2. März 2009

Aufmarsch

 

Symbole haben mit Haltbarkeit zu tun. Anders als die Metapher verdanken sie sich nicht der willkürlichen Entscheidung eines (vor allem modernen) Dichters. Symbole kristallisieren sich mit der Zeit heraus, was nicht ausschließt, dass sie in sich ganz unterschiedliche, ja gegensätzliche Komponenten verdichten. Alles ist prinzipiell symbolfähig, aber nicht alles wird schließlich als Symbol genutzt. In diese Richtung geht die Symboldefinition, die die Herausgeber des „Metzler Lexikon literarischer Symbole“ ihrer Auswahl zu Grunde gelegt haben: Unter Symbol wird „die sprachliche Referenz auf ein konkretes Ding, Phänomen oder auch eine Tätigkeit verstanden, die mit einem über die lexikalische Bedeutung hinausweisenden Sinn verknüpft ist.“

 

Am Anfang des Lexikons finden sich alle Artikel zunächst alphabetisch, dann nach Sachgebieten geordnet wie zum Beispiel: Dinge/Kleidung/Technik und Verkehrsmittel, Farben, Himmel und Erde, Literatur, Musik, Räume/Orte/Bauwerke oder auch Zahlen/Geometrie. Das Lexikon, das gut 400 Symbole mehr oder weniger ausführlich vorstellt, strebt keine Vollständigkeit an. Das wäre vermessen, würde wohl auch dem Leser nicht sonderlich weiterhelfen, der sich vielleicht in erster Linie einen knappen Überblick über den Bedeutungsverlauf eines Symbols verschaffen oder schlicht nachschlagen möchte, was ein Symbol bedeutet.

 

Genau das erfährt der Leser zunächst in einem ersten Absatz zu jedem Symbol, also Gehalt des Symbols und Relevanz für die Symbolbildung. Wer ein wenig blättert und sich erst einmal nur in diesem ersten Bereich aufhält, wird feststellen, dass beinah jedes Symbol in der Tat polar konnotiert ist, dass es also eine positive und eine negative Seite des Symbols gibt: Der Kreis etwa ist sowohl Symbol Gottes und der Vollkommenheit, aber auch der sozialen Isolation und der Beschränkung. Hier genau fangen natürlich die Probleme an, wenn nämlich das Programm des Symbols heruntergebrochen wird auf ein aktuelles Vorkommnis, auf das es, das Symbol, bezogen ist. Hier gibt der Teil des Artikels Auskunft, der das Symbol in einer Auswahl seines literarischen Gebrauchs vorstellt, das heißt, dass im Hauptteil die Historizität des Symbols ablesbar wird.

 

Die meisten Symbole sind alten Ursprungs (Religionen und antike Mythologie), Symbole sind wohlgepflegte Parasiten der Weltliteratur. Man kann einen Text meist ganz gut verstehen, auch wenn man ein Symbol nicht als Symbol zu lesen versteht, sondern einfach als konkretes Ding wie eine Pflanze oder ein Gerät. Wie Harald Weinrich bemerkte, stellt das Symbol, anders als die Metapher, keine „Störung der semantischen Kohärenz“ dar. Symbole können also ignoriert werden, denn weiß man immer, ob Symbole strategisch vom Autor eingesetzt werden? Man kann in diesem Lexikon schöne Entdeckungen machen, zum Beispiel beim Lemma „Wappen“, also einem heraldischen Symbol. Der französische „Blason“ ist ein Fall von Entpragmatisierung eines Symbols, insofern der Blason die Codierung des heraldischen Zeichens auf die Anatomie des weiblichen Körpers überträgt, eine Technik, auf die noch Godard in seinem Film „Die Verachtung“ zurückgreift.

 

Ein anderer Bogen, immer noch beim Wappen, lässt sich von der Monochromie des Schildes eines Helden (etwa der rote Schild Parzivals) auf Phänomene in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts etwa bei Malewitsch oder Yves Klein spannen. Bei Parzival bedeutete Monochromie „heraldische Undifferenziertheit und damit soziale Unerkennbarkeit und Nichtzugehörigkeit“. Es sind solche Bezüge, die dieses Lexikon bisweilen zu einer spannenden Lektüre werden lassen. Dass es sich bei den literarischen Belegen der Symbole nur um eine kleine Auswahl handeln kann, ist den Herausgebern klar. Aber vielleicht wird der Leser in Zukunft anders lesen und sich stärker vernetzen lassen, denn ein Symbol tritt selten alleine auf.

 

Dieter Wenk (02-09)

 

Günter Butzer/Joachim Jacob (Hg.), Metzler Lexikon literarischer Symbole, Stuttgart/Weimar 2008 (Metzler)

 

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