24. April 2009

Kunsthalle Göppingen

 

Dirk Meinzer. Sirenenheime

 

17. Mai – 5. Juli 2009

Eröffnung: Sonntag, 17. Mai um 18 Uhr

 

Die Ausstellung „Sirenenheime“, die vom 17.5. – 5.7.2009 in der Kunsthalle Göppingen zu sehen sein wird, ist die erste museale Einzelausstellung Dirk Meinzers. Rund 150 Exponate aus verschiedenen Werkphasen des intermedial arbeitenden Objekt- und Aktionskünstlers werden in der Göppinger Shedhalle zu einem wunderlichen Kosmos zusammenwachsen.

 

Dirk Meinzer, 1972 in Karlsruhe geboren, ist ein Feldforscher im Reich der Sirenen, jener Mischwesenfiguren, die als Archetypus in den Mythologien aller Kulturen ihren Platz haben. Verborgen in ihren „Sirenenheimen“, als deren Bauherr Dirk Meinzer alle erdenklichen Register zieht, werden sich die betörenden Verführerinnen in der Kunsthalle Göppingen ein verblüffendes Stelldichein geben.

 

Herzstück der Göppinger Präsentation ist eine ikosaederförmige Rauminstallation: ein großer begehbarer ’Sakralraum’ aus Holzramen mit Dampfbremsfolie bespannt. Davon ausgehend entfaltet sich eine aus zahlreichen Einzelobjekten bestehende moderne Wunderkammer, in der sich Erscheinungsformen von Natur und Technik begegnen: Als Wandarbeiten werden u.a. die Werkgruppen „Lächler“, „Präapokalyptikum“, „Rhizomorphe Landschaften“, „Sturmwinddämonen“ oder „Schreckpopanze“ zu sehen sein. In Filmen wie z.B. in dem großformatig projizierten „Mama Wata“-Video, in rätselhaften Fotografien und numinosen Objekten werden sich die scheuen, leibhaftigen Sirenen mehr oder minder blicken lassen. Dabei operiert Dirk Meinzer mit einem prozessualen Werkbegriff. Nicht alles ist für die museale Ewigkeit geschaffen. Spaghetti, Pommes, diverse andere Lebensmittel und Undefinierbares erstarren unter Farbe, Klebstoff, Glitter und Glitzer. Manches kommt knackig frisch daher, anderes verfällt, verwest und verschimmelt. Naturfragmente gehen mit Hightechmaterialien eine jeweils überraschende Liaison ein. Einen ambivalenten Charme werden die Hybridkreaturen, die Dirk Meinzer eigens für die Ausstellung der Kunsthalle Göppingen gestaltet, entwickeln. Die Leiber der grotesken Kreaturen – zusammencollagiert aus beschlagnahmten und sichergestellten Tier-Asservaten – sind faszinierend und abstoßend zugleich. Noch dazu sind sie ein mit Ironie vorgetragener, leibhaftiger Verweis auf die Kollateralschäden der Globalisierung.

 

Dieter Roth, Jean Dubuffet, Damien Hirst, Paul Klee, Pierre Bourdieu, und Fluxus sind mit Blick auf Dirk Meinzers Ansatz Orientierungsfiguren und -felder in der jüngeren Kunstgeschichte. Hinzu kommt seine Auseinandersetzung mit der Kunst und Kultur Afrikas. Dabei geht es in sehr unterschiedlich ausfallenden ästhetischen Formulierungen immer wieder um den Versuch einer Annäherung an das Fremde. Als Schalk und Magier in einer bizarren Personalunion wählt Dirk Meinzer für diese Annäherung das Verfahren der Assimilation – eine schöpferische Stoffumwandlung im konkreten und übertragenen Sinne.

