Du bist die Bombe
Alexander Lehmanns Videos Du bist Terrorist, eine satirische Replik im Stil der Propagandakampagne Du bist Deutschland über die Einschränkungen der Bürgerrechte durch die immer weiter um sich greifenden Überwachungs- und Zensurmaßnahmen der gegenwärtigen Regierung, wurde in den letzten sechs Wochen knapp 350.000 Mal abgerufen und mehr als 17.000 Mal kommentiert. Der zwei Minuten lange Spot trifft den Nerv einer gespaltenen Gesellschaft und beschert der jungen Piratenpartei, einem Import aus Schweden, rasanten Zulauf, während sich der Zuspruch der anderen Parteien mehr oder minder schleichend verläuft. Der sachliche Tonfall des Clips klingt wie die Stimme eines vertrauten Albtraums, aus dem es kein Erwachen geben kann, weil nicht klar ist, wo die Wirklichkeit endet und der Traum beginnt. Womit wir uns in einer beklemmenden Realität befinden, die jede Flucht zu einer Farce verkommen lässt – denn zu gut kennen wir diesen finsteren Humor aus den Romanen und Kurzgeschichten der Legende Philip K. Dick. Blade Runner mit Harrison Ford und Total Recall mit dem jetzigen 38. Gouvernor des Bundesstaates California haben filmische Maßstäbe gesetzt und die Visionen Dicks meisterhaft auf die Leinwand übertragen, weshalb es ärgerlich ist, dass die Verfilmung seiner Kurzgeschichte The Impostor nicht in den deutschen Verleih gekommen ist.
Wirtschaftlich lässt sich diese Entscheidung nachvollziehen, da die 40 Millionen Dollar teure Produktion sowohl in den USA als auch auf ausländischen Märkten kläglich versagte, wahrscheinlich weil sich die Beteiligten zu viel erhofften. Was PKD 1953 im Pulp-Magazin Astounding veröffentlicht hatte, begeisterte die Gewaltigen bei Miramax, die den Stoff zunächst als Teil eines dreiteiligen Episodenfilms umsetzen wollten. Die Weinstein-Brüder setzten dabei auf weniger auf Stars denn auf Qualität: Zu den Drehbuchautoren zählt mit Ehren Krüger ein Denkmal seiner Zunft, während Gary Sinise, Madeline Stowe und Vincent D’Onofrio mit ihrem Spiel das Publikum in ihren Bann ziehen und überzeugen können. Aus den ursprünglichen 38 Minuten wurden letztlich 102, die das Werk zwar über den Durchschnitt erheben, mit Blade Runner und Total Recall aber leider nicht konkurrieren können. Wer sich auf das Dickversum eingelassen hat, sollte dennoch über diese Schwächen hinwegsehen, weil Impostor die beiden Werke durch eine weitere Perspektive ergänzt – der deutsche Titel verrät dabei fast zu viel.
2079 wehrt sich die hochgerüstete Erde gegen eine Invasion der außerirdischen Centauri. In einer unterirdischen Bunkerstadt entwickelt der Ingenieur Spencer Olham seit zehn Jahren für Regierung eine Geheimwaffe, die den Sieg bringen soll, als er plötzlich von einem Agenten mit kryptischen Worten angeklagt und betäubt wird. In einem Folterkeller bezichtigt ihn der Geheimdienst-Offizier Hathaway, Teil einer Verschwörung zu sein, die ein Attentat auf die Präsidentin verüben will. Hathaway wirft ihm vor, kein Mensch zu sein, sondern ein Replikant, eine menschliche Bombe mit künstlichen Erinnerungen. Der Offizier führt ihm dabei zugleich vor, dass die Entschärfung für ihn tödlich sein wird. Obwohl Drogen seine Sinne trüben, wehrt er sich und er kann entkommen, tötet dabei jedoch seinen Freund Nelson Gittes. Überall versteckte Sonden melden seinen Standort, während er auf den Monitoren als Terrorist gesucht und von Hathaway gejagt wird …
Durch den dünnen Katz-und-Maus-Plot verliert die anfängliche Noir-Atmosphäre an Glaubwürdigkeit, zumal schnelle Action geschickt eingesetzt werden muss, um über Lücken im Plot hinwegzutäuschen: Was beim ersten Mal noch packend wird, langweilt beim dritten Mal. Was mit einer spannenden Dreiviertelstunde beginnt, verliert sich in der zweiten Hälfte in wunderbar komponierten Bildern, denen die narrative Substanz fehlt, weil sie Bekanntes lediglich wiederholen. Dieser Makel ergibt sich aus einer Ästhetik des Déjà-Vu, die rauschhaften Echotrips und einer wahrscheinlich gefälschten Wirklichkeit an die Oberfläche tritt. Ebenso wie Ridley Scott sich für Blade Runner mit Resten von Kubricks Shining begnügt, wirkt das Set hier wie eine Collage aus Starship Troopers und GATTACA. Durch die obskure Geheimwaffe im Bunker – à la V1 und V2 – sowie Olhams Verweise auf Hiroshima und die Reminiszenzen an die Popkultur des 20. Jahrhunderts trägt Fleder fast zu dick auf: denn Dick ist kein Pynchon oder Gaddis!
Mit Gary Sinise ist die Hauptrolle exzellent besetzt. Aus Filmen mit seinem Kumpels, dem All-American Man Tom Hanks, wie Forrest Gump und Apollo 13 dürfte sein Gesicht einigen im Publikum bekannt vorkommen, ohne ihn exakt einordnen zu können. Sinise hat ein wesentlich härteres Profil als Hanks, seine zeitweise stechenden dunklen Augen und seine glatt gespannte Haut verleihen ihm mit seinen raschen Bewegungen eine echsenhafte Anmut, wodurch seine Ambivalenz glaubwürdig wird: Einerseits können wir mitfühlen, wie er als Mensch um sein Leben kämpft; andererseits spüren wir den Selbstmordattentäter wider Willen als Bedrohung. Madeleine Stowes Rolle als Maya Olham, Spencers Frau, ist hingegen zu berechenbar und eindimensional, um beeindrucken zu können. Vincent D’Onofrio als Hathaway bleibt schauspielerisch unter seinen Möglichkeiten, wobei er wie eine billige Kopie eines fahrigen Tommy Lee Jones wirkt. Der wohl nur wenigen bekannte Gary Fleder und seine Mitstreiter inszenieren den Jäger auf eine Art und Weise, die frappant an Masamune Shirows Ghost in the Shell erinnert und retten ihn dadurch. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die weiblichen Dispatcher an ihren ortlosen Keyboards und Monitoren, die ihn von einem Signal zum nächsten lotsen, und eine nächtliche Verfolgungsszene in einem verfallenden Hochhaus mit einem Wärmesensor. Die CGI-Effekte erfüllen zwar ihren Zweck, verharren aber in ihrer Künstlichkeit, wodurch der Film zeitweise in Richtung Anime driftet, was seine Unwirklichkeit unterstützt.
Nach einer Durststrecke entschädigt der Hochstapler die Ausdauer mit einem grandiosen Finale, das den Atem stocken lässt.
Britta Madeleine Woitschig (07/09)
Impostor – Der Replikant, USA 2002, nach einer Kurzgeschichte von Philip K. Dick, Regie: Gray Fleder, FSK: ab 16 – 95 Minuten; Originalfassung-Rating: R – 102 Minuten, mit Gary Sinise, Madeleine Stowe, Vincent D‘Onfrio