10. Mai 2009

Pollock, übernehmen Sie!

 

Ein Hauch von Illegalität liegt über dem Titel dieses Buchs. Mindestens. Er klingt sehr aktuell, denkt man an die jüngsten Ereignisse bezüglich gewisser Internet-Plattformen. Aber niemand hat wirklich, sei es 1983, als dieses Buch im englischen Original erschien, sei es bereits gut 30 Jahre zuvor, Maler etwa wie Jackson Pollock verklagt. Insofern ist der Titel ein wenig missverständlich, denn es geht in diesem sehr einlässigen, mit vielen Zitaten arbeitenden Buch weniger um Diebstahl, als um die Verschiebung des Schwerpunktes dessen, was und wer als Avantgarde im Rahmen moderner Kunst zu gelten hatte.

 

Schwerpunkt der Analyse von Serge Guilbaut ist die Zeit von 1946 bis 1952 in den USA, vor allem natürlich in New York, die Zeit also der Kürung Amerikas zu der Siegermacht schlechthin, zumindest im Westen. Frankreich hat einen „drôle de guerre“ hinter sich und kann sich plötzlich nicht mehr Kulturhauptstadt der Welt nennen. Viele Künstler waren geflohen (vor allem in die USA), Paris seit 1940 von den Deutschen besetzt, nach einer heroischen Zeit in den 30er Jahren begann für die Linke (in ihren zahlreichen Facetten) in den 40er Jahren eine schwierige Zeit der Legitimation. Viele Intellektuelle New Yorks, die ehemals Anhänger Trotzkys waren (die Kritiker etwa von „Partisan Review“ oder Clement Greenberg), gingen auf Distanz zur UdSSR, sahen kaum Chancen eines linken Neubeginns. Es war eine Zeit, in der es natürlich bereits Kunst in den USA gab, aber sie war so unbedeutend (zu provinziell oder zu eklektisch), dass jedenfalls in Europa niemand davon sprach. Das änderte sich im Lauf der 40er Jahre entschieden.

 

Das Anliegen Guilbauts ist es, eine Engführung politischer und kultureller Entwicklungen zu präsentieren: zum einen die USA als siegreiche Macht in politicis, zum anderen die Künstler des abstrakten Expressionismus, allen voran Jackson Pollock, die auf ihre Art die Spielart des siegreichen Amerika sind: der gemeinsame Nenner liegt in der ideologischen Figur des als liberal und frei angesehenen Subjekts. Man kann es einfach die Gunst der Stunde nennen, zu der vielleicht auch ein wenig Dreistigkeit oder gar Frechheit gehörten, auf jeden Fall war aus dem amerikanischen künstlerischen Hinterwäldlertum innerhalb weniger Jahre die Speerspitze der Kunst geworden, die Avantgarde, deren Virilität und Stärke sich jetzt in New York zeigte und nicht mehr in dem als effiminiert geltenden Paris, das allenfalls noch die „haute couture“ beherbergte – die hohe Kunst gab es jetzt in den Staaten mit riesigen Leinwänden, auf denen nichts (Figürliches) zu sehen war und die eine Reaktion waren auf die Undurchschaubarkeit der Zeit, die „Entfremdung“ des Einzelnen, dessen Angst zum Beispiel vor der atomaren Bedrohung. Kriterien wie „Geschmack“ oder das „Vollendete“, die man mit der Kunst aus Paris in Verbindung gebracht hatte, zogen nun nicht mehr, jetzt galt es, der „Stärke“ und „Gewalt“ der Amerikaner sich auszusetzen. Das neue Schicksal.

 

Kritiker wie Clement Greenberg sorgten für die Weichenumstellung und die Etablierung von toten Gleisen. Und es war die Gelegenheit, die USA aus dem generalisierten Kitschverdacht zu befreien. Hier gab es etwas, dessen Monumentalität sich mit der der Bauten New Yorks messen konnte: ein Brückenschlag zum modernen Wohnen, etwas, das in Europa noch sehr unwirklich war. Der an der Gesellschaft durchaus auch leidende Künstler, der aber daraus ganz authentisch Kapital schlug und dessen Isolationismus sich auch ganz wunderbar als „sophisticated“ verkaufen ließ. Man muss nach Lektüre dieses Buchs sagen, dass kein großer Kampf im kulturellen Sinn stattfinden musste, damit sich die Verlagerung von Paris nach New York etablieren konnte. Es gab kaum Einsprüche. Ohne die politische Steilvorlage aufgrund der Entwicklungen des Zweiten Weltkriegs hätte es diesen „Change“ aber wohl nicht gegeben.

 

Dieter Wenk (04-09)

 

Serge Guilbaut, Comment New York vola l’idée d’art morderne, Paris 1996 (Éditions Jacqueline Chambon; How New York stole the idea of modern art, Chicago 1983; Wie New York die Idee der modernen Kunst gestohlen hat, 1996)