 

Zur Ausstellung gibt es einen Katalog www.textem.de/index.php

 

Kunsthalle Göppingen

Dr. Annett Reckert

Marstallstraße 55

73033 Göppingen

Tel.: ++49 (0) 7161-650775

annett.reckert@kunsthalle-goeppingen.de

 

 

 

 

 

 

liebreiz

 

darwin hat das wort 'win' in seinem englischen namen, nomen est omen. (und 'rad')

seine entstehung der arten wird immer noch als eine der 3 grossen kränkungen der menschheit gehandelt. (kopernikus und freud sind die beiden anderen bösewichte)

     dirk meinzer wagt sich weit in die sinnlichkeit dieser übergangssphären vor, in die des unter- und des aufgangs in ihnen, des herüben und hinüben, und in die sie begleitenden empfindungen. das geht nicht mehr mit worten, sonst gäbe es diesen diskurs nicht. also wird hier von bildern geredet - ouroboros.

     die ahnengalerie der lächler schlägt einen anderen, einen nebenweg der ahnenforschung, den unvergleichlich viel längeren und breiteren darwinschen, ein der weit bis vor die prähistorie zurück-reicht, nicht mehr fassbar, aber die ahnung unwiderstehlich heraufbeschwörend. die ahnung ist das starke undeutliche und doch gewisse im innern und sie ist die von bedeutung, die hochgeschätzte.

wir folgen ihr. von sowas spricht agnes martin wenn sie den begriff vollkommenheit (perfection) jongliert.

     es gibt nicht nur einheit noch nur plötzlichkeit aber plötzlichkeit in der einheit und ganz bestimmt einheit in der plötzlichkeit und es gibt das verschwimmen, die übergänge zwischen tier und mensch. nichts könnte abgründiger sein.

     seelisch sind evolutionäre prozesse nie abgeschlossen, also auch ikonisch nicht und evolutionär können menschen nur zurückschauen, vor ihnen liegt fiktion.

aber die tiere können (ihre) zukunft in uns sehen.

     in den lächlern ist das menschliche gesichtsschema, das vis-à-vis auf das wir anspringen, oft gerade noch erkennbar in der auflösung der details und der konsestenz und besonders der blick changiert in alle richtungen und zieht sich bis ans ende des tunnels der zeit so weit zurück wie der blick des tiers sich

vor dem unseren. das augenpaar bricht vielfach auseinander und die augen wandern wieder an beide seiten des kopfes, dorthin zurück wo sie einst waren.

     tiere formen schon menschen und menschen noch tiere. oder formen sich tiere menschen, den künstler, so, wie sich menschen tiere formen, um (sie) zu sein ?

     'there is no way to decide if the tamer trained the lion to jump after he cracks his whip or if the lion trained the tamer to crack his whip before he jumps !' tomas schmit.

erst im ähnlichen liegen befremdung und umarmung.

     'kann ein Wesen etwas sehen ohne das zu sein oder

wenigstens zu werden oder weniger zu werden ?' dieter roth.

     da hineinzuschauen verlangt den mutigen blick des verschwisterns und versöhnens in den unheimlich offenen raum den der abschied von mensch und tier geschaffen hat, das zwischenspiel vom ich zum du zum wir und wieder zurück während der gemeinsamen zeit. organische gleich sichtbare, und seelische gleich empathische, sich identifizierende lebendige transmutation (identitas : welch ein herüber- und hinüber-schillernder begriff, wie geschaffen für meinzers bilder).

     er hat ihn, den wilden ahnungsvollen blick in dieses niemandsland das gleich an unsere gefilde stösst, diesen scheinbar unüberbrückbaren abgrund, kann dahinein und darin sehen und auch noch uns bilder davon zeigen. die welt der abbildungen aber ist eine andere als die seine und tiere tragen keinen schmuck im menschlichen sinn. sie sind von blanker schönheit. dirk der lächler.

     die tiere befolgen das ikonoklastische gebot ganz. wieviel vogelschiss klebte an der jüdischen braut, hänge sie an einer tankstelle. schrieben die bienen hier oder der laubenvogel, sie schrieben vermutlich dasselbe, aber über uns.

