13. Juli 2009

Zitatomanie

 

Es existieren zahllose Artikel Sollers’ zu den Jahrhundertgrößen aus Malerei, Musik und Literatur. Veröffentlicht unter anderem in der Tageszeitung „Le Monde“. Seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre verfasst Sollers Erlebnisprosa, indem er sich in das Leben supponiert wahlverwandter Geister hineinmengt. Zum Beispiel Vivan Denon, Casanova, Mozart, jüngst Friedrich Nietzsche. Natürlich darf auch der geschätzte Arthur Rimbaud nicht fehlen, der (vor allem Zitat-)Gegenstand von „Studio“ ist.

 

Die Autoren und Künstler, die Sollers in Anschlag bringt, sind als Waffen zu verstehen, die gegen die Gesellschaft gerichtet sind, ein wenig so, wie das Guy Debord gemacht hat. Denn mit Debord teilt Sollers einen enormen Hass auf die zeitgenössische Gesellschaft, die leer, ausgelaugt, verwirrt, manipuliert, langweilig, in allem vorhersehbar sei und dabei eine Steilvorlage für die eigene einsame Größe, Gelassenheit und natürlich unendliche Überlegenheit abgibt. Als Leser muss man sich entscheiden, auf welcher Seite man stehen will. Wer nicht für den Autor ist, ist sein Feind. Das Lesen macht dann keinen Spaß, es sei denn, man liest aus analytischen Gründen und klopft den Text auf seine Strategien der Selbstbeweihräucherung ab.

 

Diese Lektüre wird kühl sein, man wird feststellen, dass Sollers seit langer Zeit immer den gleichen Text schreibt, bei wechselndem Dekor. Oder man lässt sich von ihm einfangen und steht damit auf der guten Seite, darf sich Adept des Meisters nennen, denn es tauchen auch immer wieder ebensolche Meister-Schüler-Verhältnisse auf, in denen alles auf Einstimmigkeit und subkutane, nie gefährdete Harmonie abgestellt ist. Es sind Insider, die im Text miteinander reden, und an die man sich als Leser dranhängen kann, immer nickend. Es gäbe viel zu nicken, wählte man diese Lektüre, vorausgesetzt, man hat die Wahl. Die Fronten sind dermaßen klar, dass man von Carl-Schmitt’schen Verhältnissen sprechen kann.

 

Und doch ist letztlich alles unklar, um was es in „Studio“ überhaupt geht. Wenn man will: schlechte Postmoderne. Ein Mischungsverhältnis aus Hagiographie, Dokumentationswut/-lust, ein Antippen verschiedener Versatzstücke (zum Beispiel die Überlegung, ob Rimbaud als Agent gearbeitet haben könnte, diese Überlegung bleibt aber so stehen, das ist kein Thriller mit Rimbaud als Agent), der Erzähler scheint so etwas Ähnliches zu sein wie ein Agent, aber man bekommt keine Vorstellung davon, um was es überhaupt geht (die Sache ist so geheim, könnte man bösartiger Weise sagen, dass selbst der Erzähler nicht weiß, woran er „dabei“ ist), der Hauptbestandteil besteht aber in Litaneien, im Abkanzeln, in der Sehergabe der Erzählers, wie es in den Seelen der „toten“ Zeitgenossen aussieht, was sie denken, fühlen (eben gar nichts), und wie souverän der Erzähler sich im unschmackhaften Kadaver bewegt.

 

Ach ja, Hölderlin taucht auch noch auf, weil der ja verrückt geworden ist (oder hat er das nur gespielt?, viel Neues erfährt der Leser hier nicht), hier und da Kronzeuge Heidegger, den man doch endlich aus seiner zwanghaften Naziverkettung lösen möge. Erstaunlich, wie ein glühender Rimbaud-Verehrer wie Sollers, der selbst Textgenauigkeit einklagt, wie ein ungelehriger Schüler dasteht, der seinen Rimbaud nicht auswendig gelernt hat. Die Stelle aus dem Anfang von „Une Saison en Enfer“ (ziemlich am Beginn von „Mauvais Sang“) ist einfach unsauber zitiert. Was hat das für Konsequenzen für einen Autor wie Sollers, der die Hälfte seiner Texte (mindestens) aus Zitaten zusammenbaut. „Vous êtes trop dans l’imaginaire“, sagte einmal ein seltsamer Kauz zu Sollers. Dem ist nach wie vor nichts hinzuzufügen.

 

Dieter Wenk (06-09)

 

Philippe Sollers, Studio, Paris 1997 (Gallimard)

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