1. November 2003

Liebe, ein Aufschub

 

Es gibt immer wieder Anlass darüber nachzudenken, dass die Frauen den Männern gegenüber eine verschworene Gemeinschaft bilden. Als ob sie sich – immer von Mutter zu Tochter vermittelt – verabredet hätten, den Männern auf eine bestimmte Art mitzuspielen. Weil Männer so einfach gestrickt sind und immer nur das eine wollen. Und weil Frauen auch nicht so viel komplizierter sind, aber sich in der schwächeren Position befinden. Jedenfalls bis vor einer bestimmten Zeit, und auf jeden Fall im Spanien noch der 70er Jahre. Conchita (in der Maskerade von Angela Molina oder in der von Carola Bouquet?) spricht das Geheimnis aus: „Wenn ich dir alles geben würde, was du willst, würdest du mich nicht mehr lieben.“

Für Männer ist so ein Satz erst mal unverständlich, und sogar Mathieu in seinen schon mehr als reifen Jahren kann damit natürlich überhaupt nichts anfangen. Aber der Film zeigt, dass der Satz stimmt. Jedenfalls in der Weise, wie der Film diese Übung durchexerziert, und ein Exerzitium ist sie. Deshalb auch die zwei Gesichter und Repräsentantinnen der einen Conchita. Gasgeben und Bremsen, ohne dass das aber plump auf jeweils eine der Schauspielerinnen verteilt wäre, so viel Verwirrung muss sein. Für Mathieu kommt also immer etwas dazwischen, das den Akt aufschiebt. Eine schöne Pointe, dass die Geschichte noch lange nicht zu Ende ist, auch wenn Mathieu glaubt, sie abgeschlossen zu haben, doch weiß der Zuschauer bereits mehr als das machistische Opfer. Die Wassertaufe am Anfang war nur eine Provokation mehr. Und so ist es logisch, dass am Ende des Films, wenn die Rückblenden in der erzählenden Gegenwart angekommen sind, der Faden der Demütigungen und das Seil der Liebe wieder aufgenommen und weitergeknüpft werden können. Bis es so weit ist, geschehen auch beim Erzählen komische Dinge, Unterbrecher, wie man sie aus dem Erzählten kennt.

Eine der schönsten Szenen des Films ist die, in der sich die Reisenden im Abteil bekannt machen, besser gesagt, darauf hinweisen, dass sie sich schon aus Paris kennen, der Richter, die Mutter, der zwergische Psychologe. Und das Kind ist natürlich auch an Bord. Der Zuschauer weiß nicht, wie hier von Mathieu erzählt wird, er sieht nur die Bilder, auch die der beiden mehr oder weniger nackten Conchitas. An einer Stelle, wo es für Mathieu zum ersten Mal spannend wird, weil Conchita im Korsett vor ihm steht und sich eine schlüpfrige Stelle anbahnt, wird ins Zugabteil umgeschaltet, wo man Mathieu sieht, wie er mit lauter Stimme gegen die Geräusche ankämpft, weil man gerade durch einen Tunnel fährt. Ein anderes Mal wird es auch wieder nicht ganz jugendfrei, und da liegt schon eine ganze Traube von Kindern um den Erzähler, dem in diesem Augenblick einfällt, dass sich auch Kinder bei ihm befinden, aber er wiegt ab und beruhigt die Mutter, dass er doch korrekt erzählt habe, worauf die Mutter nur stöhnt, tja, die Kinder heutzutage, die dann auch zum Spielen geschickt werden.

Weitere Unterbrechungen gibt es in der Erzählung durch die zahlreichen Terrorakte, die die Gesellschaft nicht zur Ruhe kommen lassen und auch Mathieu mal mehr mal weniger direkt betreffen: Auch hier heißt es, wie immer, aufschieben. Conchita verschwindet dann auch immer wieder, sei es durch eigenen Entschluss, sei es durch Rauswurf, allein die Geschichte ist ewig, sie kann nie aufhören, wie die Liebe eben, aber eben nur wie diese Liebe, wie sie hier erzeugt wird, wie sie hier aufgespannt wird, denn die einzige Liebe ist das nicht, es ist auch nicht die zuverlässigste, aber es scheint die einzige zu sein, die, wenn das Spiel irgendwie funktioniert, im Grunde endlos sich hinziehen kann. Dieser Grund hat heute keinen Grund mehr, das macht den Film auch so wunderbar antiquiert und es gibt ihm seine Dunkelheit zurück, von der wir nur noch träumen. Die Liebe ist ein Sack.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Luis Buñuel, Dieses obskure Objekt der Begierde (Cet obscur objet du désir), F/E 1977</typohead>