     die ikonische indolenz der tiere, (und doch hätte zeuxis, dank der getäuschten vögel, beinahe den wettbewerb in der malerei gewonnen, aber er unterlag der fähigkeit, den menschen täuschen zu können) die ikonolatrie des menschen, sie sind  unterstellungen von den jeweils anderen ufern über das grosse dunkel hinweg, vermutungen. was steht auf den steinen, den muscheln ? wie liegen die blätter, stehen die pilze ? grammatik ? information ? und warum sollte das nicht auch für den schiss gelten ? unlesbare spuren von ritualen ?

     diese übergänge sind für uns die schwierigsten, das kann man sehen an den niemals endenden

crossover - metamorphosen im wiesen- und höllengrund aller kulturen ikonik.

     dirk meinzer ist da unterwegs und es ist ihm dort oft selbst unheimlich, aber es verlockt ihn zutiefst und unbändig rauschhaft, also erträgt er's, mit wonne.

das theriomorphe und theriopneumische des menschen und das anthropomorphe und anthropo-pneumische des tiers, diese brisanten potentiale - wie gelangen wir dahin, dazwischen, wenn wir

es denn wollen, wie er ?

     sphären reiner paradoxie : selbstbezogen, widersprüchlich, zirkelhaft - bodenlos. das haftende, die immer und immer im kreis gehende haft in diesem uns so wildfremden und doch genuinen

 

 

gebiet, das die sprache nach der endlosen zeit der absenz des tiers als wesen in, nicht nur für oder gar wegen uns menschen schon nicht mehr ausleuchten kann, unsagbar, keine wörter reichen in diesen abgrund der tiefen sehnsucht nach einer möglichkeit, einander(?) zu verständigen, oder über diesen abgrund hinweg.

orte ohne letzte wahrheiten. oder ort der letzten wahrheit ?

     menschen sind der tiere nachkommen. fragen wir unsere eltern.

tiere können nicht monströs sein, das ist menschenflitterkram : ach mein schönes äffchen mein bärchen mein häschen mein mäuschen. an solchen stellen, liebe oder kinder, geht es wieder : alle sollen glücklich sein, alle. und was DArin steckt, abgündige wahrheit in diesem süssen irrtum, das zeigt dirk meinzer.

     wie menschen hier mit tieren leben das ist gebrauch oder plüsch - aber im ausgestopften präparat liegt schon der abgrund. ein umwerfender blick, dem muss man erstmal standhalten.

     zwischen abbildung, nachbildung, asservat (wie meinzer seine tierpräparate nennt, ein terminus aus der kriminalistik wohlgemerkt) und wesen liegen die nebligen felder von gefügigkeit und flucht, von annäherung und abwenden, von bewunderung, dienen und töten.

     die präparate sind der in form gebliebene erste tod. diesen zustand können die auf einer anderen ebene wiederbelebenden abbildungen und nachbildungen nicht erreichen. der erste tod ist per se nicht kunst, aber im anderen kann er es sein.

     die schönheit der wesen ist abgründig, wir alle werden unwiderstehlich hineingesogen und sie ist, ganz objektiv, völlig subjektiv. schönheit ist einsicht, sehnsucht und wiedererkennen, vielleicht sich.

davor und danach ist schönheit akklamation, ein unerheblicher allgemeinplatz. und schönheit ist die eigene verpflichtung.

     es tut weh, einen gorilla im frankfurter zoo (charly) oder eine katze in der schweiz (stummi)

zu lieben, manche kennen das. nichtmal das alte volkslied von den 2 königskindern kann dieses gefühl des schmerzes heraufbeschwören. es geht tiefer und ist kürzer, ein dolch. es geht tiefer weil sein anfang schon am anfang ist und nicht an irgendeinem ende von erfüllung, es ist nur schmerz und keine seligkeit.

