3. Juni 2009

Inga Kählke: Malerei

"Mühle", 2008, 55 x 45 cm, Öl auf Leinwand
"Jet d'Eau - Der schönste Tropfen, der jemals gespritzt wurde", 2008, 170 x 210 cm, Öl auf Leinwand
"Animal Abuse", 2007, 70 x 84 cm, Öl auf Leinwand
"Group of People", 2007, 180 x 150 cm, Öl auf Leinwand
"Parcours", 2007, 180 x 200 cm, Öl auf Leinwand
"Flecken", 2008, 51 x 41 cm, Öl auf Leinwand

 

 

Ein Gespräch zwischen Inga Kählke und Jens Asthoff: Über Malerei, die Herkunft der Bilder, den Umgang mit diesen Bildern, über Vorbilder und Einordnungen, über Klischees und Manierismus, verdeckte Zonen, Orange, Tragisches und die unsichtbare Leine, die alles verbindet.(1)

 

 

Jens Asthoff: Lass uns bei deinen neuen Bildern einsteigen. Die sehen ja schon wieder ein bisschen anders aus als das, was ich zuletzt gesehen habe. Was ist dir in deiner Arbeit momentan besonders wichtig?

 

Inga Kählke: Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann, aber mir geht es momentan um eine Form, sozusagen um die Form selbst, und das mit Hilfe von Gegenständlichkeit. Und immer unter Zuhilfenahme von Motiven, die auch inhaltlich durchaus von Bedeutung sind, deren Formen sich aber so spezifisch darstellen, dass es zu Deformierungen kommen kann. Zum Teil sind es „exzentrische“ Zusätze oder auch irreführende Arrangements, die das hervorrufen. Dem Ganzen haftet ein künstlicher Eindruck an, Synthetisches, das manchmal an manieristische Traditionen erinnert.

 

JA: Ich finde interessant, dass Deformierungen verzerren und sich in deinen Bildern immer auch gegen die Gegenständlichkeit selbst richten.

 

IK: Ja, genau. Was zu unterschiedlichen Effekten führen kann, zum Beispiel, dass das Haus hier fast wie schmelzend aussieht...

 

JA: Du meinst die neueste Version von „Mühle“ (2008)?

 

IK: Genau. Auf der anderen Seite sind die Figuren auf „Übungen“ (2008) eher dynamisch, sind in Bewegung oder so schwingungsmäßig drauf... Es geht schon immer um die Arbeit am Gegenstand, das aber mit materiellen Mitteln.

 

JA: Materiell im Sinne von eingelassen in die Malerei?

 

IK: Schon allein deshalb, weil es gemalte Bilder, eben Gemälde sind. Es ist wichtig, wie etwas gemalt ist, zum Beispiel mit pastoser oder sehr dünner Farbe. Die Art und Weise der Malerei kann den Inhalt einer Form unterstützen, also analog sein zum dargestellten Material und seiner Stofflichkeit, oder ihm zuwiderlaufen. Diese sich auffächernde Materialität stellt innerhalb der Malerei Möglichkeiten und Grenzen vor, bis hin zu einem Zusammenspiel sich gegenseitig verhindernder Elemente. Und es gibt prozessuale Anteile und den Zufall: Das Bild male dann nicht nur ich, sondern die Farbe läuft mit, und ich reagiere darauf. Aber es gibt auch sehr strikte und kalkulierte Anteile – je nachdem, wie es das Motiv oder der Gegenstand erfordern. Und natürlich hier und da Naivität oder schlichtes Nicht-Können. So gibt es dann das traurige Bild, das eklige Bild oder das gelbe Bild, die aber alle aus ein und derselben Haltung entstanden sind.

 

JA: Ich habe ja bisher seltener Vorfassungen, sondern meist fertige Bilder gesehen. Ich weiß also nicht, ob das früher auch schon so war, aber dieses Bild hier, „Laissez-faire“ (2008), erscheint mir in seiner jetzigen Phase überraschend wässrig und lasierend gearbeitet, auch viel stärker von Farbverläufen bestimmt. Ich habe den Eindruck, dass du meist erst eine Basis schaffst und Feinheiten, was etwa Farbigkeit und Oberflächenstruktur betrifft, eher gegen Ende der Arbeit ins Bild einbringst, wie zum Beispiel hier bei „Übungen“. Oder wie in „Mühle“ durch Kombination dieses kalten und eines gelblichen Grüns. Es gibt stets noch sehr feine Setzungen in den Bildern, die als Zuspitzungen aber immer eng mit dem Ganzen verflochten sind.

 

IK: Ja, aber noch wichtiger ist mir... und deshalb ja auch die lange Zeit an dem großen Bild, das hast du ja auch neulich schon gesehen...

 

JA: Du meinst „Laissez-faire“?

 

IK: Ja. Noch wichtiger also ist mir, dass es einen deutlichen Charakter – nach und nach – bekommt, der auf dem ganzen Bild vorhanden sein muss. Und dann kommen natürlich die wirklich feinen Setzungen gegen Ende. Aber es ist trotzdem wichtig, dass schon von Anfang an so etwas Prägnantes, ganz Spezifisches da ist, was ich sozusagen der Vorlage „entlocke“. Oder was ich speziell darin sehe. Vielfach versuche ich dabei, private Motive ins Allgemeine zu überführen. Mein Antrieb ist also durchaus ein zunächst persönlicher Zugang zu nicht unbedingt „neutralen“, sondern von Klischeevorstellungen besetzten Bildern, die jeweils eine bestimmte Stimmung oder Geschichte in sich tragen. Bei Quellen aus dem Internet zum Beispiel kennt man oft nicht ihre genauen Zusammenhänge. Von diesen benutzten Vorlagen bleiben später nur Andeutungen auf den Gemälden zurück, die einen Teil eines Gesamtzusammenhangs bilden. Ich fange immer so an, dass von irgendeinem Punkt aus sich eine Idee entwickelt. Mal ist es ein malerisches Problem, mal von einer Vorlage ausgehend. Mittels assoziativer Verknüpfungen und durch „subjektivierende Intuition“ oder einer Art analoger Bildbearbeitung, eben durch Malerei, nähere ich mich einem unbekannten Terrain oder einem bestimmten subkulturellen Kosmos und umkreise es, um es zu verstehen. Welten, die man kennt, die aber nicht unbedingt die eigenen sind. Sie sind aus ihren ursprünglichen Situationen herausgerissen und mit anderer Bedeutung beladen. Später beim Malen entsteht ein Hin- und Herspringen zwischen Form und Inhalt.

 

JA: Du arbeitest also vielfach mit Vorlagen, das heißt, mit gefundenen Bildmotiven, die du dir zum Teil auch suchst oder gezielt beschaffst?

