13. Juli 2009

„Unspeakable“

 

1936 besuchte der 30-jährige Samuel Beckett für einige Monate Deutschland. Eigentlich wollte er nach Spanien, aber nach Ausbruch des Bürgerkriegs wählte er ein anderes Land für seine Bildungsreise. Beckett war karrieremäßig noch vor dem Status, als dass man ihn als „entarteten Künstler“ aus Nazi-Deutschland hätte rausschmeißen können. Aber natürlich machte sich die neue Politik bei seinen kulturellen Aktivitäten durchaus bemerkbar. Viele der Schauspieler und Regisseure waren geflohen, Joseph Goebbels’ Plan, etwa das deutsche Kino zu einem von Weltrang zu machen, konnte auch und vor allem wegen der Ausblutung durch Vertreibung nicht erfüllt werden. Knapp 50 Prozent der deutschen NS-Filmproduktion bestand aus Unterhaltungsfilmen, die sich, und das musste sogar der Propagandaminister voller Neid anerkennen, nicht mit Hollywood messen konnten.

 

Beckett besuchte Städte wie Hamburg, Berlin, München, machte auch in kleineren halt und war immer auf den Beinen, im Theater, Museum oder im Kino. In Hamburg stand ihm ein Guide zur Verfügung, eine Dame, die in ihrer Konversation vor allem auf die Vorzüge des neuen Regimes aufmerksam machte. Allerdings war diese Dame eine „Halbjüdin“, sodass, wie Carola Veit vermutet, der vorauseilende Gehorsam wohl eher eine Selbstschutzmaßnahme war. Beckett war natürlich genervt. Aber nicht nur davon. Am Ende dieses schmalen Bandes sind alle Filme aufgelistet, die Beckett sah und zu denen er kurze Kommentare verfasste. Das am häufigsten auftauchende Wort ist „unspeakable“, also: unsäglich oder scheußlich. Dabei sah Beckett nicht nur deutsche Produktionen, sondern auch US-amerikanische. Aber es gab auch positive Echos, zum Beispiel in Braunschweig zu Carl Froelichs „Wenn wir alle Engel wären“ mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle. Beckett schrieb in sein Tagebuch: „film best I have yet seen of Ufa’s latest, quite well acted, + directed. Rather obviously but inoffensively cut, in part excellently photographed. Glimpse in a Werbfilmchen a notable phrase: Wer der Wahl hat, hat der Qual.”

 

Beckett hatte sich ausgiebig in den 30er Jahren mit Film und Filmtheorie beschäftigt und sogar ein Bewerbungsschreiben als Assistent in die Sowjetunion an Sergei Eisenstein gerichtet, allerdings ohne Erfolg. An einigen Beispielen führt Carola Veit vor, wie sehr das Medium Film sich noch im Spätwerk von Beckett bemerkbar macht, und hier vor allem die Phase des Films, wo sich manche wie Balasz noch nicht einmal ein Kino mit Ton ernsthaft vorstellen konnten und wollten, was den heutigen Betrachter natürlich wieder etwas stutzig macht. Der Band wartet mit einer Reihe von Stills aus den von Beckett gesehenen Filmen auf, man sieht Heinz Rühmann, Zarah Leander, aber auch Aufnahmen aus dem Film über das Erdbeben in San Francisco, die noch heute ob ihrer Qualität beeindrucken. Abschließend gibt es Literatur von Beckett zum Film und über Beckett und sein Verhältnis zum Film.

 

Dieter Wenk (06-09)

 

Carola Veit, Kraft der Melone. Samuel Beckett im Kino, Berlin 2009 (Verbrecher)