worte können über die lippen gehen aber sie bleiben elend, erreichen nicht, verschlucken sich selbst.

es geht anders, davon spricht meinzer mit seinen werken.

     wer so weit eindringt in diese furche, daß sie wieder zum abgrund wird, der ist ganz nahe auch bei den pflanzen. warum ist dieses trockene fasergerüst einer spanischen opuntie robbe und eber ?

     für eine ameise ist unsere furche kein abrund mehr und für uns noch keiner.

der eichelhäher fliegt sofort weg wenn ich komme und die meise, wenn er kommt. also eignen wir sie uns als schönheit an wo wir uns ihre liebe nicht aneignen können und ihnen unsere nicht geben.

     die augen wanderten nach vorne und schufen das frontale augenpaar, das erstaunen dieser ahnen über uns und die wilde scheu der tiere vor ihm. wieviele blicke liegen in einem einzigen blick ?

     der heilige schauder in der darwinschen übergabe, die hingabe, der antrag, und das expansive des descarteschen wahnsinns der radikalen exklusion, das verbrechen, rauschen ineinander und gären in diesem abgrundseelischen raum aus dem moiré verdorbenen kaviars in kilodosen und eisbären

mit weißen eiern bekränzt.

vor dem furor sind wir menschen und nach dem furor sind wir wieder menschen.

     wenn man die menschheitsgeschichte zusammenschnurren läßt, dann stehen wir vor den industriell geschlachteten göttern und vor dem entsetzen vor dieser tat verschliessen wir fest unser vorwärts-gerichtetes augenpaar.

     so wie fechner die seele der pflanzen durch die der tiere, der uns vertrauteren, aufdeckt, um uns das unerhörte nahezubringen, so gibt es in meinzers bildern das allgegenwärtige gesicht, bis zum schema ganz kurz vor seinem entschwinden, sein erneutes hervorschwimmen und wieder vergehen vor unserem verwirrten blick.

     so vieles wird unkenntlich und geht so verloren unter dem schirm der gewohnheit. (denn sophia wurde wegen ihrer ungezügelten neugier, ihrer tolma, schwerstens bestraft und dann doch vom gnostischen gott rehabilitiert)

     weil wir nicht wach im dunkeln sein wollen, weil wir sehen wollen um zu handeln und unserer visuellen neugier zu frönen und unsere augen sich ans feuer gewöhnt haben, beleuchten wir, wenn die dunkelheit kommt, die bilder, die gegenstände und räume und löschen so die gestirne und erzählungen, nehmen das funkeln der augen der nacht an uns.

lichtenberg schrieb, dass er im liegen anders über eine sache denke als im stehen. wie anders erst bei tag und bei nacht.

     wenn die nacht kommt dann erglühen viele von m.'s werken in der unauslotbaren verschiedenheit

im selben, halten uns andere schichten ihres vielschichtigen wesens entgegen und geben sich so ihr,

 

 

 

der nacht, fremd, festlich und feierlich hin. wie hiesige menschen unter der bedingung des lichts leben obwohl die halbe zeit ihnen nacht ist, das zeigen sie. lassen uns erst in ihrer plötzlichen gespenstigkeit erschrecken und schaudern und dehnen dann unsere zu kurzen dämmerungen, in die der friede und die

muße einkehren als vereinigendes fluidum gegen die macht der dunkelheit, ihre tatenlosigkeit und ihre gefährliche blindheit bei geöffneten augen; bis sie darin versinken.

     aus diesen opaken, unheimlichen zwischenräumen, denen wir nichts mehr geben als nur unseren kampf gegen sie (wir lernen inzwischen die folgen kennen), bringt der bote dirk meinzer uns seine bunten, berauschend changierenden nachrichten von der heftigen und frontalen herausforderung unserer durch unsere eigene versunkene wesenheit, der er dort begegnet.

 

 

 

andrea tippel

berlin, märz 2009