26. Februar 2009

Eine Kapriole der Kulturpolitik

 

Trotz diverser Sonntagsreden von einer multikulturellen, globalisierten Welt wird unsere mediale Wahrnehmung durch Nachrichten, Reportagen und fiktive Werke von wenigen Ländern für große Regionen geprägt. Was Asien betrifft, wird meist auf die wirtschaftliche Lage Chinas und Indiens referiert; Bollywood hat sich inzwischen in Wohnstuben und Kinosälen ebenso etabliert wie Kunst- und Martial-Arts-Filme aus Japan, Honkong, Südkorea und Taiwan; am geläufigsten sind jedoch Mangas und Anime, vor allem aus Japan – der Rest befindet sich aus unserer westlichen Perspektive im toten Winkel. Dabei haben auch die dortigen Medien ihre Stars.

Der 1951 im ländlichen Malaysia geborene Lat, mit bürgerlichem Namen Mohammed Nor bin Khalid, erreicht in Südostasien mit seinen Karikaturen in Zeitungen wie der „New Straits Times“ und seinen Comics ein Millionenpublikum – während sein Name hierzulande nur Schulterzucken erntet. Durch seinen Ehrentitel Dato` zählt er zu den 400 höchsten Persönlichkeiten Malaysias. 1979 erschien in englischer Sprache bei Berita Publishing, Kuala Lumpur, der erste Band seiner Kindheitserinnerungen in einem Kampung (Pfahldorf) nahe der thailändischen Grenze, der jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt. Die Erstauflage von 60.000 Exemplaren war innerhalb von vier Monaten ausverkauft, sodass rasch eine Ausgabe in der Landessprache folgte, und wurde bis 2008 vierzehnmal neu herausgegeben. Außerdem gab es einen Fortsetzungsband. In amerikanischer Koproduktion entstand ab 1997 eine 26-teilige Zeichentrickserie, die bei RTL II vor Jahren unter dem Titel „Die Dschungelbande“ lief. Eine Episode wurde 1999 in Annecy auf dem Zeichentrickfilmfestival als beste Animation ausgezeichnet und gilt in Asien als Klassiker.

In Fachkreisen ist er natürlich nicht unbekannt. Europa und Deutschland hat er nach Angaben des Horlemann Verlages mehrfach besucht. Das Eisenhower-Exchange-Fellowship-Programm lud ihn 1998 in die USA ein, wo er in einer zweimonatigen Studie „die Beziehungen zwischen den Rassen“ erforschte. Seine zweibändige Comicbiografie erschien 2003 und 2006 in französischer Übersetzung bei dem Kleinverlag Tête Rock Underground; 2006 und 2007 veröffentlichte First Second Publishing eine amerikanische Übersetzung. Nach einschlägigen Referenzwerken besteht kein Zweifel, dass hier ein Comic vorliegt, denn ein lexikalischer Eintrag findet sich online in der niederländischen Lambiek Comiclopedia; außerdem ehrte ihn der Fachmann John A. Lent mit einem Beitrag in Ausgabe 211 von „The Comics Journal“. Die Hilflosigkeit der wohlmeinenden Rezensenten zeigt sich in seltsamen Verweisen auf bekannte Namen, die mir deplatziert erscheinen: Abgesehen davon, dass es in „Kampung Boy“ um kindliche Charaktere geht, gibt es keine Ähnlichkeiten mit Charles M. Schultz‘ „Peanuts“ (Sind die „Peanuts“ nicht eigentlich maskierte Erwachsene?); dann werden noch Sergio Aragones und Don Martin erwähnt, aber dazu ist der Band zu brav und zu bieder. Die satirische Schärfe einer „MAD“-Crew fehlt hier völlig; und ein Blogger meinte, die Zeichnungen sähen aus, als ob sie in einer Jam-Session von fünf unterschiedlichen Temperamenten entstanden wären.

Die Kindheit von Mat, wie Lat sein Alter Ego nennt, in den 1950er Jahren im Dschungel wendet sich an ein junges Publikum. Schwimmen und Fischen mit den Meor-Brüdern, den Dorfrabauken, waren damals dort, was heute Fußball und Computerspiele sind. Wenn er mit seinem Vater auf dem Rad zum Einkaufen ins nächste Dorf fuhr, wurde der vorbeirauschende Zug zum großen Ereignis, was ziemlich verstaubt wirkt. Dem Begriff Graphic Novel wird dieser Band in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht: denn er ist nicht in sich abgeschlossen und zudem nicht komplex genug, um diesem Anspruch zu genügen. Sprechblasen sind selten, die einzelnen Bilder illustrieren großzügig die Seiten, sodass der Band am ehesten in das Genre Kinderbuch einzuordnen ist. Außerdem mangelt es dem Werk an einem erzählerischen Atem, der die lockeren Episoden zu einer dramaturgischen Einheit verbindet; vielmehr reihen sich landestypische Episoden eines Heranwachsenden aneinander, in denen Mat zum Stellvertreter für seine Altersgenossen wird. Die Zeremonie des ersten Haarschnitts („adat cukur kepala“), das Lernen des Tajwid (die korrekte Aussprache des Arabischen) in der Koranschule des strengen Tuan Syed Ahmad, die Bersunat-(Beschneidungs-)Zeremonie, die Kautschukplantage des Vaters und das unerlaubte Schürfen von Zinn im Abraum der Bagger sorgen zwar für ein exotisches Kolorit, vermögen Neuleser jedoch kaum zu fesseln.

Unterstützt wurde die deutsche Fassung vom Goethe-Institut in Kuala Lumpur und vom Institut Terjemahan Negara Malaysia Berhad (Staatliches Übersetzungsinstitut Malaysias) wie mir scheint, ohne die allgemeine Lage auf dem Comicmarkt zu berücksichtigen. Von wenigen Bestsellerserien bei den Mangas und den europäischen Comics sowie wenigen Graphic Novels abgesehen, hat das Medium einen schweren Stand. Der Comicfachhandel wird den potenziellen Ladenhüter wohl nur mit spitzen Fingern anfassen, wenn überhaupt, und bei den Kinderbüchern geht der inzwischen 30 Jahre alte Band in der frischeren Konkurrenz unter, bis er in absehbarer Zeit auf dem Ramsch landen wird. Ohne eine gleichzeitige Ausstrahlung der Serie im Fernsehen oder eine DVD-Edition, die einer neuen Generation einen Impuls geben könnten, halte ich diese Edition für vergebliche Liebesmüh. Was da am grünen Tisch als bilaterale Kulturpolitik ausgehandelt wurde, kann nur als symbolisches Zeichen zweier Nationen verstanden werden – mit einer realistischen Einschätzung kindlicher und jugendlicher Lesebedürfnisse hat diese irrwitzige Kapriole nichts zu tun. Leider.

 

Britta Madeleine Woitschig (02/09)

 

Lat: Kampung Boy – Ein Frechdachs aus Malaysia, Bad Honnef: Horlemann Verlag 2008, 144 Seiten, ISBN 978-3-89502-268-5

 

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