneiders redundanter Suada sämtliche Maßstäbe, Größenverhältnisse verloren. Großes schrumpft und Winzigkeiten wachsen. Eben dies ist Humor: Tutto nel mondo è burla. Die Ordnung der Dinge: verwirbelt. »Lachphilosoph« und »Übertreibungskünstler« Schneider ist Krypto-Nihilist und -Kyniker, dies seit Jahrzehnten. (Dass manchem unbehaglich wird, nimmt demnach nicht Wunder.) Die wohlige Gemütlichkeit deutscher »Comedians« zwischen Kölnarena und Schillerstraße ist Helge Schneiders Sache nicht. »Diskurspop« hat er »nicht einmal ignoriert« – und souverän überlebt.  Schneider wirkt absichtslos verstörend, mit Leichtigkeit und Unschuldsmiene: »Man könnte denken, ich quatsche hier so vor mich hin. Aber nein, alles hat seinen Hintergrund« (S. 70).

 

Apropos »quatschen« – kurz nach der Buchvorstellung ist im Juni das unvermeidliche Hörbuch erschienen: Schneider liest Schneider. Novizen sei es wärmstens empfohlen, noch vor der Druckversion: Den Reichs und Raabs müssen die Ohren aufgehen. Wer sich zu solcherart nuanciertem Vortrag versteht – er machte einem Kortner oder Martin Held alle Ehre –, wer solcherart disparate Gestalten auf der akustischen Szene heraufzubeschwören vermag, ein Pandämonium menschlicher Exzentrizitäten, kann jener Gaukler und Witzbold nicht sein, als den ihn der Unverstand hinstellt. Allenfalls Shakespeare'scher Narr.

 

Für Narren freilich besteht keine biographische Rechenschaftspflicht. Sie haben Dispens. Mag es phrasenhaft, prätentiös scheinen, wahr ist es doch: »Bonbon aus Wurst« stellt die Unmöglichkeit dar, Leben auf den Begriff, auch nur zur Sprache zu bringen:

 

»Manchmal finde ich es schade, dass einfache Menschen überhaupt nicht mehr zu mir gelangen können, wegen der völligen Abschirmung zum gemeinen Volk. Muss man denn als Künstler so zurückgezogen leben? Ja, man muss, denn ansonsten ist man Beute der Öffentlichkeit. [...] Ich habe im Keller einen hermetisch abgedichteten schall- und lichtdichten Raum, wohin ich mich zurückziehen kann und in dem ich ab und zu Fanpost beantworte« (S. 99).

 

Ein anderer genialer Mann des Theaters hat etwas Wesentliches über Helge Schneider geschrieben: »Die Tiefe muß man verstecken. Wo? An der Oberfläche.« (Hugo von Hofmannsthal)

 

Daniel Krause

 

 

Helge Schneider: »Bonbon aus Wurst. Mein Leben«, Kiepenheuer & Witsch 2009

139 Seiten, 7,90 Euro

 

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»Bonbon aus Wurst. Mein Leben«. Ungekürzte Autorenlesung mit Musik von Helge Schneider.

3 CDs, 198 Min., Tacheles, 19,90 Euro

 

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