13. April 2009

Ihr seid meine Beep

 

Ich soll Sie also spezifizieren? Sie sind Mann oder Frau. Sie haben eine Nase. Zwei Augen und einen Mund. Überrascht? Das können Sie auch ruhig sein. Ich bin ein Spiegel Ihres Wesens. Woher ich Sie kenne? Ich kenne Sie doch überhaupt nicht. Ich ziehe einfach eine Schublade und stopfe sie rein. Sie kommen aus Deutschland und sind blond? Kurzum: Sie sind Mitglied der NPD und Sie hassen die albanische Familie nebenan. Na? Wieder ein Treffer? Sie sehen, ich irre mich nie. Gut. Weiter. Sie da drüben. Herkommen. Hm. Sie haben weibliche Züge. Ganz klarer Fall. Sie sind schwul und hören gerne Schlager. Also, ich bringe es wirklich. Ich bin der Mann der Stunde.

Was? Wie? Sie lesen hier, weil Sie nach Lektüreempfehlungen suchen, weil Sie denken, ich würde über genug Sachverstand verfügen, um von mir gelesene Bücher in die richtige Schublade stecken zu können? Tja. Da irren Sie sich aber mächtig. Aber das zeigt nur, dass Sie eben nicht über meine außergewöhnlichen Fähigkeiten verfügen. Dumm sind Sie also auch noch.

Jetzt mal ganz ruhig da hinten. Was brüllen Sie? Ich kann Sie nicht verstehen. Ich soll was? Ich soll über den Roman „Ausradiert“ von Percival Everett berichten? Mal ganz langsam. Wenn Sie mich derart hetzen, geht hier gar nichts.

Hm. Also … Ausradiert?

Also da ist dieser afroamerikanische Schriftsteller. Sein Name ist Thelonious „Monk“ Ellison. Er schreibt diese furchtbaren und unsagbar langweiligen Romane. Zumindest sehen es die Verlage so. Und wir wissen: Verlage irren niemals. Die Verlage sind unfehlbar. Und sie können Plagen schicken. Aber das ist ein anderes Thema.

Wo war ich? Müssen Sie mich eigentlich immer unterbrechen. Dieser afroamerikanische Autor bekommt also keinen Fuß in die Tür. Er reist zu einem Kongress nach Washington. Das passt gut. Von dort kommt er nämlich gebürtig. Also besucht auch noch rasch Mama und Schwester, die in einer Abtreibungsklinik arbeitet. Einen Bruder hat er auch noch. Der ist aber nicht da. Der ist nämlich schwul. Das eine hat zwar nichts mit dem anderen zu tun. Aber man kann ja auch mal Querverweise einbauen, wo eigentlich überhaupt keine hingehören. Irritiert den Leser und belebt den Text. Na, fühlen Sie sich schon wacher? Sie Schlaftablette bekommt ja eh keiner wach.

Irgendwann stößt er auf den Roman „Ghettoleben“, der das wahre und harte und unbarmherzige Leben der afroamerikanischen Bevölkerung im heutigen Amerika zeigt. Geschrieben von einer echten Afroamerikanerin. Die muss es ja wissen, die Schlampe. Das Wort „Schlampe“ musste ich einbauen. Laut „Ghettoleben“ reden die Afroamerikaner so. Viele Worte haben sie eh nicht. Eigentlich nur das Wort „Fuck“. Mit dem kommen sie durch alle Lebenslagen. Gott, müssen die glücklich sein, mit nur einem Wort auskommen zu können.

Aber ob ihr es glaubt oder nicht, ungläubige Bande, dieser Ellison regt sich total und gnadenlos über „Ghettoleben“ auf, dieser undankbare Nigger. (Bevor Sie mich jetzt anschreiben und anzeigen wollen: Das war Ghettoslang. Die reden da so. Ist alles in „Ghettoleben“ nachzulesen.)

Ellison fühlt sich von „Ghettoleben“ nicht repräsentiert. Während seine stinklangweiligen Schwarten keinen Abnehmer finden, verkauft sich „Ghettoleben“ gut. Gut? Das Ding wird ein Hit. Ein verfluchter Bestseller.

