31. Oktober 2003

Frauenwunder

 

Dieser Film beschreibt die Folgen einer gestörten Vollständigkeit in Sachen Ehe nach einem Krieg. Es gibt nur einen „Posten“, an dem nach jedem Krieg, so wie hier nach dem Zweiten Weltkrieg, Überfluss herrscht, und das sind die Frauen. Die Männer sind tot oder kommen erst später nach Hause. Für manche bedeutete das eine halbe Odyssee. Als Hermann Braun nach Hause kommt, ist trotzdem ein Mann zu viel da. Fassbinder macht aus dieser Situation ein Frauenproblem, da die beiden Männer zu schwach sind, ihr Revier zu markieren, und sich anschicken, sich stumm zu vertragen. Maria weiß sich zu helfen und schlägt ihrem Liebhaber und Versorger – ein amerikanischer Offizier – eine Flasche auf den Kopf. Warum, weiß man nicht so genau, schließlich haben die beiden sich eigentlich ganz prima vertragen. Vermutlich eine schwache Sekunde magischen Denkens. Jedenfalls ist der Schwarze tot, man merkt, der andere Krieg hat wieder angefangen.

Die korrekte 1:1-Relation des verheirateten Paars ist jetzt natürlich erneut zerstört. Maria steht vor Gericht, Hermann ermannt sich – erste Stufe seiner Selbsterziehung – und nimmt den Totschlag auf sich. Das gibt ihm mehr Zeit, wieder ein Mensch zu werden und den Krieg zu vergessen. Außerdem, das hat man schon gesehen, ist es Maria, die sich macht. Durchaus in Anlehnung an verschiedene Männer, aber anders geht es in dieser Zeit nicht, und sie hat ein Ziel vor Augen, und das heißt Hermann, später. Die Arbeitsteilung – der Humanitätsgedanke bei Hermann, nachdem er Tier, Kirkes Schwein, gewesen war, und die Veredelung des Wirtschaftssubjekts Maria, die es genießt, arbeitend eine Dame zu werden – bewirkt natürlich eine Umkehr der herkömmlichen Rollen von Mann und Frau, die bizarre Früchte treibt, wobei Maria aus Hermann einen unbestellten Priester ohne Verfügungsgewalt macht und sie aus sich selbst eine Hure mit zugleich kühlem und leidenschaftlichem Herz. Zum richtigen Mann also kann Hermann erst nach seiner Entlassung werden, und erneut sticht er in See, um zeigen zu können, welches Wirtschaftssubjekt in ihm steckt. Bis dahin glaubt Maria, ihren Gefühlshaushalt unter Kontrolle halten zu können und stellt wunderbare Klassifizierungen auf, was es für sie heißt, mit Männern ins Bett zu gehen. Das mit anzuhören wird sogar dem noch inhaftierten geduldigen Hermann zuviel. Leute, die sich wie Maria in dieser Hinsicht zuviel Subtilitäten erlauben, tun anderen, die noch nicht einmal der ehelichen Pflicht nachkommen dürfen, einfach nur weh. Aber mittlerweile hat Marias liebendes großes Herz die Seite gewechselt und schlägt nun mit Konrad Adenauers aufbauenden Instruktionen nicht mehr im Takt des Frauen- sondern nur noch des Wirtschaftswunders. Dieser Wechsel kulminiert gewissermaßen im erstaunlichen Flügelspiel der deutschen Fußballnationalelf, die sich, was man am Ende des Films noch mal hören kann, im Jahre 1954 den WM-Titel erschoss. Fassbinder aber lässt die beiden Liebenden nicht mehr zusammenkommen, das Spiel ist aus, in ihren Leibern ticken andere Wesen, und in der Küche eine tückische Gasbombe, die den Einsatz zerfetzt, weil von ihm (Zeigefinger) nur noch die nackte Strategie übrig blieb. Ein Film, der einen trotz Hanna Schygullas großartigen Verwandlungen ziemlich unbeteiligt lässt.

 

Dieter Wenk

 

Rainer Werner Fassbinder, Die Ehe der Maria Braun, D 1978