3. Juni 2009

Yellow II: Bauwerke aus Babel in Serie

 

Sprache ist ein sensibles Werkzeug, das mit Bedacht sorgfältig eingesetzt werden will, wenn es Botschaften übermitteln soll. Kleinste Makel können den Sinn entstellen und ins Gegenteil verkehren, wozu manchmal schon ein Druckfehler ausreicht oder ein anderer Lapsus, der bei der Kontrolle den scharfen Augen entgangen ist. Je ernster ein Text konzipiert ist, desto sensibler ist er für solche Effekte unbeabsichtigter Komik, die den Sprechakt in seiner Lächerlichkeit bloßstellen. Doch zum Glück gibt es ja Bilder, von denen jedes mehr sagt als tausend Worte.

 

Zum Glück? Diese eigentlich zur Unterstützung gedachte Dimension der Kommunikation multipliziert das Problem lediglich, ohne es zu lösen. Ein festes Vokabular wie in der Sprache gibt es auf der visuellen Ebene nur eingeschränkt, außerdem besteht die Gefahr, in Stereotype, Allgemeinplätze und Klischees abzugleiten. Die Brisanz dieser fragilen Kommunikation ermöglicht das Stolpern von einem Fauxpas in den nächsten, ein Slapstick, durch den sich komplexe Philosophien quasi stenographisch notieren lassen. Deswegen erfordern diese ästhetischen Kabinettstückchen, bei denen der Erfolg in einem bestimmten Scheitern innerhalb des Dargestellten liegt, eine Menge Mut, besonders wenn sie von einem jungen Comiczeichner in Serie gestaltet werden.

 

Der 1959 geborene Franzose Marc-Antoine Mathieu nahm Anfang der 1990er Jahre die Herausforderung an, bei der ihm durch eine mehrteilige Reihe um einen Gefangenen der Träume, Julius Corentin Acquefacques, der Durchbruch als Autor von Bande Dessinée gelang. Wortspiele und Bildwitze gehören seit jeher in die Tradition des Comic – von Gustave Verbeek mit seinen gekippten Seiten über Freds „Philemon“, die Geschichten von Francis Masse und Goossens bis hin zu den jüngsten Kollaborationen von Colonel Moutarde mit Brigitte Luciani. Wie die Genannten erkundet Mathieu die Philosophie gelungener Kunst und kommt seinem (und unserem) ontologischen Denken dabei auf die Schliche.

 

Für den zweiten Band der anspruchsvollen Reihe des Bachmann-Verlages widmet sich der Göttinger Romanist und Spezialist für Komik und Humor, Rolf Lohse, Mathieus Protagonisten der schwarzweißen Serie – nach dem Band über die amerikanische Ikone Batman nun eine Analyse eines europäischen Comics. Lohse ist ein begeisterter und (was nicht zu vernachlässigen ist) begeisternder Leser der Literatur mit den bunten Bildern, der in seiner Lehrtätigkeit dem akademischen Nachwuchs zeitgenössische französische Literatur, Selbstreflexivität und Hermeneutik nahebringt. Mit wissenschaftlicher Gründlichkeit seziert er sein Studienobjekt, wobei er auch auf Originalzitate verweist, die zum leichteren Verständnis in den Fußnoten mit deutschen Übersetzungen untertitelt sind. Meiner Erfahrung nach schrecken inzwischen wissenschaftliche Verlage vor Fremdzitaten im Fließtext zurück, da sie befürchten, durch das  hohe Niveau Teile ihres potentiellen Publikums zu verprellen – wobei es französische Belege grundsätzlich schwerer haben als englische, die unter Umständen halbwegs zähneknirschend erduldet werden. Bei einer diffizilen Materie wie dem metanarrativen Zyklus von Mathieu ist eine quellennahe Herangehensweise angebracht, da sonst das Thema Übersetzung die Analyse überschattet hätte. Dem mutigen Verlag ist für diese Konsequenz zu gratulieren!

 

Mathieu hat auch im deutschsprachigen Raum sein Fandom, da sein Werk durch das Engagement von Reprodukt fast durchgängig lieferbar gehalten wird, ansonsten dürfte Mathieu eher ein artist’s artist sein, der von Wissenschaftlern und Künstlerkollegen geschätzt wird – sein Publikum ist wesentlich kleiner als das von Batman. Das dicht gewebte Garn von hoher Qualität lässt sich nur mühsam entwirren, was Lohse vorbildlich gelingt. Seine Argumente sind nachvollziehbar und überzeugend, seine Belege und Zitate sind treffend. Dennoch fordert Lohse eine ungeteilte Aufmerksamkeit, weil er meines Erachtens das Potential seiner Quelle nicht genügend ausschöpft, bevor er zu philosophischen Höheflügen ansetzt.  - Was hätte sich zum Beispiel aus dem Namen des Protagonisten außer dem Verweis auf Kafka nicht alles ableiten lassen? Ein literarisch sensibles Gehör hätte bei dem Anklang auf Artefakt, also künstlich Geschaffenes, von Menschenhand Erstelltes, aufgemerkt; in der frankophonen Schreibweise erscheint der Name fast als Verdoppelung einer Silbe, die auf die mittelalterliche Signatur des ‚fecit‘ verweist, mit der die Meister ihre Werke versahen. Jede dieser Ergänzungen hätte Lohses Thesen gestützt und gestärkt. Warum übergeht er sie? Das bleibt mir unverständlich, denn solch ein Zugang, hätte es einem nicht-akademischen Publikum einfacher gemacht. Vielleicht beim nächsten Mal: Je souveräner Lehrende werden, desto geschmeidiger werden ihre Texte – möglicherweise beim nächsten Mal.

 

Die schmale Monographie eignet sich vorzüglich für Seminare, weshalb ihr eine rege Verbreitung zu wünschen ist. Mit seinem zweiten Schritt beweist der junge Verlag erneut seine unbestreitbaren Kompetenzen und Qualitäten auf dem komplexen Feld, das im deutschsprachigen Raum nur mager besetzt ist. Wann kommt der dritte Band von „yellow“? Wir warten gespannt – auf dass es eine umfangreiche Reihe wird.

 

Britta Madeleine Woitschig (06/09)

 

Rolf Lohse: Ingenieur der Träume. Medienreflexive Komik bei Marc-Antoine Mathieu (yellow. schriften zur comicforschung Band 2, hrsg. von Christian A. Bachmann), Bochum: Ch. A. Bachmann Verlag 2008, 1. Auflage, 133 Seiten, ISSN 1866-184X (für die Reihe), ISBN 978-3-941030-09-1 (für den Band)

 

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