Hungern für Frieden
Holger Meins, das ist für die, die nicht dabei waren in der Zeit, nur ein Name unter anderen, nicht so bekannt wie Baader und Meinhof, vielleicht auf einer Stufe mit Horst Mahler, über den ich mir unbedingt einen Film wünsche, weil der Typ ja noch lebt und die Seite gewechselt hat, und sich vielleicht doch insgeheim treu geblieben ist, da er jetzt einfach andere Mittel wählt. Holger Meins also, von dem man sicherlich nicht (mehr) wusste, dass er als erster der Truppe gestorben ist, in Untersuchungshaft an Unterernähung, er zog seinen Hungerstreik knallhart durch, am Ende wog er nur noch 42 kg, und er war ja ziemlich groß, die Aufnahmen am Ende des Films, da liegt nicht Holger Meins, sondern eine Mischung aus Dostojewski, Che Gueavara und Jesus, von Holbein dem Jüngeren gemalt, er habe das bewusst auf sich genommen, mutmaßt eine der Interviewten, die damals auch dabei war, Margrit Schiller, es war so etwas wie die Wette darauf, was die Gesellschaft später mit Bildern wie diesen anfangen würde, dass sie sich vielleicht die Haare raufen, zu Kreuze kriechen und Abbitte leisten würde, weil sie sonst diese Bilder nicht ertrüge, das hat mich natürlich sofort an diese pubertären Phantasien erinnert, man selbst auf dem Totenbett, alle Bekannten und Freunde und Verwandten um einen rum, der Arme, warum haben wir nicht … er hätte doch … So was muss man eigentlich ab einem bestimmten Alter hinter sich gelassen haben, aber wenn das Ressentiment andauert und nicht schwächer wird …
Man erfährt, dass Holger Meins gemalt und Filme gedreht hat, dass er erst Adorno, dann Mao las, Mitglied der Kommune 1 war, ein paar Freundinnen hatte, aber das Entscheidende erfährt man natürlich auch in diesem Film nicht. Black box, Holger Meins. Stellvertretend. Keine Reise „into the mind of“. Was halt immer übrigbleibt, sind die Sätze, die auch hier abgespult werden, weil man sie für die Wahrheit hielt, weil die Welt noch so heil war, dass man von objektiven Zuständen sprechen konnte, ob hermetisch-adornitisch oder aphoristisch-maoistisch, die Sache war klar, der Kampf für die gerechte Sache (u.a. Rudi Dutschke). Totaler Einsatz, totaler Krieg gegen den Staat, in der späten Mythologie der Gruppe symbolisiert durch Moby-Dick, den weißen Wal aus Hermann Melvilles Roman. Aber wenn die RAF die Pequod, Holger Meins Starbuck, der erste Steuermann ist, der keine Lust auf Moby-Dick hatte, wer ist dann Kapitän Ahab? Belesen waren sie ja alle, die Pfarrerskinder (Sturm und Drang, eine deutsche Tradition), Studienstiftler, Dandys. Am Anfang des Films meditiert Meins über Gott, dass es ihn vielleicht gar nicht gibt, dass dann auch die Kunst ganz unsinnig sei. Was der Film dann doch klar gezeigt hat, dass der Terrorismus eine Kopfgeburt ist, ein auf den neuesten Stand gebrachter Manichäismus. Das Ergebnis der ganzen blutigen Spiele: dass auch die Dialektik eine Erfindung ist, ein abstraktes Gemälde direkt auf menschlicher Haut. Es fehlt immer eine Dimension. Und Skulpturen bewegen sich nicht. Filme bestehen aus Pixeln. Die härteste Kritik an Holger Meins: Er hat seinen Körper vernachlässigt. Am Ende war er fast ganz verschwunden. Jetzt hat man ihn exhumiert (trotz der väterlichen Betoneinziehung über dem Grab), aber es ist nichts mehr dran.
Dieter Wenk
Gerd Conradt, Starbuck Holger Meins, D 2001