 

IK: Genau. Das kann ziemlich assoziativ verlaufen, es kann ein Schnappschuss im Vorbeigehen, Internet-Recherche oder es können private Fotos sein. Aber die Fotos entstehen eigentlich nie, indem ich nach Bildmotiven suchend durch die Gegend laufe. Sondern das, was mir auffällt, das dokumentiere ich ziemlich unverbindlich. Und aus diesem Fundus, bei dem auch wichtig ist, dass es ein Fundus ist, entnehme ich Einzelnes.

 

JA: Und setzt es zum Teil auch wieder neu zusammen?

 

IK: Ja. Auf einigen Bildern. Hier ist das auch wieder so, bei dem großen wässrigen, bei „Laissez-faire“. Dort ist es so – ob es so bleibt, ist noch eine offene Frage –, dass Motive derartig gegeneinander gesetzt sind, dass auch Perspektiven völlig verschoben sind: Einmal die kleine Welt, diese Hütten und das Nahperspektivische, und demgegenüber dann hohe Berge, die sich in der Ferne der Landschaft in das Bild integrieren. Bei diesem Problem bin ich momentan. Die kleinen Häuser im Vordergrund sind eine Art von improvisierten Bauten, die ich generell bevorzuge. Oft gelange ich über Missverständnisse zu etwas, von dem ich vorher nicht wusste, was es ist. Die Malerei bietet die Möglichkeit einer gegenüber anderen Medien besonders subjektiven Darstellung. Hier finden auch elementare Dinge des Lebens Platz: Futterschalen, Behausungen etcetera. Das geht in die Einzelheiten. Ein Gesamteindruck ist am Anfang und am Ende des Betrachtens da, während sich das Bild in der Zwischenzeit in seine Details und Ebenen auflöst.

 

JA: Bleibt die Farbigkeit dabei im Prinzip meist so, wie sie zusammen mit dem Grund angelegt ist?

 

IK: Nein, meist habe ich bei einem Bild ganz konkrete Vorstellungen auf unterschiedlichen Ebenen. Ich kann mir das Ergebnis, das gesamte Bild daraufhin aber nicht konkret vorstellen. Bei diesem hier, „Laissez-faire“, habe ich zum Beispiel die Vorstellung von etwas Elegantem und Dezentem. Bei „Übungen“ etwa stand fest, es sollte ein rotes Bild werden. Also, die Dinge entstehen kontrastierend. Einem Faltblatt ähnlich: Ein Bild entsteht nicht nach dem anderen, aber es wird auch nicht sofort in eine Kategorie gruppiert. Sondern ist doch meist noch mit dem vorangegangenen verbunden. Bestimmte Charakteristika sind ziemlich schnell festgelegt. Es passiert selten, dass sich da noch etwas völlig ändert. Kann es aber gar nicht genug, denn es ist ja eine Art Reifung des Bildes. Auch die Bildidee reift im besten Fall noch weiter, während ich male.

 

JA: Manchmal arbeitest du ja so – das fällt mir jetzt gerade auf –, dass du dich einem Motiv schon vom Grundaufbau her näherst, wie etwa bei „Laissez-faire“: Bestimmte motivische Strukturen liegen von Beginn an fest. In anderen Fällen ist es aber so, dass du zuerst einen in sich differenzierten, insgesamt jedoch gleichförmigen Grund aufbaust, wie bei dem großen orangefarbenen Bild hier, „Kurven“ (2009). Eine offene Struktur aus zig Farbspritzern, ein Untergrund also, der von sich her überhaupt kein Motiv und keine Perspektive hat, sondern eher eine pulsierende Fläche bildet. Etwas Kleckerndes, das sich zwischen Ordnung und Beiläufigkeit bewegt. So entsteht eine Schichtung, die etwas Gewachsenes hat und bei der sich nicht mehr analysieren lässt, was in welcher Folge aufs Bild gebracht wurde. Das scheinen mir zwei sehr unterschiedliche Herangehensweisen zu sein.

 

IK: Also hier würde ich sagen, dass einfach nur eine Ebene wichtiger ist als die andere. Beim einen war es das Motiv und beim anderen eher eine Farbstimmung oder ein Farbgefühl, welches ausschlaggebend für den Bildgedanken war. Und das muss ich erst visuell vor mir haben. Es schafft spezielle Reize, um darauf ein Motiv zu entwickeln. Und genau das ist wichtig: Es muss ein Bild mit einem gegenständlichen Motiv sein. Wenn ich ein abstraktes oder ein ungegenständliches Bild male, gehe ich anders vor. Das ist zu stark zufallsbasiert und wird dadurch beliebig. Hier würde ich mit einer deutlichen Farbvorstellung oder dem Umgang mit einem Farbproblem beginnen. Vielleicht können wir später noch mal beispielhaft über die Farbe Orange sprechen. Generell gibt es erst einmal Vorstellungen, die ich auf die Leinwand banne und von denen ausgehend sich dann das Gemälde entwickelt. Dazu gehört auch der Umgang mit Fehlern und Flecken. Alles durchzieht eine gewisse Unreinheit, man kann von einer „unreinen Malerei“ sprechen. Sobald Dreck oder Flecken auf dem Bild sind, gehören sie dazu, solange das Bild noch nicht fertig ist. Die Herausforderung ist dann, mit ihnen umzugehen, sie zum elementaren Bestandteil des Gemäldes zu machen.

 

JA: Stichwort Abstraktion: Dass du auch völlig abstrakt arbeitest, ist ja ein eher neuer Ansatz und kommt bisher gar nicht oft vor. Wie verhalten sich diese Ansätze zueinander? Denn dein Umgang mit Gegenständlichkeit neigt ja auch von sich her schon zur Abstraktion beziehungsweise dazu, die Grenze zwischen beiden Bereichen auszudehnen oder zu verflüssigen. Ausdrücklich abstrakt sind bisher nur „Grand Blvd.“ (2007) und „Small Boulevard“ (2008). Und es gibt da ganz kleinformatige abstrakte Versuche beziehungsweise auch schon fertige Bilder, die erst vor kurzem entstanden sind. Insgesamt bisher also nicht mehr als fünf oder sechs? Und du sprachst öfter mal davon, ein „großes Abstraktes“ malen zu wollen, dazu kam es bisher aber wohl noch nicht. Mir scheint diese Art von Abstraktion etwas ganz Eigenständiges zu sein, während du sonst ja eher am Gegenstand arbeitest, dich also an Landschaft, Figur und so weiter orientierst. Welchen Stellenwert hat das rein abstrakte Malen für dich?

