24. April 2009

Glanzlichter der Reportagefotografie

 

Robert Lebeck dokumentierte Anfang der 60er Jahre den Aufbruch in den frisch in die Unabhängigkeit entlassenen afrikanischen Staaten und fotografierte die Verhältnisse in der Sowjetunion auf dem Höhepunkt der Kubakrise. Kein anderer deutscher Nachkriegsfotograf brachte den Deutschen die Welt so nahe wie Robert Lebeck. Zugleich reflektierte kaum einer derart kritisch die Verhältnisse im eigenen Land.

 

Elvis Presley, Jayne Mansfield, Louis Armstrong, Lyndon B. Johnson und Jackie Kennedy. Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Kohl, Oskar Kokoschka, Andy Warhol und Joseph Beuys, Klaus Kinski, Wolf Biermann und Max Ernst, Sophia Loreen, Maria Callas und vor allem unvergessen Romy Schneider. Er hatte sie alle vor der Kamera und dazu beigetragen, dass sie zu Ikonen ihrer Zeit werden konnten. Robert Lebeck. Im Berliner Martin-Gropius-Bau, der sich immer mehr zu einem Fotografiemuseum erster Güte entwickelt, hat kürzlich die Werkschau des wohl größten und bedeutendsten deutschen Pressefotografen ihre Pforten geschlossen. Zu seinem 80. Geburtstag wurde die gesamte oberste Etage des Martin-Gropius-Baus für die Werke aus über 50 Jahren zur Verfügung gestellt, um der bisher umfangreichsten Ausstellung* seiner Werke Platz zu schaffen.

Aus heutiger Perspektive betrachtet setzte Lebeck im zerstörten und sich im Wiederaufbau befindenden Nachkriegsdeutschland die von Erich Salomon, Martin Munkácsi und Alfred Eisenstaedt gegründete Tradition der Reportage- und Dokumentarfotografie fort. Für Lebeck waren die Werke dieser Granden der Fotografie maßgebend für sein Handeln. Es ist also kein Zufall, wenn heute sein Name neben diesen genannt wird.

Auch Lebecks Bilder sind inzwischen Ikonen der Fotografie. Seine berühmteste Bilderserie entstand 1960, als sich die europäischen Kolonialmächte aus ihren afrikanischen Gebieten zurückzogen und eine Welle der Unabhängigkeit den Kontinent erfasste. Sie zeigt, wie ein Kongolese dem belgischen König Baudouin während einer Parade zur Machtübergabe den Säbel entwendete und anschließend von den kongolesischen Polizisten festgenommen wurde. Als einziger aller anwesenden Fotografen hielt Lebeck diesen Augenblick fest. Es war eine Fügung des Schicksals, dass er in diesem symbolischen Moment nur wenige Meter von der Szenerie entfernt stand, denn er blieb länger als seine Fotografenkollegen in einem belgischen Restaurant – weil er nicht auf das köstliche Dessert verzichten wollte. Also nur Glück gehabt? Nicht nur, aber auch. Glück gehört zu seinem Metier, wie Lebeck selbst einräumt. Dieses alles entscheidende und bis heute meistgedruckte Bild „Degendieb“ entstand aber vor allem aus zwei Gründen: Weil Lebeck ein geradezu instinktives Gefühl für die Situation und dessen Symbolik hatte und ihn seine professionelle Haltung davor bewahrt hat, sich der mit Bedeutung überladenen Situation – schließlich nimmt der junge Kongolese das Symbol der Macht an sich, als sei er selbst das unabhängige Kongo – auszuliefern.

Lebecks Karriere ist eine typische Selfmademan-Karriere. Dabei war er vom ersten bis zum letzten Tag seiner fotografischen Laufbahn ein absoluter Autodidakt. Die Gebrauchsanweisung seiner Retina 1a mit 50 mm-Objektiv, die ihm seine erste Frau (es sollten noch drei folgen) zu seinem 23. Geburtstag schenkte, sei die einzige Fotoschule gewesen, die er je genossen habe, kann man im Vorwort des Ausstellungskatalogs „Robert Lebeck. Fotoreporter“ lesen. Die Lektüre dauerte lediglich zehn Minuten. Ansonsten habe er einfach nur das gemacht, was anspruchsvolle Fotografen grundsätzlich tun sollten – die Werke der Großen seiner Zunft studiert, schreibt der Chefredakteur der renommierten „Leica-World“ Hans-Michael Koetzle.

