24. April 2009

Meshes of the Museum

 

Mittlerweile besitzt auch das Medium Film einen offiziellen Kanon, der von staatlichen, politischen und wissenschaftlichen Institutionen mit Publikationen und Presseveranstaltungen unterstützt, begleitet und in die Curricula der Schulen eingebunden wird. Dennoch bleibt die konkrete Liste der 100 Filme selbst unter Experten und Cineasten umstritten, eben ein pädagogisch wertvoller Kompromiss zwischen Filmgeschichte, nationalem Denkmal, technischem Fortschritt und der zeithistorischen Variante der Vorstellung, was Jugendlichen zugemutet werden darf, sie aber nicht verderben soll. Je aktueller die Filme werden, desto schwieriger haben es die nicht abendfüllenden Werke, und diejenigen mit erotischem Inhalt geraten infolgedessen in den toten Winkel. Gute Bedingungen, aus denen sich ein Mythos speisen kann.

„Mano Destra“ von der damals 22-jährigen Deutschschweizerin Cléo Uebelmann ist solch ein Mythos. Mit einer Laufzeit von einer guten Stunde ist er kein reiner Kurzfilm mehr, für ein komplettes Abendprogramm reicht es jedoch auch nicht. Dieses Kunstwerk entstand Anfang der 1980er Jahre, als Zeitschriften wie „Tempo“ und „Wiener“ zu häufig mit sadomasochistischen Titelbildern provozierten und diesen Lebensstil erst zu einer müde belächelten Modeerscheinung machten, aus der sich aber mittelfristig eine aktive, selbstbewusste Szene entwickelte, die heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Weil Cléo Uebelmann sowohl den dominanten als auch den submissiven Part mit Frauen besetzte, erregte sie damals in der ziemlich starken lesbischen und feministischen Szene Widerspruch, weil er sich nur mit Mühe in die Werteskala von progressiv bis reaktionär einordnen ließ. In der Folgezeit wird über den Film viel geredet und gemunkelt, aber er wird relativ selten gezeigt. Dabei ist er heute noch (exklusiv) im Konkurs Buch Verlag Claudia Gehrke in Tübingen erhältlich, für private Sessions mit der DVD und für Museumskuratoren oder Kinobetreiber, die ihn in ihrem Haus der Öffentlichkeit präsentieren wollen.

Solche Gelegenheiten sind selten. Ich bekam sie im November letzten Jahres bei dem Ersten Fetisch Film Festival in Kiel.

Die strengen schwarz-weißen Kompositionen füllen die Leinwand und wirken trotz (oder gerade wegen) ihrer Statik eindrucksvoll. Zu dem Film gibt es einen Fotobildband mit einem Vorwort von Birgit Hein, einer Expertin des Experimentalfilms, doch als eigenständiges Werk entwickelt das Geschehen aus dem Projektor dabei einen verführerischen Sog. Zugunsten einzelner, meditativ geschilderter Akte wie dem Präparieren von weißen Bondage-Schlingen vor dem schwarzen Lack und Leder der Domina wird eine erzählerische Ebene verworfen, weshalb es im engeren Sinne weder einen Anfang noch ein Ende gibt: Als Loop könnte der Film endlos laufen. Bei der Vorführung waren bloß wenige Zuschauer anwesend, was den Genuss erhöhte, zumal das Werk eher für einen eigens hergerichteten Raum in einem Museum gedacht ist als für einen Kinosaal. „Mano Destra“ entstand ja auch mit Beteiligung eines Museums und enthält Szenen, in denen Cléo Uebelmann über die Hängung ihrer Fotos nachdenkt und diese variiert und bei einer ihrer Ausstellungen an einem Tisch sitzt, verloren und verletzlich.