 

IK: Ich denke, dass der Begriff der sogenannten „Semi-Abstraktion“ erst eine Trennlinie zwischen beiden Bereichen schafft. Wenn es auf der einen Seite gegenständliche Bilder gibt, wie kann dann die abstrakte Malerei mitspielen? Oder: Wie sieht das Verhältnis zwischen beidem dann aus? Natürlich kann man sagen, die formalen Mittel sind genauso vorhanden wie bei gegenständlichen Gemälden, haben bloß ein stärkeres Eigenleben. Damit sind aber große Probleme verbunden. Es hat immer eine Form von Beliebigkeit, wenn einige Parameter gegeben sind, die man dann sozusagen nur noch auf der Leinwand erfüllt; aus seiner eigenen Pinselbewegung heraus oder mit bestimmten Farben. Das ist etwas anderes, wenn man eine bestimmte Orientierung hat, und auch vor allen Dingen bei einer Orientierung an einem gegenständlichen Motiv. Das ist sofort mit Inhalt beladen. Und wenn dann sozusagen die formalen Mittel plötzlich bloß stehen, ist das momentan bei mir zumindest ein Sonderfall.

 

JA: Aber ein Sonderfall, der dich reizt?

 

IK: Ich kann gerade beim vollständig abstrakten Arbeiten ganz wichtige Dinge herausfinden. Auf gewisse Art und Weise kommt dabei nämlich ein Substrat heraus, denn ein abstraktes Bild kann auch ohne den sonst so wichtigen Bereich der Gegenständlichkeit bestehen. Um eine präzise Inhaltlichkeit zu erreichen – also Figuration, Andeutungen an Narration, bestimmte Symbolbeladungen oder allegorische Konstellationen zu schaffen –, muss ich allerdings tatsächlich ab-bilden.

 

JA: Man bewegt sich damit ja auch in unterschiedlichen Traditionen. Über so etwas habe ich mich übrigens gerade mit einem anderen Maler, Michael van Ofen, unterhalten. Von der Malerei her hat er mit deinen Arbeiten zwar nichts tun, aber ich komme jetzt darauf, weil er sich intensiv mit dem Verhältnis von Abstraktion und Gegenständlichkeit beschäftigt. Dabei bezieht er sich überwiegend auf die Malerei des 19. Jahrhunderts und auf die Gattungen, die sich dort herausgebildet haben. Für ihn sind Landschaft, Porträt oder Stillleben tradierte Bildmuster, die eine bestimmte Art des Sehens formalisieren. In solchen Gattungen stecken „eben 35000 Jahre Malereigeschichte“ drin, wie er sagte, als eine sedimentierte Geschichte des Sehens. Insofern ist der Umgang mit malerischen Bildgattungen ja immer auch ein Statement.

 

IK: Das kann ich nachvollziehen. Ich habe mir ja etwas wie eigene Gruppen von Bildern geschaffen, die mit bestehenden Gattungen umgehen; es gibt Landschaften, es gibt diese Gruppe von Kleinformaten mit den Häusern, bei denen es um eine sehr simple Form von Architektur geht – „Gebautes“ und „Geformtes“ spielt ohnehin eine wichtige Rolle. Dort, wo meine Bilder landschaftlich anmuten, haben sie eine künstliche Landschaftlichkeit. Bezugspunkte und Deutungsschemata knüpfen an die Kunstgeschichte und ihre Figuren an... Referenzen. Generell gibt es den Kontext des Systems Individuum – Umwelt, oder einfacher den Komplex Tier – Mensch – Landschaft mit vielfältigen Beziehungen untereinander.

 

JA: Eine künstliche Landschaftlichkeit wie etwa bei „Lac“ (2007)? Oder bei diesem Bild, auch großformatig… leider weiß ich den Titel nicht mehr, auf dem ein See, eine Himalaya-Zeder und dieser merkwürdig geformte Stein zu sehen sind...

 

IK: „Skulptur“ (2007).

 

JA: Genau, das hat auch diese Künstlichkeit in Bezug auf Landschaft.

 

IK: In „Lac“ ist das durch die artifiziellen Posen der Schwäne besonders deutlich gekennzeichnet. Meine Bilder haben außerdem immer eine eher enge Perspektive und kein in die Ferne reichendes Panorama. Auf einigen Bildern gibt es zusätzlich Balkenformen, etwa wenn die Bäume wie in „Voliere“ (2006) nicht gewachsen, sondern horizontal gelegt oder arrangiert sind.

 

JA: Bei den Volierenbildern spielt das generell eine Rolle?

 

IK: Sobald ich Wildnis zeige, negiere ich sie zugleich durch eine giftige oder synthetische Farbigkeit.

 

JA: Dabei denke ich vor allem an frühere Bilder mit Wiesel, Dachs und Luchs auf der Wiese.

 

IK: Diese Bilder haben außerdem mit einer speziellen Vorliebe für Grün zu tun, auch als einer mit einem bestimmten Naturbegriff beladenen Farbe. Es ging mir auch darum, das zu brechen und die verschiedenen Facetten des Grüns aufzuzeigen. Beim Begriff „Natur“ denkt man ja eher an ein erdiges Grün, an Oliv oder an „Wald“. Bei solchen Darstellungen habe ich schon immer ein giftiges Schweinfurter Grün hineingeschmuggelt. Dieselbe Farbe bildet jetzt die Dächer einiger Häuser auf meinen Bildern.

 

JA: Die Farbe Grün ist tatsächlich sehr ambivalent und mit teils widersprüchlichen Suggestionen beladen. Das reicht von einer „reinen Schönheit“ im Sinne von „Öko“ und „Natur“ bis zu ganz gegenläufigen Vorstellungen des „Toxischen“, diesem „Slime“ oder den „grünen Männchen“ aus der Sciencefiction. Neben Gefälligem und Eingängigem also auch vieles, das mit Ekel, Angst oder Fremdheit zu tun hat.

 

IK: Innerhalb der Farbgruppe Rot, Blau, Grün, Gelb ist es auch die Farbe, die die wenigsten Menschen als ihre Lieblingsfarbe nennen. Oder – andersherum – sogar sagen, dass sie mit dieser Farbe am ehesten Schwierigkeiten haben. Auf der anderen Seite hat Grün das Potenzial, „angenehm“ zu wirken, gerade auch in der Malerei. Das beschäftigt mich von Anfang an.

 

JA: Du erwähntest eben das „Gebaute“, das dich in deiner Arbeit motivisch interessiert. Worum geht es da?

 

IK: Die Grundbegriffe meiner Motive sind im Prinzip „Natur“, „Mensch“, „Tier“. Und im besten Fall alle drei auf derselben Leinwand, ein Verhältnis dieser drei zueinander. Dort, wo es sich um die „Natur“ handelt oder wo Tiere in irgendeiner Form vorkommen, geht es mir selten um ein ökologisches Verständnis von Artenvielfalt, sondern mich beschäftigt das Individuum und wie es in seiner Umwelt agiert. Das Tier immer als Kreatur oder Individuum. Egal, ob Tiere innerhalb der Zivilisation, Menschen untereinander oder, wie in den meisten Fällen, Tier, Tiere und/oder Menschen in der von Zivilisation gezeichneten Landschaft – die Konstellationen dringen vor bis in Bereiche des Elementaren und Existentiellen.

 

JA: Ein Spektrum an Möglichkeitsformen.

