24. Juni 2009

Totentanz zu Eschwege

 

Der junge Grafensohn Thomas wächst auf einer hessischen Burg in wohlbehüteten Verhältnissen auf. Mitten im Dreißigjährigen Krieg droht ständig Gefahr, weshalb der Sohn eines weitgereisten Landedelmanns mit den Waffen seiner Zeit umzugehen lernt, damit er sich verteidigen kann, sobald er auf sich allein gestellt ist. Dabei ist er jedoch einem einfachen christlichen Ethos verpflichtet, das sich keinem der streitenden Dogmen des Klerus unterordnet. 1622 gerät diese Idylle in das Visier des Feldherrn Tilly, der auf einer Strafexpedition mit seinen Landsknechten mordend, plündernd, vergewaltigend und brandschatzend durch die Lande zieht. Thomas muss miterleben, wie seine Eltern gemetzelt werden und die heimatliche Burg in Flammen aufgeht, sodass er es zunächst als Strafe erlebt, diese Schmach durch eine Laune des feindlichen Feldwaibel Geronimus überlebt zu haben. Eigentlich sollten keine Gefangenen gemacht werden, weswegen jetzt Thomas‘ Lebensretter in die Ziellinie der Landsknechte gerät und ihn aus der Schusslinie bringt. Doch der junge Adlige will die Schande rächen, die ihm angetan wurde, indem er Tilly aus dem Hinterhalt ins Visier nimmt …

 

Diese deutsch-spanische Co-Produktion erschien erstmals in dem Comicmagazin „Yps“ von Nr. 132, das am  17. April 1978 an den Kiosken erhältlich war, und wurde bis zur Ausgabe Nr. 196 vom 9. Juli 1979 fortgesetzt, für ein jugendliches Publikum knallbunt koloriert. Danach wurde es still um die historische Serie, während das Magazin am 5. Mai 2006 nach 1257 Ausgaben wegen mangelnden Absatzes eingestellt wurde. In der Zwischenzeit hatte sich die Marke verselbständigt und war zum nostalgischen Schlüsselbegriff für Jugendliche geworden, die in den 1980er Jahren erwachsen wurden. Im Vordergrund standen für die entsetzten Eltern und Pädagogen bis in die Gegenwart die vom karierten Känguru präsentierten Gimmicks, unter der Folie eingeschweißte Beilagen zum Basteln, Spielen und Gärtnern. Bis zu 500.000 Kinderhände schoben ihr Taschengeld dafür über den Tresen. Mit diesem Konzept orientierte sich die Zeitschrift an ihrem französischen Vorbild, das 1942 klandestin als Zeitung von der kommunistischen Partei in der Résistance gegründet worden war und seit 1969 unter dem Titel „Pif Gadget“ vertrieben wurde – ebenfalls ein Mythos der Jugendkultur.

 

Dass die Anfeindungen gegen die Comics mehr als unberechtigt waren, zeigen besonders die Wiederveröffentlichungen der von Peter Wiechmann getexteten Werke. Der 1939 in Bunzlau geborene Wiechmann gehört zu den grauen Eminenzen der deutschsprachigen Comicindustrie, denn obwohl er mehr als vierzig Jahre in maßgeblichen Positionen gewirkt hat, erntet er erst jetzt mit der Re-Edition seiner Klassiker bei dem Verlag Cross Cult in Ludwigsburg späten Ruhm. Als Herausgeber, Redakteur, Übersetzer und Texter befand er sich bei Kauka Comics sowie in den Redaktionen von „ZACK“ und „Yps“ jenseits des Horizonts seines jugendlichen Publikums. Später zog er nach Barcelona, um dort mit einheimischen Partnern das Studio COMICON aufzubauen, in dem Zeichner internationale Aufträge für die Werbung ausführen. Der gelernte Schriftsetzer passte sich jeder Herausforderung an, wodurch er sich zeitweise ein immenses Pensum aufbürdete. Denn „Thomas der Trommler“ ist nur eine von fünf Serien, für die er neben seiner editorischen Funktion bei „Yps“ verantwortlich war – unter diesen stellt sie jedoch den primus inter pares vor: Mit seiner persönlichsten Geschichte setzt er seiner nordhessischen Heimatstadt Eschwege ein Denkmal.

 

Nach seiner Flucht aus Schlesien kam Familie Wiechmann 1945 bei Verwandten in Eschwege unter. Bei seinen Expeditionen erkundete der abenteuerlustige Junge mit einem Freund auch Ladengrafenschloss, wo er dem Zauber der fremdartigen Rüstungen und merkwürdigen Gegenstände erlag. Die beiden wurden erwischt, doch der kluge Museumsleiter strafte die Bengel nicht mit einer Tracht Prügel sondern führte sie durch die Räume. Ein unvergessliches Erlebnis, das den jungen Peter nicht mehr losließ. Der Schüler versuchte zunächst in selbstgeschriebenen Theaterstücken diese gefährliche Zeit zum Leben zu erwecken, wobei er als Landsknecht auf der Bühne stehen durfte. Mit Grimmelshausens „Simplicissimus“ aufgewachsen, fütterte er seine Neugier mit allem, was er über diese Epoche finden konnte. Der von Cross Cult prachtvoll ausgestattete, gebundene Band, bot mit der Präsentation des druckfrischen Werkes im Rittersaal des Landgrafenschlosses am 24. April dieses Jahres Gelegenheit, seiner Heimat Dank und Reverenz zu erweisen. Das Publikum kam zahlreich und die Presse ließ sich den verlorenen Sohn der Stadt nicht entgehen.

 

Die vorliegende Ausgabe ist wesentlich mehr als ein Sammlerstück für einen kleinen Kreis von Fans. Auf bestem Papier sorgfältig in schwarzweiß gedruckt, wurden die insgesamt 15 Episoden zu Kapiteln geordnet, die den Band auf das Niveau einer Graphic Novel erhebt. Wie in den klassischen Schmökern von Alexandre Dumas, Jules Verne und Charles Dickens lädt eine mitreißende Handlung zur Identifikation ein, während die erfahrenen Leser sich an den Zitaten und Anspielungen aus Literatur und Kunst ergötzen dürfen. Dabei erzählt das Buch in zwei größeren Abschnitten vom Erwachsenwerden des jungen Grafen, der um seine Unabhängigkeit ringt und seine Ideale trotz der widrigen Umstände verteidigt. Unterstützt wird die Qualität durch seine beiden zeichnenden Co-Autoren : Josep Guals eleganter Schwung lässt die irrwitzige Naivität des sympathischen Waisen sichtbar werden; der schroffe und harte Strich Juan Sarompas prägt eindrucksvoll den gnadenlosen Alltag, den sich Thomas mit seinen Freischärlern erkämpfen muss.

 

„Thomas der Trommler“ will gelesen werden, von jung und alt.

 

Britta Madeleine Woitschig (06/09)

 

 

Die Daten zu „Yps“ stammen von der Yps Fanpage, für die Dominik Scherer und Reinhard Jebe verantwortlich sind.

 

Peter Wiechmann (Szenario) / Josep Gual  (Zeichnungen) / Juan Sarompas (Zeichnungen): Thomas der Trommler. Sein Schicksal ist Geschichte, Ludwigsburg: Cross Cult 2009, 160 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-941248-27-4

 

www.peter-wiechmann.de

 

www.comicguide.net/showthread.php

 

www.cross-cult.de

 

www.ypsfanpage.de