24. April 2009

Gottessucher

 

In Immanuel Kants dritter Kritik, der „Kritik der Urteilskraft“, geht es im berühmten § 49 um die schwierige Frage, wie sich Ideen, also etwas, das sich nicht darstellen lässt, dennoch vor Augen führen lassen. Die Nicht-Darstellbarkeit von Ideen geht auf kein Verbot zurück, sondern ist prinzipiell unmöglich. Die Lösung: Ideen werden durch Symbole vertreten, die nach einem Analogieverfahren deren Funktion formal aufzeigen. Das Problem, dass sich bestimmte Bereiche im intellektuellen Haushalt des Menschen der Darstellung entziehen, ist freilich viel älter als Kants Kalamität und seine subtile Reaktion. Es ist ein religionsphilosophisches, auf das Judentum, Islam und Christentum unterschiedliche Antworten gegeben haben. Aber nur im Christentum zeigt sich eine bewegte Geschichte zwischen Ikonolatrie und Ikonoklasmus, insofern dem Muslim Gott zu weit weg, dem Juden Gott zu nah ist, kein Bild also den jeweiligen Gott fassen konnte. Die Trinität verleiht dem Christentum ungeahnte Möglichkeiten raffinierter Argumentation. Als moderner Leser erschrickt man beinahe vor den zu unterscheidenden Ebenen des (für uns) Nicht-Realen. Und immer ging es natürlich um die Teilhabe an der göttlichen Sphäre, zu der das göttliche Bild entweder einen Zugang bahnen konnte oder nicht.

 

Schon Platon hatte sich mit dem Problem der Erfahrbarkeit von Ideen herumgeschlagen und gilt als einer der ersten Ikonoklasten. Zugleich aber ist sein Stufenmodell ein Hinweis darauf, dass jede Stufe ihre Daseinsberechtigung hat und somit auch der Künstler, der Kopist einer Kopie, einen Platz im Haus des undurchschaubaren Seins einnehmen darf. Ganz anders dachte man von den Künstlern und ihren Produkten, den Ikonen, im russisch-orthodoxen Christentum. Die Ikone präsentierte real Gott. Keinem Ikonenmaler fiel es deshalb ein, möglichst originell diesen Bezug zum Göttlichen zu gestalten. Ikonenmalerei war Serienmalerei. Darauf kam vor nicht allzu langer Zeit erneut Andy Warhol zurück. Alain Besançons „Das verbotene Bild“ nennt sich im Untertitel eine „intellektuelle Geschichte des Ikonoklasmus“, es geht hier also weder um politisch verfolgte Künstler noch um Kunstgeschichte im engeren Sinn.

 

Es ist aber dann doch mehr als nur eine Pointe, wenn das Buch mit einer kurzen Betrachtung zur abstrakten Kunst in der Spielart Kandinskys und Malewitschs endet. Denn abstrakte Kunst, so eine These des Buchs, ist nicht eine unter vielen Strömungen moderner Kunst, sondern sowohl im Selbstverständnis der Künstler als auch on the long run im Rückbezug der Fragestellung etwas Besonderes, insofern man hier, anders als Impressionisten, Kubisten, ja selbst Futuristen Schluss machen wollte mit dem bestehenden Kunstverständnis und man sich in einer Zeit glaubte, die bereit war, durch Kunst wieder mit dem verlorenen Göttlichen in Kontakt gebracht zu werden. Noch Joseph Beuys hatte ja diesen Rudolf-Steiner-Hintergrund. Ohne die Theosophie Madame Blavatskys, ohne die Rosenkreuzer Péladans kein Totalsynästhetiker Kandinsky, kein Tabula-rasa-Prophet Malewitsch. Erst abstrakte Kunst, sei sie „konkret“ im Sinne Kandinskys oder „suprematistisch“ im Sinne Malewitschs, machte wirklich Schluss mit der schönen Kunst und zwang den Betrachter, irgendwie klar zu kommen mit der „inneren Notwendigkeit“ des erleuchteten Künstlers.

 

Wie Beuys mussten auch Kandinsky und Malewitsch immer wieder die Sprache zu Hilfe nehmen, um ein wenig den Weg zu weisen. Verständlichkeit kann man keinem der drei Künstler attestieren. Aus den Sophismen kirchlicher Bilderauslegung, die als solche absolut nachvollziehbar, wenn auch, zumindest für den Agnostiker, kaum noch verständlich sind, wurden die Kruditäten und Anmaßungen sich inspiriert Glaubender, die es mit ihren Verlautbarungen nicht schafften, den Graben zwischen den künstlerischen Erzeugnissen und dem Zweck der Übung zu schließen. Das ist auch das Schicksal der nachgereihten amerikanischen Farbfeldmaler: Ikonoklau.

 

Dieter Wenk (04-09

 

Alain Besançon, L’image interdite, Paris 2000 (Gallimard)