 

IK: Die unsichtbare Leine! Ich muss allerdings noch sagen: Natürlich gibt es viele Möglichkeiten, im klassischen Sinn Tiere zu verwenden.

 

JA: Was heißt für dich symbolisch?

 

IK: Symbolisch heißt, Tierdarstellungen zu benutzen, um darauf menschliche Eigenschaften zu projizieren.

 

JA: Bitte ein Beispiel, so habe ich deine Arbeit bisher nicht verstanden.

 

IK: Nein, das ist auch die eher traditionelle Verwendung. In meiner Arbeit steht das jeweilige Tier sozusagen für sich selbst. Auf dem Bild „Jet d’Eau – Der schönste Tropfen, der jemals gespritzt wurde“ (2008) ist zum Beispiel eine Katze dargestellt, die möglicherweise um ihr Leben ringt, und es ist damit auch eine Katze gemeint. Ich möchte nicht, dass überall spezifisch Menschliches drin zu sehen ist – natürlich, psychologisch ist es letztlich schon so, aber das innerhalb eines erweiterten Begriffs von „Umwelt“.

 

JA: Die Bilder „Jet d’Eau – Der schönste Tropfen, der jemals gespritzt wurde“ oder „Animal Abuse“ (2007) haben für mich auch einen speziellen Witz und etwas Komisches. Bei „Jet d’Eau“ liegt es an der kompositorischen Konstellation zwischen Katze und Springbrunnen. Wenn ich mich richtig erinnere, speit doch der Katzenschwanz die Fontäne?

 

IK: Das Bild ist perspektivisch so verschoben, dass es aussieht, als würde die Katze die Fontäne entladen.

 

JA: Als Bildidee geht das schon ins Karikaturhafte.

 

IK: Ja, aber verzerrt karikaturhaft. Klar, die Darstellung der Katze wirkt – trotz eigentlich gesträubter Haare – immer noch lustig, trotz ihrer Not. Aber gerade das und vielleicht auch genau diesen Bezug zur Comic-Welt – die Katze ist sehr flächig und ihre Mimik ausgeprägt gemalt – wollte ich hierbei haben.

 

JA: Ich habe da auch an „Tom und Jerry“ gedacht...

 

IK: Genau, so etwas. Ein Vorfall, bei dem es wirklich um Leben und Tod geht, bei dem man aber trotzdem noch lacht. So ist es auch hier. Man kann auf Bildern ja eigentlich alles machen; da verstümmele sogar ich Tiere oder zerhacke Bäume. Und das ist es ja vielleicht auch: Ich benutze die Gegenstände auf der Leinwand. So, wie in Zivilisation und Gesellschaft üblich. Bei dem, was man sieht, kann man lachen; dieses Verhältnis zwischen Betrachter und Bild ist im besten Fall evoziert und Bestandteil meines Interesses. Mit diesem Kalkül hat auch „Animal Abuse“ zu tun, mit dem Verhältnis von Gewalt und Amüsement.

 

JA: Auf diesem Bild sehe ich eine solche Gewalt aber eigentlich nicht so deutlich.

 

IK: Ja, das stimmt. Da ist sie im Titel: „Animal Abuse“ heißt es, und dann sieht man, natürlich, da ist es eben umgedreht; die gucken so fröhlich vor sich hin, in einer eher wattigen Atmosphäre, aber... ich würde mal behaupten, im besten Fall lauert eigentlich in jedem Bild irgendwo ein Abgrund.

 

JA: Wie kommst du auf den Titel „Animal Abuse“?

 

IK: Animal Abuse = Tiermissbrauch. Es war in diesem Fall tatsächlich die Vorlage. Ein sehr cleanes, schönes und sauberes Foto aus den USA. Es sind eigentlich ja Nutztiere, aber nicht nur typische Bauernhoftiere, sondern ein Kälbchen, zwei Hunde und eine Ziege. Das Foto machte einen sehr befremdlichen Eindruck, es war tatsächlich so fotografiert, aber es sah dabei sehr künstlich aus.

 

JA: Und das wolltest du übersetzen, über den Titel mit reinholen? Die Künstlichkeit der Konstellation aufgreifen?

 

IK: Das Synthetische sieht man auch in der Malerei, die eigentlich aus Farbkringeln besteht. Das ist das eine. Ansonsten gibt es leicht sodomitische Züge – ein Bild über dieses bäuerliche Klischee, wenn man sich die Konstellation der Tiere, ihre Zusammensetzung ansieht, das Verhältnis von Bauernhoftieren und Haushunden. Durch das Zusammenspiel der Zutaten ist dieser Eindruck automatisch da. Eine völlige Künstlichkeit, die Tiere sind auf der Vorlage trotz Hintergrund wie freigestellt: Völlig rausgelöst, es war Stroh im Stall, aber es sieht eigentlich aus wie ein Fotoshooting-Studio.

 

JA: Der Hintergrund könnte eine weiße Leinwand sein, und die Kuh steht fast deckungsgleich mit dem Horizont da.

 

IK: Adäquat dazu die malerische Behandlung. Vieles gerät aus der Form, sogar der obere Balken wirkt verrutscht.

 

JA: Ein kleines Echo von „Rand“ (2006), das sich da oben durchschlängelt, oder? Fällt mir gerade auf.

 

IK: Ja, stimmt! „Schiene“ könnte das Bild auch heißen. In jedem Bild gibt es Elemente, die das Motiv kommentieren, oder die Bedeutung des Motivs.

 

JA: Und zwar malerisch, das ist das Interessante. Da bündelt sich der Wechselverhältnis von Inhalt und Form. In der Kunst ist ja oft das Problem: wenn von Inhalten ausgegangen wird, ohne dass es zu einer Art von Transformation kommt. Aber dass es darin eine Drehung gibt, dass das zusammengeführt wird, das ist interessant an deiner Malerei. Und auf jedem deiner Bilder könnte man dieses Moment von Transformation auch wieder anders sehen, da bist du sehr erfindungsreich.

 

IK: Das ist aber ein wackliger Moment, der immer gerade so standhält. Ein Bereich eines Bildes entspricht jeweils einem anderen, indem Negatives umgedeutet wird oder es Übersetzungen dafür gibt. Ich kann kein Bild idyllisch stehen lassen. Bei „Campioni del Mondo“ (2008) siehst du ja auch diesen simplen roten Fleck komplementär in lauter Grün. Sein Titel ist ironisch, man denkt vielleicht an Fußball. „Campioni del Mondo“ heißt übersetzt aber auch „Muster der Erde“. Neben seiner differenten Bodenstruktur ist dieses Bild flächig überzogen mit einem musterhaften Regenfall.

 

JA: Ist das Bild schon fertig?

 

IK: Ich arbeite noch daran! Es ist ja auch jetzt schon wieder überarbeitet.

 

JA: Die Darstellung der Stämme hat sich seit dem letzten Mal verändert.

