28. Juni 2009

Theorie ohne „Menschen“

 

In dem letzten der hier vorgestellten Gespräche fehlt Herr Luhmann bereits. Dirk Baecker (Luhmanns „Nachlassverwalter“), Herfried Münkler (der mit der „asymmetrischen Kriegsführung“) und Wolfgang Hagen (der Herausgeber dieser „vorletzten Gespräche“) versuchen darin, das Denken und Schreiben des vor gut zehn Jahren gestorbenen Soziologen zu verorten. Eine interessante Vermutung: ob Luhmanns „kalte“ Systemtheorie eine Art Reflex auf die Zeit des „Kalten Kriegs“ war, in der man wunderbar trennen konnte nach „gut“ und böse“, zugehörig oder nicht zugehörig, in der die Rede von der „operationalen Schließung“ sich durchaus geografisch bestätigen ließ und die Tatsache des „Eisernen Vorhangs“ eine machtpolitische Umsetzung des Spencer-Brown’schen-Imperativs „Draw a distinction“ war. Und danach? Zerfällt, wenn machtpolitisch die Dinge ins Wanken kommen, damit auch eine superabstrakte Theorie? Ist Vernetzung das neue Zauberwort, Erbe der „System-Umwelt-Differenz“?

 

Die Schwachstelle der Systemtheorie, wenn man das überhaupt so sagen kann, ist ja ausgerechnet die problematische Kommunikation der einzelnen Systeme untereinander. Wenn Dirk Baecker in dem Gespräch etwas kokett sagt, dass die Soziologie nur für Soziologen gemacht werde, so spricht das Bände. Wie gelingt es aber dem Soziologen, etwas über andere Systeme herauszufinden? Und kann man dann überhaupt noch von „Gesellschaftstheorie“ sprechen etwa in dem Sinn, wie Jürgen Habermas das seit Jahrzehnten tut? Dass hier in der Tat zwei Welten aufeinander stoßen, zeigt eine Bemerkung Luhmanns aus einem Interview mit Gerald Breyer und Niels Werber. Mit Bezug auf die Unterscheidung von Beobachtung erster und zweiter Ordnung sagt Luhmann: „Selbst-Desinteressierung [in etwa: nicht borniert sein wollen] meint auch, dass man nicht wie Habermas das Interesse hat – es ist fürchterlich, wenn man das sagt –, eine Endlösung der Kommunikation anzuvisieren oder eine final opinion einer vernünftig durchargumentierten Meinung.“ Das ist schon harter Tobak und zeigt, wie „heiß“ hier doch ausgeteilt wird. Jeder, der Habermas und Luhmann gelesen hat, weiß, dass deren Theorien sich nicht ineinander überführen lassen. Aufhebung wäre das Zauberwort, aber was für den einen Dialektik ist, ist für den anderen nur die Potenzierung der Probleme durch die Einführung des zweiten Beobachters.

 

Luhmann betont immer wieder, dass wir den Medien ausgeliefert seien, und zwar in dem Sinne, dass wir nicht die Zeit haben, all das nachzuprüfen, was dort, etwa in den Zeitungen oder im Fernsehen, behauptet wird. Auf der einen Seite ist da dieser fundamentale Vorbehalt (irgendwie muss ich denen das jetzt glauben, obwohl ich weiß, dass ich selbst nicht dabei war), auf der anderen Seite kann man nicht ständig in Zitaten reden oder auf die (oft diffusen) Quellen verweisen. Luhmann ist aber auch nicht so nihilistisch wie Jean Baudrillard, der mit seiner Simulationsthese den Realitätsbestand zu untergraben versucht: „An Baudrillard glaube ich schlicht nicht. Wahrscheinlich würde überhaupt nichts funktionieren, wenn das richtig wäre. Ich hoffe nicht, dass mein Bankkonto simuliert ist. Wir können uns hier verabreden, und Sie und ich kommen dann auch. Das ist bei Baudrillard einfach eine Imagination, die durch begrenzte Sachverhalte angeregt ist.“ Zack. Und auf Wiedersehen. Während man es also bei Baudrillard mit einem wild gewordenen enttäuschten Essenzialisten zu tun hat, könnte man Luhmann als einen coolen desillusionierten Debunker charakterisieren, als jemanden also, der behauptete Sicherheiten zerstört, ohne daraus gleich eine parallele Scheinwelt zu bauen. Oftmals sind es Zufälle, die die Dinge ins Rollen bringen. Oder hat irgendjemand präzise den Fall der Mauer vorhergesagt?

 

Und so ist natürlich auch der Titel dieses Bändchens mit Gesprächen vor allem ironisch zu verstehen. Herr Luhmann weiß ja auch nicht, was man machen muss. Um was übrigens zu tun? Hier fängt’s ja schon an mit den verschiedenen Möglichkeiten, Unterscheidungen zu treffen und damit auch verschiedene Wege einzuschlagen. Das System steuert sich selbst. Es sind weniger „die Menschen“. Aber jeder einzelne könnte versuchen, ein bisschen zu verstehen, wie das läuft. Beobachten macht Spaß. Und wer das manchmal auch so unterhaltsam wie Luhmann hier zu sagen versteht, um so besser.

 

Dieter Wenk (06-09)

 

Wolfgang Hagen (Hg.), Was tun, Herr Luhmann? Vorletzte Gespräche mit Niklas Luhmann, Berlin 2009 (Kulturverlag Kadmos)

 

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

amazon