Und Ellison? Der stellt sich solche banalen Fragen wie „Wer bin ich?“. HALLO, ELLISON. JEMAND ZU HAUSE? GHETTOLEBEN LESEN. DA STEHT ALLES DRIN.

Wir werden alle in Rollen gepresst. In Schubladen gesperrt. Ich würde so etwas natürlich niemals tun. Sie tun es wahrscheinlich.

Ellisons Schwester hat die Rollen der Mörderin (immerhin ist sie Ärztin in einer Abtreibungsklinik), Mutter für die Mutter (die leidet nämlich an Demenz) und schlechter Tochter für den toten Vater zu erfüllen. Das ist eine Menge für ein Menschenleben. Sie hätte „Ghettoleben“ lesen sollen. Dann wäre ihr nicht alles so schwer gefallen. Sie hätte sich auf den „Nigger“ reduzieren können. Eine, die ständig schwanger wird und „Fuck“ brüllt. Aber nein, Ellison und überhaupt die ganze Familie von Ellison müssen ja wieder mal gegen den Strom schwimmen. Können nicht einfach ihre Niggerrolle erfüllen.

Hm.

Ellison beschließt, sich am Literaturbetrieb zu rächen. Er schreibt auch einen Ghettoroman, der erst „Mein Ding“ heißt und dann in „Fuck“ umgetauft wird.

Jawohl, das gefällt den Verlegern. Der Vertrag ist gleich in der Tasche. Das Geld wird in Säcken überreicht. Die Filmrechte sind schneller weg als ein Nigger nach einem Überfall auf einen koreanischen Schnapsladen. Und seit „Ghettoleben“ weiß man ja, was die afroamerikanische Bevölkerung nach Feierabend so treibt.

Ja. Unser Hurensohn Ellison wird richtig bekannt. Eigentlich wird er nicht bekannt. Er veröffentlicht das Ding unter einem Pseudonym. Es sollte doch nur eine Persiflage sein. Nichts wirklich Wichtiges. Und jetzt? Jetzt feiern sie ihn auch noch.

Sie sehen also: „Ausradiert“ handelt von einer ganz neuen Art von Rassismus.

„Ausradiert“ handelt vom politisch korrekten Betrachten der Welt. Das sind die Leute, die eine Buchhandlung besuchen und fragen: „Wo finde ich die schwule Lyrik?“ Das sind die Leute, die Obama nicht als den besseren Präsidenten sehen, sondern als den Neger, der doch auch mal raus muss aus seinem Ghetto. Man hört sie sagen: „Die Schwarzen haben so gelitten. Da hat der Obama das aber verdient.“

„Ausradiert“ ist also ein verdammt aktueller Roman über uns alle. Halt. Über Sie alle. Natürlich nicht über mich. Ich bin wie immer die große Ausnahme.

Und jetzt wollen Sie wahrscheinlich eine Kaufempfehlung. Was soll ich sagen? Kaufen Sie den Roman dieses afroamerikanischen Autors. Der hat es verdient. Hat es total verdient. Der muss doch mal aus seinem literarischen Ghetto rauskommen.

Das sage ich nicht. Sie haben es erwartet. Ich sage es aber nicht. Sie kennen mich halt einfach nicht.

Sie sollen „Ausradiert“ kaufen, weil es ein verflucht gut geschriebner Roman ist, der Sie im besten Sinne unterhält und Ihr Denken dabei noch infrage stellt.

Und sollten Sie ihn nicht kaufen, denken Sie immer daran, dass ich der Nigger bin, der irgendwann in ihrer Wohnung steht und sie genau deshalb ausradiert.

Nein. Das tue ich natürlich nicht. Das war schon wieder aus „Ghettoleben“. Es ist wirklich schwer, die Dinge auseinander zu halten.

Gut, dass es wenigstens einen gibt, der den vollen Durchblick hat.

 

Guido Rohm

 

Percival Everett: Ausradiert, Roman, Jens Seeling Verlag 2009

 

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