 

IK: Und die werden später noch überdeckt. Ich habe aufgehört, daran zu malen und musste feststellen, dass die weißen Tropfen wie eine Wand vor dem Bild standen. Jetzt wird sich die Form des Regens selbst differenzieren, denn der sieht ja auf einem Baumstamm anders aus als in der Luft. Diese Verhältnisse innerhalb der Bildstruktur werde ich noch ändern. Meine Bilder haben ja generell unterschiedliche Oberflächen, sehen oft unterschiedlich gemalt aus. Ich weiß zwar, dass die meisten Bilder meiner „Handschrift“ jeweils zugeordnet werden können, aber es gibt durchaus unterschiedliche Typen von Bildern. Zum einen diese stark pastosen Oberflächen, dann gibt es oft auf den großen Bildern – auch bedingt durch ihre wesentlich größere Fläche, die eine Ausdehnung der Farboberfläche möglich macht – fast rohe Leinwand neben sehr klumpigen Partien. Das findet auf den kleinen Bildern eher konzentriert statt. Alla prima ist offener.

 

JA: „Group of People“ (2007) oder „Parcours“ (2007) wären Beispiele für solche Großformate? Zu den Typologien fällt mir gerade noch etwas ein. Immer wenn wir mal wieder über deine Arbeiten gesprochen haben oder ich neue Sachen gesehen habe, sagtest du: „Man kennt mich dafür jetzt schon, ich will aber etwas anderes machen.“ Ich verfolge seit längerem, dass es tatsächlich jedes Mal wieder noch etwas ganz Neues gibt. Du bleibst dabei, dass du deinen Stil – falls der Begriff nicht selbst schon problematisch ist – immer wieder veränderst?

 

IK: Na ja, vielleicht bin ich noch nicht ganz bis zum Kern meiner Arbeit vorgedrungen und noch auf der Suche. Ich stellte das fest, nachdem ich reine Landschaften gemalt hatte und in Bezug darauf oft das Wort „Natur“ hörte. Ich mag das gar nicht, eben wegen seiner Vielfältigkeit und Variationsbreite von „Öko“ bis zum nostalgischen Jagd- und Hirschcharakter und zur naturfarbenen Leinenbekleidung, an die man auch denken kann. Das war es eben nicht! Danach kamen Tiere ins Spiel, was zunächst ein völliger Befreiungsschlag war.

 

JA: Du meinst die Zeit der Fuchsbilder?

 

IK: Zu diesem Zeitpunkt habe ich gemerkt, dass das Personal in der Landschaft sehr wichtig ist: Es ist eine weitere Dimension von Handlung, die ins Bild gelangt. Nur: „Tiere“ und „Natur“ ergeben immer eine Rezeptur von „Idylle“.

 

JA: Wobei du doch auch damals schon sowohl damit als auch dagegen an gearbeitet hast.

 

IK: Allerdings mit anderen Mitteln als denen der Darstellung. Meine Landschaften sind keine Idyllen, sondern sie befinden sich immer in irgendeiner Form innerhalb von Zivilisation. Das ist auch aktuell so, bis hin zu „Group of People“. Die Figuren leben oder bewegen sich in künstlichen Räumen. Außenraum ist auch wichtig, aber dieses Gefüge und die Verhältnisse innerhalb dessen, die sind immer wieder wichtig, und da bin ich wahrscheinlich noch auf der Suche. Gerade weil ich mich mit Vorliebe in Gebieten bewege, die mich subjektiv und schon fast fetischistisch anziehen. Motivwelten, die wahrscheinlich niemand, den ich kenne, auch bevorzugt: selbst gebaute Katzenhäuser für karitative Zwecke, oder...

 

JA: Du meinst diese merkwürdigen Hütten?

 

IK: Ich habe eine ästhetische Vorliebe für den karitativen Tierschutz, und die geht noch weg von meiner eigenen Position dazu. Das ist vielmehr eine Faszination für diese Lebenswelt – von außen betrachtet. Der Blick auf diesen schon fast subkulturellen Kosmos. Tragik und Schicksalhaftigkeit, die sich von Mitleid bis Albernheit spannen. Diese Motivwelt appelliert auch an den Malvorgang selbst: So wie im Tierschutz gerettet, versorgt, aus Not geholfen wird, gilt es auch beim Malen von Bildern, mit Bestehendem umzugehen statt Neues zu schöpfen.

 

JA: Also, offensichtlich erkenne ich das eben Formulierte in deinen Bildern aber nicht.

 

IK: Nein, es ist malerisch verborgen! Ich entnehme die Vorlagen für meine Gemälde aus einer inneren Begeisterung. Mit diesen Bildern arbeite ich natürlich am allerliebsten, es ist etwas anderes, als die Motive, die meine Ratio zusammenbastelt.

 

JA: Dann ist auf den Bildern aus der Gruppe „Mühle“ letztlich ein Katzenhaus zu sehen?

 

IK: Ja, das kann man hier zum Beispiel sehen: Die Öffnung des Hauses bildet die Form eines Katzenkopfs.

 

JA: Es ging nie um eine Mühle?

 

IK: „Mühle“ ist der abstrahierende Titel. Es handelt sich stattdessen um, ich glaube, zwei Modelle eines Kletterhauses für Katzen, aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und liebevoll fotografiert. Aber mit den unterschiedlichen Öffnungen findet letztlich auch dort, wie bei einer Mühle, ein Durchlauf statt. Diese Lebenswelten gelten für mich als eine Art Subkultur, in spezieller Form. Ich habe eine Affinität dazu, und natürlich kann man aus einer Affinität heraus am besten schöpfen.

 

JA: Klar. Da würde ich auch maßlos sein.

 

IK: Und es lassen sich auch Prinzipien dafür nennen: Architektur, ein spezielles Gefüge, Exzentrik und Schrulligkeit und Verschrobenheit, was wiederum mit Deformationen einhergeht.

 

JA: Wobei Dinge wie diese Katzenhäuser und so weiter ja gewissermaßen schon in sich deformiert sind.

 

IK: Es sind hier Dinge vom Begriff her sehr nah beieinander.

 

JA: Die „Mühle“ ein Katzenhaus, das ist für mich jedenfalls eine schöne Information.

 

IK: Ja, eine verborgene Exzentrik ist vielleicht immer drin.

 

JA: Du redest vom Motiv? Oder auch von der Aneignung?

 

IK: Ich musste jetzt auch an die „Mühle“ denken, und wie du sie dir wahrscheinlich bisher vorgestellt hast... Eine neutrale Hausform zu bearbeiten, das hätte keinen Reiz für mich. Natürlich führt es zur Kategorie „Haus“ oder „Häuschen“ oder „Hütte“; aber meine Form der Umsetzung findet über das Spezielle daran statt.