Gelegenheit zu einem solchen Werksstudium hatte Lebeck direkt nach dem Krieg, aus dem er als einer der wenigen seiner Einheit körperlich unversehrt zurückkam. Sein Onkel lud ihn nach New York ein. Lebeck zögerte nicht, packte einige wenige Sachen und zog zu dem als künstlerischen Leiter arbeitenden Bruder des verstorbenen Vaters. Dort verfiel er den amerikanischen Magazinen „Life“, „Look“ und „Fortune“ und den darin abgedruckten Abzügen. Lebeck begann, in die Welt der Fotografie einzutauchen.

1951 kehrte er nach Deutschland zurück und fing selbst an, erste Bilder zu machen. Wurden seine Abzüge in den Redaktionen anfangs noch belächelt, erschien schon im Sommer des darauf folgenden Jahres sein erstes Bild auf dem Titel der „Rhein-Neckar-Zeitung“: Konrad Adenauer auf dem Rosenfest in Baden-Baden. Anschließend hielt er sich noch mit Auftragsarbeiten über Wasser, doch schon bald ging es rasant aufwärts. Robert Lebeck wurde Redaktionsfotograf bei der „Revue“, wechselte anschließend zu „Kristall“, ging dann zum „Stern“, um noch einmal zu „Kristall“ zurückzukehren. 1966 engagierte ihn der „Stern“ für sein festes Reporterteam. 1977/78 hatte er ein kurzes Gastspiel als Chefredakteur des „GEO“-Magazins (neben Klaus Harpprecht), bevor er ab 1979 wieder für den „Stern“ arbeitete.

Deutlich mehr als 50 Jahre reiste Lebeck, ob im Auftrag oder auf eigene Faust, um den Globus und brachte den Deutschen die Welt nach Hause. Die Bilder, die er von diesen Reisen mitbrachte, füllten ganze Magazine und sind nun in dem dreiteiligen Band „Tokyo – Moscow – Leopoldville“ versammelt. Die drei erstklassigen Bände präsentieren eine Auswahl der besten Aufnahmen des Fotografen, die er in Asien, der Sowjetunion und Afrika gemacht hat.

 

Leopoldville: Sein bekanntestes Bild „Degendieb“ nahm er während seiner drei afrikanischen Monate auf. Doch es ist bei Weitem nicht die einzige symbolträchtige Fotografie, die er im unabhängigen Afrika machte. „Weiße Dame mit schwarzer Jugend am Strand von Lagos“ besitzt eine ähnlich ikonische Kraft. Auf der Fotografie sieht man einen schwarzen Jungen mit stolzgeschwellter Brust im Vordergrund stehen, der neugierig, aber entschlossen auf das Meer schaut, als blickte er in eine bessere Zukunft. Nur wenige Meter dahinter sitzt eine ältere weiße Dame im Sand und stützt sich ab, als sei sie auf ihr Gesäß gefallen. Sie schaut skeptisch und nachdenklich, als würde sie das Straucheln der Weißen in den ehemaligen Kolonialstaaten gerade am eigenen Leib erleben und begreifen müssen.

Von März bis Juni 1960 reiste der damals 31-Jährige in den Diensten von „Kristall“ durch Mali, Senegal, Guinea, Ghana, Togo, Nigeria, Mosambik, Rhodesien, Malawi, Belgisch-Kongo und Südafrika. Es war die Zeit der Hoffnungen, der Träume, der Illusionen, als die europäischen Kolonialmächte die meisten ihrer Überseegebiete in die Unabhängigkeit entließen. „Für einen jungen Journalisten wie mich bot dieser plötzlich so selbstbewusste Kontinent ein ideales Reportagefeld“, schreibt Lebeck dazu in seinem Kurzkommentar des Ausstellungskatalogs.

Lebeck machte in den knapp 100 Tagen etwa 15.000 Aufnahmen, jede mit einer neuen und aufregenden Geschichte. Er brachte zahlreiche Fotografien der hart arbeitenden Afrikaner mit, die in zerschlissenen Kleidern für ihre nun unabhängigen Staaten schufteten. Menschenströme verlassen am Abend die Fabriken; Straßen und Universitäten werden gebaut; zentnerschwere Säcke von Schiffen und Lastwagen abgeladen. Er zeigt die beginnende Euphorie einer aufstrebenden afrikanischen Mittelschicht und die Eroberung des Kontinents durch das Automobil. Er zeigt aber auch die Sorgen und Nöte der einfachen Menschen – Armut, Krankheit, Tod und Trauer. Zugleich erschreckt der Kontrast, den die Abzüge der ehemaligen Befreiungskämpfer und jungen Staatsführer deutlich machen, die sich inzwischen in Edelkarossen herumkutschieren lassen, als hätten sie ihre Wurzeln und Ideale vergessen.