Die Kreise und Schlingen spiegeln sich durch wiederkehrende Motive im formalen Aufbau. Einmal findet sich ein „establishing shot“ eines Museums von außen, eine karge steinerne Kulisse mit drei Palmen. Zusammen mit den weiblichen Figuren, vor allem der Domina, schimmert für mich dadurch unvermeidlich das Vorbild Maya Deren durch, konkret ihr Klassiker „Meshes of the Afternoon“. Die meditative Reflexion in Bildern und Tönen formuliert Gedanken, jenseits vorformulierter Wendungen. Dabei wirken die Inszenierungen der Rechten Hand (so die wörtliche Übersetzung des Titels aus dem Spanischen) zugleich zeitlos und als Dokument ihrer Epoche, wozu der Soundtrack der weiblichen New-Wave-Band The Vyllies und die Toncollagen marschierender High Heels ihren Teil beitragen. Die betonierten Flure und Keller mit ihren Röhrenleitungen erinnern an ein 1982 gedrehtes Video von Ian Emes für die britische Gruppe Duran Duran, in dem „The Chauffeur“ besungen wird, das eine Männerfantasie von lesbischen Liebkosungen in einer Tiefgarage bebildert. Die härtere Tonspur bei Cléo Uebelmanns Film erhält die Qualität eines bissigen Kommentars, der sich jedoch in anderen Inszenierungen in „Mano Destra“ spielerisch bricht. Die Autorin signiert ihren Film mit Szenen ihres weißen VW Käfers, aus dem eine fast ebenso hohe schwarze Fahne mit der weißen Aufschrift ihrer Domina-Gruppe ragt, wobei der Wagen ziemlich einsam und verloren wirkt. Und ohne ihre Montur erweckt die junge, schlanke Schweizerin eher die Beschützerinstinkte einer tradierten Frauenrolle, wodurch sie mit widersprüchlichen Bildern von sich eine produktive Spannung aufbaut.

Von Laura Mulvey und Teresa de Lauretis gibt es einflussreiche Essays über das Kino, Geschlechterrollen und den weiblichen Blick, die Uebelmann hier aufgreift und weiterentwickelt. Als Film einer Autorin bestimmt sie den Film vollständig, quasi in Idealform, von der Idee über die Inszenierung, die Auswahl der Modelle, die Kadrierung der Kameraeinstellung, Schnitt und Ton bis zum fertigen Werk. Weil sie außerdem in der Hauptrolle zu sehen ist, scheint sie dominant zu sein: als Domina kaum verwunderlich. Aber jede einzelne Einstellung ist wie bei Michelangelo Antonioni zu lang; die Bilder verharren unbequem, obwohl das Publikum die Situation längst erfasst hat. Dadurch entspricht die Rolle des Publikums scheinbar den Inszenierungen der submissiven Modelle auf der Leinwand. Aber die Zuschauer können den Saal jederzeit verlassen, in einem Museum können sie sogar danach auch wiederkommen, wenn sie es sich anders überlegt haben.

„Das ‚Warten‘ des Masochismus spielt eine Rolle: aber es wird nicht auf den Schmerz gewartet. Und das ‚Warten‘ bestimmt die Handlung nicht allein, die Kommunikation zwischen den beiden Gestalten und jeder Gestalt mit sich selber, mit den Requisiten, die sie umgibt, ist vielfältig und wäre im Detail zu analysieren. (…) Für mich thematisiert der Film mit den sadomasochistischen Zeichen etwas anderes: die Fragen nach dem Untergrund des erotischen Gefühls und nach dem Prinzip der Verbindung zwischen zwei Menschen – die auch zwei Seiten eines Wesens sein können – und das auf der symbolischen Ebene, die im Kopf dieser Zuschauerin immer wieder genau jene untergründigen Empfindungen der Erotik in Bewegung setzt – in der vollkommenen Sprache des Traumes“, so Claudia Gehrke in dem Band „Rote Küsse“ (S. 196).

Die traumhafte Qualität erinnert nicht nur an Maya Deren, sondern auch an Chris Markers Meisterwerk „La Jetée“, denn beide Filme lehren aufmerksames Sehen. In Markers Film aus montierten Fotos ist es die Einstellung mit dem blinzelnden Auge, während es bei Uebelmann eine Einstellung einer mit weißem Strick Gefesselten ist: Die Frauen tragen (auch des Kontrastes wegen) schwarze Kleidung, eine jedoch trägt nur ihre dunkle Haut (falls ich nicht einer optischen Täuschung erlegen bin).

 

Britta Madeleine Woitschig (04/09)

 

Mano Destra, Schweiz 1985, 16 mm, 60 Minuten, schwarzweiß, Regie: Cléo Uebelmann, Musik: The Vyllies, Darstellerinnen: The Cléo Uebelmann Domina Group

 

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