31. Oktober 2003

Ost küsst besser

 

Der DDR, genauer gesagt einem Kleinstausschnitt dieses Landes, wird ein Schema übergestülpt. Das der Komödie. Von der Tragödie hatte man genug, obwohl sie noch anhält. Was beide, Komödie und Tragödie, verbindet, ist, dass sie nur eines Ernst nehmen, die Leidenschaft und die Liebe. Übrigens auch das einzige, was Ost und West verbindet. Wenn Miriam auftaucht, stehen alle Blicke still. Aber Miriam wohnt im Osten. Für Diener des Westens jedoch kein Problem, vor allem, wenn sie dicke Autos fahren und aussehen wie Brad Pitt. Da werden sogar fleißige FDJlerinnen wie Miriam schwach – und die anbetenden jungen Genossen haben nichts zu melden.

Die Methode des Auffallens kann man also getrost aus dem Westen übernehmen. Man schafft sich selbst ein Forum (nach dem Prinzip: das System von innen aufmischen) und kann auf eine Weise blenden, die alle befriedigt, die Funktionäre wie die Geliebte. Aber natürlich schläft die Konkurrenz nicht und der Liebende (Michael) muss Rückschläge erleiden. Weil man, was man zum ersten Mal probiert, nicht richtig kontrollieren kann, riskiert man, auf eine Weise aufzutreten, die nicht dem geforderten Anschluss entspricht. Aus Kontinuität und Steigerung wird Abbruch, jedenfalls aus der Perspektive, die man doch selber einholen wollte. Trost gibt es dann immer bei den Freunden, die es auch nicht leicht haben, sei es, dass sie vom Händler auf dem Schwarzmarkt die falschen Rolling-Stones-Platten kriegen, sei es, dass raus kommt, dass die Stasi im biografischen Hintergrund sich eingenistet hat, und das schon in so jungen Jahren. Das macht Michael ganz wütend. Seine Mutter (Katharina Thalbach) kennt das natürlich schon viel länger und hat endlich einen Westpass, mit dem sie rübermachen könnte, allein in der letzten entscheidenden Sekunde entscheidet sie sich doch um, und keiner hat’s gemerkt. Die Schwester ist auf immer den gleichen Punkt eingependelt (die 1-Wochen-Beziehung), der Vater knurrt so nebenher. Dresden ist weit und leicht zu beeindrucken, der Grenzpolizist (Detlev Buck) hat zwei Gesichter und passt selbst nicht gut auf. Die Formel des arretieren Zugzwangs zieht bei Michael nicht und seinen jugendkulturellen Freunden. Miriam setzt ihm die Pistole auf die Brust, sie will wirklich seine Tagebücher lesen. Endlich läuft hier mal die Produktion auf Hochtouren. Entfesselter Kapitalismus, abstruse Mehrwerte müssen aufs Blatt Papier. Alles, was man nicht gewagt hat zu sagen von Mann zu Frau, hier darf es Ereignis werden, Sexualnot macht erfinderisch.

Am Ende steht ein Geben und ein Nehmen und die Auskunft, dass der Osten besser küsst als der Westen. Aber die Geschichte ist erst dann in den Büchern angekommen und aus den Menschen heraus, wenn Michael verkündet, dass die Zeit in der DDR die schönste seines Lebens war, weil er jung war und verliebt und das nimmt man dem Film sofort ab, diese Komödie hätte man jedem zumuten können, diese eineinhalbstündige Kondensation, dafür wäre man gerne mal drüben gewesen, kleine Mentalitätsgeschichte im Sauseschritt, und doch will man sich als Westler nicht das Vorurteil nehmen lassen, dass man in keinem Fall hätte tauschen wollen, und das ist die Botschaft, die man an diesen Film dann doch zurückschickt, Wahrheit verpflichtet.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Leander Haussmann, Sonnenallee, D 1998</typohead>