 

Tokyo: Nur ein Jahr nach seiner Afrikareise brach Lebeck auf nach Japan. Die Bilder, die er aus dem Land mitbrachte, erzählen von einem Land, das einerseits in seiner Tradition tief verwurzelt und andererseits auf dem Sprung in die Moderne ist. In seinem Bild „Alter Mann vor einem Schuhgeschäft im Zentrum Tokios“ ist dieser Zustand eingefroren. Ein alter Mann in Konfuzius-Gestalt hockt vor dem Schaufenster eines Schuhgeschäfts voll moderner Damenschuhe und schaut zweifelnd in die Auslage, während im Hintergrund der japanische Mittelstand zur Arbeit eilt. Ein ähnlich symbolisches Bild fing er in Hongkong ein. Auf der Fotografie „Slum mit selbstgebauten Hütten am Hang zur Autobahn“ drängen sich die heruntergekommenen Verhaue einer Armensiedlung Hongkongs in den Vordergrund, während sich am rechten Bildrand schon die Neubauten für die aufstrebende Schicht Hongkongs ausbreiten.

Auch auf dieser Reise nimmt Lebeck unzählige Eindrücke des Aufbruchs und Aufschwungs mit und hält deren positive wie negative Errungenschaften fest. Man muss unweigerlich an Gursky denken, betrachtet man Lebecks Schwarz-weiß-Bilder der japanischen Wohnzellen. Man fühlt sich an Robert Doisneau und Henri Cartier-Bresson erinnert, betrachtet man sein Bild der Cafészenerie im „Champs Elysées“. Lebecks Fotografien der Industrien und Fabriken, der Produktion und Innovation bezeugen still den Beginn des unaufhaltsamen Aufstiegs des Landes zu einer führenden Wirtschaftsnation. Das traditionelle Japan, das Lebeck auch zeigt – die Geishas, das Sumo-Ringen, die Zen-Gärten –wirkt unter diesen Bedingungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchs wie ein sicheres Fundament.

Zugleich wirft er die alte Ordnung durcheinander, zerschlägt sie und dringt in die Abgründe dieser lächelnden Gesellschaft vor. Seine Fotografie des Hiroshima-Opfers erschüttert bis ins Mark. Das Foto der barbusigen Obdachlosen, nur mit einem Leinentuch um die Lenden bedeckt, macht fassungslos. Die Serie der stets lächelnden Nachtclubtänzerinnen, die ihre Kinder mit zur Arbeit bringen müssen, lässt das Lachen der Japaner in einem völlig anderen Licht erscheinen.

 

Moscow: Eine seiner ersten großen Reportagen Lebecks galt den aus der Sowjetunion zurückkehrenden Kriegsgefangenen Mitte der 50er Jahre. Nur sieben Jahre später bereiste er im Auftrag des „Stern“, nur mit einem Touristenvisum ausgestattet, den ideologischen Erzfeind. Von Moskau reiste er nach Leningrad, Tiflis, Jalta, Eriwan und Sotschi. Wie schon von seinen Reisen durch Afrika und Asien brachte er Fotografien aus einer anderen Welt mit nach Deutschland. Lebecks Bilder ließen erstmals einen umfassenden Blick hinter den Eisernen Vorhang zu.

Seine Fotografie „Am Ufer der Moskwa im Hintergrund eines der berühmten Stalin-Hochhäuser“ spiegelt geradezu exemplarisch die sowjetischen Verhältnisse. Eine fast menschenleere und autofreie Straße mit gigantischen Ausmaßen dominiert die gesamte untere Hälfte des Bildes. An den Straßenrändern ein matschgraues Gemisch aus Schnee und Schmutz. Der Winterhimmel ist bedeckt, graue Rußwolken ziehen über die eiskalte Moskwa. Die obere Bildhälfte beherrscht eines der Stalin-Hochhäuser, das sich in dem vereisten Fluss spiegelt. Die Kälte und Menschenfeindlichkeit sowie der irrsinnige Größenwahn des Systems drängen sich dem Betrachter dieser Fotografie unweigerlich auf.

Seine Bilder aus den sowjetischen Staaten sprechen nahezu alle dieselbe Sprache. Sie erzählen davon, wie ein Regime seine Kinder zerstört. Lebeck konnte von dem Untergang des realen Sozialismus noch nichts wissen, auf seinen Bildern sind seine Vorboten aber schon zu erahnen. Lebecks Fotografien zeigen ein Land, dem die Pflicht, zu blühen und zu wachsen, den Takt vorgibt und es zugleich zugrunde richtet. Lebeck führt den gnadenlosen Raubbau an Natur und Mensch vor Augen, den der Aufbau des Landes in wilder Entschlossenheit forderte. Beweis dieses zerstörerischen Größenwahns ist Lebecks Aufnahme des 52 Meter hohen Stalin-Monuments in Eriwan, das über der Industriestadt thront und zugleich fast hinter dichtem Smog verschwindet.