 

JA: Was sich mit den Volierenbildern deckt: Auch das sind im Grunde Interieurs für Tiere aus menschlicher Perspektive betrachtet. Die Künstlichkeit, wie der Futternapf dasteht, die Art, wie der Boden beschaffen ist und Zweige hineingelegt sind: alles andere als „Natur“. Ich finde es interessant, das dann quasi als Naturersatz vorzuführen, als einen Raum, der einen Naturersatz darstellt und dies in abstrakte Form zu übersetzen.

 

IK: Aber es ist auch nie standardisiert, sondern oft greife ich ja, so wie bei den Hütten, etwas ähnliches auf wie Bastelcharakter, Einmaligkeit, Subjektivität, Dinge, die nur für einen Zweck geschaffen wurden – also eben nicht Dinge, die man kennt. Exotik. Und versuche, diese speziellen Dinge zu einer Allgemeinheit zu führen. So dass es später verallgemeinert Gültigkeit als Haustyp hat. Oder als die Abbildung eines Hauses. Die Herkunft des Bildes hat dann diese spezielle Note. Wobei sich das auch überhaupt nicht im Titel widerspiegelt, -spiegeln muss: Mein Anspruch ist es, dass diese wichtigen Informationen, die für mich ausschlaggebend waren, das Bild auszuwählen und zu malen, in der Malerei selbst formuliert sind.

 

JA: Oder geht es auch gar nicht so sehr darum, dass es, wie in diesem Fall, Katzenhäuser sind? Im Grunde steckt ja alles drin in der Art, wie es auf seine Weise komisch und dabei in der Malerei aufgehoben ist. Es ist ja nicht so, dass man durch deine Malerei hindurch sozusagen ein „reales“ Bild sieht, sondern die Anteile verbinden sich miteinander. Dann ginge es darum, diese Verbindung zu formulieren. Und alles andere wäre ja auch anekdotisch. Also, darum geht’s wirklich nicht.

 

IK: Nein, überhaupt nicht. Mir geht es auch nicht unbedingt darum, verschiedene Lebenswelten vorzustellen, vielmehr um ihre Herkunft und die Schaffung neuer. Die Gemälde sind Konstellationen, nicht Schilderungen.

 

JA: Konstellationen?

 

IK: Das macht wahrscheinlich am meisten meine Bildsprache aus. Konstellationen von Landschaft, also Verankerungen von landschaftlichem Umraum und Figur; meistens mit Figuren darin und oft simplifiziert. Kompositorisch auf die Bildfläche gebracht, aber auch simplifiziert. Das Haus steht dann mittig oder ist eben tatsächlich für dieses Bild, für diese Art der Anordnung geschaffen. Deshalb hat es ja auch oft etwas Strukturelles, statt Impression oder Geschichte zu sein. Es geht ja um die Struktur. Und da ist wieder die Verbindung zu den formalen Mitteln. Und noch ein Aspekt, den ich erst jetzt erinnere: das Bearbeiten, um nochmals über den Prozess zu sprechen. Ich bin niemand, die ein Bild – ganz selten – von Anfang bis Ende durch malt, sondern ich brauche eine selbst geschaffene Grundlage, die völlig unelegant aussieht. Anhand derer ich arbeiten kann, und die ich dann auch bearbeiten kann. Eine Grundlage, die möglicherweise misslungen, von Zweifel besetzt ist. Farbe blättert ab, die Vorzeichnung gelingt nicht, etwas gelingt nicht sofort, etwas ist zu viel im Bild, Pentimenti, aber darauf aufbauend versuche ich, sie sozusagen zu „retten“. Oder daran zu arbeiten, dass auch sie gültig ist. Etwas Misslungenes wieder aufbauen... als veterinärmedizinischer Aspekt. Dadurch entsteht ein gemachter Charakter statt eines in sich einheitlichen.

 

J.A.. Ich erinnere mich, dass du mal sagtest, du würdest Fehler geradezu produzieren, um dann einzugreifen. Interessant ist aber, wie du das auflöst: Dass es nicht beim Fehler bleibt, aber dass am Ende auch nicht wirklich Glätte entsteht. Es ist eben nicht alles wieder getilgt, aber vielleicht könnte man sagen: Die Fehler erzeugen miteinander eine Art von Klang, in dem es auf überraschende Weise insgesamt dann wieder funktioniert.

 

I.K.. So würde ich das auch sagen.

 

JA: Aber die Details haben wieder mit Deformation zu tun: Wenn etwa eine Perspektive ausdrücklich nicht stimmt oder so etwas. Und darüber hinaus gibt es immer diese zweite Ebene einer Tendenz zur Abstraktion, durch die man „Fehler“ auch als Form lesen kann. Auch im unverstelltesten Realismus haben ein Bein oder ein Arm etwa eine bestimmte Form, die sich auch abstrakt lesen lässt. Du erlaubst solchen Formen, Eigendynamik zu entwickeln – und formulierst das dann als eine Art Konzert von Fehlerhaftigkeit, dessen einzelne Stimmen sich zu eigener Stimmigkeit, zu einem eigenen Klang verbinden.

 

IK: Eine eigene Stimmigkeit, die aber auch, damit ihre Existenz legitimiert ist, einen adäquaten Platz hat und zur Geltung kommt.

 

JA: Eine Legitimierung der Existenz des Bildes?

 

IK: Des Bildes oder all dieser Dinge im Bild. Denn das bedeutet Gegenständlichkeit ja auch: Umgang mit Vorhandenem. Damit meine ich nicht Harmonie – obwohl sie kompositorisch oder malerisch vielleicht vorhanden sein mag, aber...

 

JA: Harmonie war auch nicht mein Begriff, sondern ein Klang, der auf einer Reihe von „Fehlern“ beruht. „Fehler“ in dicken Anführungsstrichen, denn auf diese Weise sind es ja eigentlich gar keine.

 

IK: Ich nenne es lieber missraten.

 

JA: Aber „missraten“ und „Fehler“ beschreiben etwas immer nur negativ. Es geht doch bewusst um Deformation, um eine Reihe von Deformationen, die aufeinander aufbauen.

 

I.K..: Oder Dinge, die nicht im Ideal da sind.

