19. März 2009

Gegenkulturmythos

 

Dieses Buch ist größtenteils sehr amüsant zu lesen, aber man fragt sich doch immer wieder, wo eigentlich das Problem steckt. Die beiden kanadischen Autoren scheinen herausgefunden zu haben, dass andere, nämlich die sogenannten Konsumrebellen, ein Problem mit dem „Konformismus“ haben. Die zeitgenössischen Massengesellschaften seien, so die Rebellen, beherrscht vom Konsumdenken, das gnadenlos vereinheitliche. Gegen diese Ent-Individualisierung und Knechtung müsse man aufbegehren. Und zwar nicht kosmetisch, sondern grundlegend.

 

Blickt man nach Deutschland, fällt es schwer, Individuen oder Gruppen ausfindig zu machen, die diesem Typus von Konsumrebellen entsprächen. Man wird das Gefühl nicht los, dass die Diagnose des Buches eine andere Zeit meint, die nicht mehr so recht die unsere ist. Das Schlusskapitel von „Konsumrebellen“ beginnt so: „Die Macht, die der Gegenkulturmythos während des letzten halben Jahrhunderts auf das politische Bewusstsein ausgeübt hat, ist letztlich ein Vermächtnis des massiven Traumas, das die westliche Zivilisation durch den Nationalsozialismus erlitten hat.“ Man ist also wieder bei den Studenten der 60er Jahre, bei den Hippies usw. angelangt. Aber das ist doch schon lange vorbei. Die harte Konformitätskritik-These lässt sich heute nicht mehr aufrechterhalten. Aber nur, indem die beiden Autoren das tun, können sie ihr Argumentationsmuster immer wieder vorführen, was ja durchaus unterhaltend ist.

 

Die Konsumrebellen werden also vorgeführt. Anhand vieler Beispiele wird gezeigt, dass die sogenannte Rebellion ein „fake“ ist, weil sie Teil des Systems selbst ist, gegen das sie aufzubegehren vorgibt. Die Rebellen nennen diesen unerfreulichen Aspekt ihres Schicksals „Vereinnahmung“ durch das System. Heath/Potter nennen es das Weiterdrehen der Konsumspirale. Anders gesagt: Man kann nicht nicht konsumieren. Noch mal anders gesagt: Konsumdenken geht nicht in Konformismus auf, ganz im Gegenteil. Die beiden Kanadier zeigen sehr schön (aber das ist nicht neu), dass Konsumdenken vor allem durch „Konsumkonkurrenz“ gekennzeichnet sei; das heißt natürlich, dass die Differenz (und sei es des kleinsten Unterschieds), die Rebellion, zum System der Konsumtion gehört und dieses überhaupt nicht stört, wie der Rebell behauptet. Der Rebell bringt etwas mehr Folklore ins Spiel. Das hat für die Normalos durchaus auch etwas Erheiterndes, denkt man etwa an die Alternativ-Medizin, die sich vor allem aus dem Fernen Osten inspirieren lässt. Heath und Potter machen darauf aufmerksam, dass auch der Okzident bis ins 19. Jahrhundert von ganzheitlichen Ansätzen in der Medizin ausging (Stichwort Humoralpathologie, Galen). Niemand würde aber mehr ernsthaft versuchen, an diese Tradition anzuschließen. Asien ist trotz Globalisierung immer noch weit genug entfernt, dass mit dem Blick nach dort die Scheuklappen aufbehalten werden.

 

Dieses amüsante esoterische Detail aber so aufzuplustern, dass dahinter eine wilde Rebellion zu vermuten wäre, geht aber wohl doch an den Tatsachen vorbei. Was im Untertitel des Buchs als „Mythos der Gegenkultur“ bezeichnet wird, scheint selber ein Mythos zu sein. Ein Hinweis darauf dürfte darin zu sehen sein, dass Heath/Potter keine konstruktiven Gegenmodelle der Rebellen finden. Eben drum: Die Rebellen sind einfach ein bisschen zu hoch aufgehängt. Manchmal sind es einfach auch nur Romanschreiber, die ein wenig in die Zukunft zu schauen versuchen. Nicht jeder neue Turnschuh tritt mit dem Verlangen auf, der Welt in den Hintern zu treten. Die De-Eskalation, von der in diesem Buch die Rede ist und die es vertritt, wird zu einem großen Teil erst dadurch nötig, dass von einer rebellischen Eskalation die Rede ist, die hausgemacht ist. Willkommen bei den Windmühlen.

 

Dieter Wenk (03-09)

 

Joseph Heath/Andrew Potter, Konsumrebellen. Der Mythos der Gegenkultur, Berlin 2009 (edition der Freitag)

 

 

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