Nur selten traf Lebeck unbeschwerte Menschen an. Auf den meisten seiner Bilder wirken sie in sich gekehrt und verschlossen. Nur wenige Aufnahmen finden sich, auf denen Menschen offen und neugierig in seine Kamera schauen.

Die Sowjetunion, wie sie Lebeck erlebt hat, war ein Land, das zum Sprung ansetzte und in der Hocke verharrte. Der Wunsch der Oberen, doch noch zu springen, der sozialistische Impuls, durch Fleiß in die Höhe zu schnellen und es der Welt zu zeigen, führte nur dazu, die Sowjetvölker zu zermürben. So blieb diese Sowjetunion bis zuletzt eine kafkaeske Erscheinung, deren Anspruch bei Weitem das übertraf, was sie zu leisten im Stande war.

 

Fotoreporter: Wer nun aber meint, dass Lebecks Gabe im Einfangen des Anderen, des Fremden und des Unbekannten liegt, der sieht sich getäuscht. „Ich bin viel gereist in meinem Fotografenleben, doch um ein spannendes Foto einzufangen, brauchte ich eigentlich nur vor die Haustür treten“, kommentiert Lebeck in dem Ausstellungskatalog sein Aufsehen erregendes Stern-Porträt „Deutschland im März“.

1983 erhielt er den Auftrag des Magazins, sein Land am Vorabend der Bundestagswahlen zu porträtieren. Statt einer fotografischen Eloge hielt er der Nation schonungslos den Spiegel vor. Sterbende Wälder, das Ende der Stahlkocher im Saarland und Abfall durchwühlende Obdachlose. Ein Aufschrei ging durchs Land, doch letztlich wusste die Republik, dass ihr Recht geschah.

Lebecks Bilder wurden in den wichtigsten deutschen Magazinen abgedruckt. Seine Innenansichten aus anderen Ländern haben den Lesern oft die Welt eröffnet. Für Viele bestand im Betrachten der Fotografien von Robert Lebeck die einzige Möglichkeit, andere Kulturen und Völker kennen zu lernen.

Neben den zahlreichen nationalen und internationalen Reportagen und Dokumentationen präsentiert der Ausstellungsband auch eine Auswahl der unzähligen Portraits, die Lebeck im Laufe seiner Karriere von den Stars aus Politik, Gesellschaft, Film, Kunst und Musik machte. Unvergessen seine Bilder von Willy Brandt. Einzigartig auch seine Aufnahmen der großen Romy Schneider, die die weltberühmte Schauspielerin ganz natürlich einfingen und sie umso heller strahlen ließen.

Es ist ein unglaublicher erstklassiger Fundus, den die Berliner Ausstellung zugänglich gemacht hat. Denjenigen, die es nicht in den Gropius-Bau geschafft haben, ist der Ausstellungsband „Robert Lebeck. Fotoreporter“ zu empfehlen. Er kann zwar nicht das Wandeln durch die Räume des Museums ersetzen, aber er macht auf beeindruckende Weise das vielfältige Schaffen Robert Lebecks auf höchstem fotografischem Niveau deutlich.

2007 erhielt er als erster und bisher einziger Fotograf den renommiertesten Journalistenpreis, benannt nach seinem einstigen Chef beim „Stern“ Henri Nannen. Beide waren sich immer einig. Ein Foto ist ein gutes Foto, „wenn es auf Doppelseiten abgedruckt wird.“ Robert Lebeck, ein Fotojournalist erster Güte.

 

Thomas Hummitzsch

 

Robert Lebeck: Fotoreporter. Herausgegeben von Gisela Kayser & Cordula Lebeck. Mit einem Essay von Hans-Michael Koetzle. Steidl-Verlag. Göttingen 2008. 240 S. Mit 286 Abbildungen. 12,00 €. ISBN: 3865218733.

 

Robert & Cordula Lebeck: Tokyo – Moscow – Leopoldville. Text: Harald Wilenbroch (deutsch/englisch). Steidl-Verlag. Göttingen 2008. 580 S. (Band 1: Tokyo – 168 S.; Band 2: Moscow – 208 S.; Band 3: Leopoldville – 200 S.). Mit 380 SW-Fotografien in Tritone. 65,00 €. ISBN: 3865215270.

 

Homepage des Fotografen: www.lebeck.de

 

* Ausstellung im Martin Gropius Bau: Robert Lebeck: Fotografien 1955 – 2005. Vom 28. November 2008 bis 23. März 2009.