 

JA: Mir ist das als Erfahrung sehr präsent. Als ich die ersten Male Bilder von dir gesehen habe, hatte ich das Gefühl, ich müsste mich immer wieder neu darin einfinden, sozusagen aufs Neue darin einschauen. Das war auch später bei jeweils neuen Arbeiten immer wieder der Fall. Inzwischen kenne ich das, und es gelingt mir mittlerweile auch viel leichter – aber dieser Effekt des anfänglichen Befremdens bleibt zumeist, und das finde ich gut. Es gibt am Anfang immer eine Hürde, und das zeigt ja, dass etwas passiert, dass da eine Entwicklung ist. Immer wieder, von Mal zu Mal, wo ich etwas so wahrnehme, entwickelst du eine wieder andere Art von Umgang mit diesen Deformationen. Die einem vielleicht zuerst schwer runtergeht, bis man das sehen lernt. Ich sage das nur deswegen, weil ich diesen Effekt immer wieder sehr bewusst erlebt habe. Gerade das ist für mich eine besondere und interessante Qualität: Man muss bei deinen Bildern sehen lernen. Ich weiß nicht, wie Leute darauf reagieren, die sie zum ersten Mal sehen. Ich könnte mir vorstellen, dass die erst mal über genau die Dinge stolpern, mit denen du arbeitest, nämlich diese Fehler. Aber es ist ja gar kein Fehler, sondern bedeutet den Einstieg – wenn man den dann mitgeht. Ich sehe in deinen Bildern da eine gewisse Art von Widerständigkeit, der du dich, wie ich finde, auch selber sehr stark aussetzt. Und das meine ich gar nicht negativ im Sinne von „sich abquälen“, sondern durchaus als Vergnügen. Manchmal eben auch über Witz und Humor.

 

IK: Das ist ein notwendiges Vorgehen.

 

JA: Ich habe mich auch gefragt, ob es eine Art von Humor sein kann, das Motiv mal ganz wegzulassen. Du merkst, ich komme immer wieder auf die abstrakten Bilder zu sprechen. Von der Warte deiner Malerei aus gesehen könnte man es auch als komisch auffassen, so rein abstrakt zu arbeiten.

 

IK: Das hat aber auch mit dem Mengenverhältnis zwischen abstrakten und gegenständlichen Bildern zu tun, denn noch haben die erstgenannten Kommentarcharakter...

 

JA: ...die Abstrakten?

 

IK: Du weißt, ein großes abstraktes Bild ist noch immer im Hintergrund.

 

JA: Auch im Hinterkopf?

 

IK: Ja, auch. „Hintergrund“ ist in diesem Fall sogar noch konkreter gedacht. Etwas anderes: Das mit dem Sehen lernen ist für mich selbst auch oft schwierig, aber gerade jetzt ist es nötig, das auszuhalten. Heute Morgen, als ich in den Raum kam, standen natürlich nicht so viele Bilder ausgebreitet wie im Moment. Es hat so zwar auch einen gewissen Klang, aber es fällt doch noch einiges auseinander: diese abstrakte Fläche, das angefangene Haus, die Mulde, diese Figuren und dazu noch die manchmal unterschiedliche Visualität und unterschiedliche Farbigkeit.

 

JA: Das betrifft jetzt das Verhältnis der Bilder untereinander. Wie ist das innerhalb eines Bildes?

 

IK: Der Blick darauf ist auch immer wieder neu. Es kommt auch auf die Konstellationen an, in denen die Leinwände zueinander stehen: Die Häuser-Bilder schaffen ein in sich stimmiges Gesamtbild; das gleiche können aber auch zwei völlig kontrastierende Bilder erreichen, indem sie sich ergänzen. Noch mal zum „Klang“: Der entsteht durch Präzision. Der Klang, das Bild, also das, was am Ende herauskommt, besteht aus meinen Vorstellungen zum „Motiv“ insgesamt. Es ist das ausschlaggebende Bild, so wie ich es sehe. Das alles zeigt sich in der Malerei – was an Bedeutung herauskommt, den Umgang mit Malerei betrifft oder etwaige Referenzen, ist alles auf dieser Leinwand verzeichnet. Auch Elemente wie angeschnittene Figuren, Faltenwurf oder allegorische Konstellationen sind darin enthalten. Eine Leserichtung von links nach rechts mit ihrer Zeitlichkeit spielt immer wieder eine Rolle.

 

JA: Du sprichst jetzt über Bezüge zu Malerei-Traditionen? Ich hatte zunächst eher an den Umgang mit Farbe gedacht.

 

IK: Nein, jetzt bin ich bei den Malerei-Traditionen. Das findet im Moment aber weniger direkt, eher vor einem groben begrifflichen Hintergrund statt. Der Ballast „Malerei“, mit ihm generell umzugehen, statt an bestimmte Positionen anzuknüpfen. Momentan passiert viel Zufälliges oder Prozessorientiertes, das sich aber immer wieder zusammenballt, bündelt. Da bin ich aber noch dabei, das ist relativ neu...

 

JA: Hat das quadratische Bild schon einen Titel?

 

IK: Es gehört auch zur „Mühle“-Serie. Eine verborgene Mühle.

 

JA: Hier geht es in der Tat verborgener zu...

 

IK: Sie steht einfach weiter im Hintergrund... während die anderen „Mühlen“ sehr präsent sind.

 

JA: Bleibt dieses Bild denn so mit den Verläufen? Oder bildet das eher eine Art von Untergrund?

 

IK: Hier zerläuft das ganze Bild. Die anderen Bilder bestehen zumeist aus dick aufgetragenen horizontalen Farbbalken; auf ganz wenigen liegen sogar einzelne Tubenstränge aufeinander.

 

JA: Bei der Grisaille-Katze „Katze“ (2004). Oder „Fuchs“ (2006), diesem frühen Fuchs in Knallorange, richtig?

 

IK: Der ist wässrig! Aber andere orangefarbene Bilder, mit einem Hund drauf, übrigens. Irgendwo in einer Reihe ist so ein Stopp, und dann braucht es einen Gegenpart innerhalb dieser Reihe, bei dem die Farbe dann zum Beispiel läuft, statt eine Anhäufung von Klumpen zu sein. Die Dinge, ein und dasselbe auf unterschiedliche Art und Weise zeigen. Oder auch zwei sich wahrscheinlich völlig entgegengesetzte Möglichkeiten.

 

JA: Heißt das, du denkst deine Bilder doch stärker von Konstellationen her? Ich habe sie bisher immer eher für sich, eben als einzelne Bilder gesehen. Wenn du sagst, dass sich die Bilder gegenseitig ergänzen, inwiefern ist das wichtig für dich?

 

IK: Die Entstehungsgeschichte ist wichtig. Es gibt Maler, die linear, aufbauend arbeiten. Bei mir sind mittlerweile Bildergruppen entstanden. Mal kommt dort ein neues Bild hinzu, mal eins in eine andere Gruppe. Ein neues Bild ist immer auch eine Reaktion auf das Vorangegangene, nicht eine bloße Weiterentwicklung desselben; ich denke da kontrastierend. Das liegt wohl auch am Widerstand dem fertigen Bild gegenüber. Vielleicht auch generell einem Misstrauen.

 

JA: Geht es darum, immer wieder weitere, neue Formensprachen zu erfinden?

 

IK: Es geht nicht so sehr um die Erweiterung des eigenen Vokabulars, sondern darum, dem bisher Dargestellten nicht zu trauen. Und zu versuchen, es auf möglicherweise völlig andere Art und Weise noch einmal zu zeigen.

 

JA: Es gibt schon auch von Bild zu Bild immer mal neue Formen des Malens, also Umgangsweisen mit Farbe. Etwa in „Animal Abuse“ mit einer Oberfläche voller farbiger Löckchen, diese ausgekreisten Geschichten… So etwas hab ich vorher noch nicht gesehen. Oder vielleicht übersehen? Jedenfalls eine Erfahrung, die ich bei deinen Bildern immer wieder mal mache.

 

IK: Ich mag es einfach nicht, ein Bild mit den althergebrachten Mitteln zu malen. Ich fühle mich dann einem Schema folgend, einem logischen Bildaufbau, eben des Abmalens. Das ist überhaupt nicht das, was ich im Sinn habe. Wahrscheinlich, um das zu umgehen und anders an ein Gemälde heranzugehen, ist es für mich immer wieder notwendig, das Abmalen zu überlisten. Jede neue Form ist beim nächsten Mal schon wieder eine Methode.

 

JA: Noch mal ein anderer Zugang zu dem, was ich vorhin die Widerständigkeit nannte.

 

IK: Abseits dessen ergeben sich natürlich bestimmte Muster, die ich vermehrt anwende, aber das vor einem bestimmten Hintergrund: Dann besitzt ein Strauch, der ähnlich wie etwas anderes an ähnlicher Stelle in einem anderen Bild gemalt ist, auch eine ähnliche Funktion.

 

JA: Denkst du, dass das so weitergeht oder merkst du vielleicht eine Art von Einpendeln? Vielleicht entsteht darüber mit der Zeit ja eine Art Repertoire, ein heterogener Stil? Oder geht es doch immer wieder um Absprung?

 

IK: Ich kann es erst seit einiger Zeit aushalten, die Bilder hier jetzt so offen stehen zu haben. Vor einiger Zeit hätte ich nicht so viele auf einmal angefangen, sondern immer das Bedürfnis gehabt, erst etwas fertig zu malen, reinen Tisch zu machen. Aber ich merke, dass sich die Bilder gegenseitig unterstützen: Man hat Vergleiche während des Arbeitens, selbst wenn sich das völlig unterschiedlich gestaltet. Mit dem Repertoire ist es so: Ich male, nacheinander werden einige Bilder fertig, und eins davon ordnet sich dann wie von selbst einer bestimmten thematischen Gruppe zu. Das nächste Gemälde wird dann höchstwahrscheinlich in einer anderen Gruppe Platz finden.

 

JA: Das ist auch mein Eindruck, dass es in deiner Arbeit tatsächlich bestimmte thematische Gruppen gibt, bestimmte Felder, die sich über einen längeren Zeitraum herausbilden und weiterentwickeln. Du hast ja auch von „Group of People“ ein zweites gemacht. Heißt das dann eigentlich „Group of People 2“?

 

IK: Es gibt die „Figurengruppe“ (2006) und die „Zweite Figurengruppe“ (2006).

 

JA: Ach genau, das ist ja noch ein früheres... so ein rotbraunes Bild.

 

IK: „Figurengruppe“, „Zweite Figurengruppe“, „Group of People“ und auch dieses hier, „Übungen“, wird mit demselben Vokabular im Zusammenhang stehen. Aufgrund der sitzenden Figur ist es sehr nah an „Group of People“. Als kleineres Format ist es konzentrierter, es kommt ohne Gruppe im Hintergrund und ohne animalische Zutat aus.

 

JA: Also doch keine Katze?

 

IK: Nein, wahrscheinlich nicht.

 

JA: Ich habe immer noch deine Erwähnung von vorhin im Hinterkopf: die Farbe Orange. Was hat es damit auf sich?

 

IK: Genau: Die Nuancen des Grüns sind mittlerweile zurückgetreten. Zugunsten von Orange und oft bräunlichen Farben. Orange ist für mich eine Komplementärfarbe zum Grün. Eigentlich ist es eine Form von Rot, besitzt ebensolche Signalwirkung und Symbolik. Die ideale Farbe, denn jede andere Farbe aus dem Rotton-Bereich ist weiblich konnotiert. Doch Orange ist am wenigsten symbolisch aufgeladen, trotzdem intensiv und signalgebend. Und so setze ich sie auch gern ein.

 

JA: Ja, das gibt‘s tatsächlich schon länger. Ich denke da beispielsweise an ein Volierenbild, da gab es doch diese orangefarbenen Karotten, oder?

 

I.K.. Genau. Im Sinne des Wortes Lockstoffe.

 

JA: Oder die Möhren beim Nutria-Bild „Möhre“ (2006). Wo das Orange wirklich nur sehr punktuell gesetzt ist. Und bei dem neuen größeren Bild „Kurven“, da ist Orange ja auch sehr präsent.

 

IK: Hier ist die Problemstellung, einen Hintergrund zu schaffen zwischen etwas Grellem, Lasierenden und sowas Milchig-blassem.

 

JA: Das hast du dort drüben bei „Flecken“ (2008) schon geschafft?

 

IK: Ja, das ist vielleicht ein Verwandter!

 

JA: Aber ist das auch ein Hintergrund? Kein abstraktes Bild, sondern eine Grundlage?

 

IK: Vielleicht kommt noch eine Pinselzeichnung drauf. Ich muss mal sehen. Es ist eine abstrakte Fläche, von der ich aber noch nicht richtig überzeugt bin. Etwas anderes als zum Beispiel die „Boulevards“ oder die ganz kleinen abstrakten Bilder. Das liegt am unterschiedlichen Entstehungscharakter.

 

JA: Die Titel der Bilder sind oft ja sehr speziell, selbst dann noch, wenn du bewusst und wohl auch etwas ironisch dabei ganz allgemein bleibst – wie etwa in „Combination of Colours“ (2007) oder den „Figurengruppen“. Wie wichtig sind Titel? Sind es Hinweisgeber, oder sind die Bilder oft sogar vom Titel aus gedacht?

 

IK: Hinweisgeber kann man vielleicht sagen, ja. Damit lässt sich die Aufmerksamkeit lenken, auf dem Bild „Jet d’Eau – Der schönste Tropfen, der jemals gespritzt wurde“ zum Beispiel gibt es tatsächlich einen speziellen Tropfen. Es sind zwar viele Tropfen, die einfach so geflogen sind, durch Zufall, aber darunter ist auch ein zentraler, um den die anderen herum gemalt sind.

 

JA: Und dieser eine ist tatsächlich zufällig an seinen Platz gespritzt?

 

IK: Klar, und das macht einen Riesenunterschied. Wie man Tropfen aufbringt, das kann ja sehr unterschiedlich sein. Im besten Fall ist es wirklich ein falsch geflogener Tropfen, der eigenständig bestehen kann. Dieser Tropfen hier jedenfalls hat genau seinen Platz gefunden, prangt inmitten des unauflösbaren Geflechts von Oberfläche und Inhalt und sieht dabei noch formvollendet aus!

 

 

(1) Am 17.9.2008 in Raum 220 an der HfbK Hamburg.