21. Februar 2009

Hard and heavy

 

“Dann singt er auch noch diese ekligen Songs über TV-Augen, Sich-wie-Dreck-Fühlen und Überhaupt-keinen-Spaß-nicht-Haben, weil man halt verfickt adoleszent ist, notgeil, aber neurotisch, gelangweilt und einsam und nicht fähig, mit sich oder irgend jemand anderem zu kommunizieren. Scheiße.”

So schrieb Lester Bangs 1970 über Iggy Pop. Nein, Bangs war kein Feind der Stooges, sondern einer ihrer glühendsten Verehrer. Er liebte aber nicht nur rohen Rock, sondern auch John Coltrane und hatte zudem ein umfassendes Verständnis ewiger Pubertät und ihrer Verweigerungshaltungen.

Der legendäre Lester Bangs war ein wilder Rock-Kritiker, der für das Rockmagazin “Creem”, für den “Rolling Stone”, “Village Voice” und andere Blätter schrieb. Bangs Artikel wurden auch im deutschen “Sounds” und der bei Rowohlt erschienenen Reihe “Rock Session” veröffentlicht.

Anlässlich des 60. Geburtstags von Lester Bangs am 14. 12. 2008 präsentierte Klaus Bittermann in der Edition Tiamat das Buch “Psychotische Reaktionen und heiße Luft”. Es ist die deutsche Übersetzung der vom Kritiker-Kollegen Greil Marcus herausgegebenen Sammlung von Bangs´ Essays, Artikeln und Texten zum Rock der 60er, 70er und 80er Jahre, die 1987 erschien und nun erstmals in deutscher Sprache vorliegt.

Die Musikzeitschrift Creem “bot Lester Raum für weitschweifige Tiraden, Beschimpfungen, Verhöhnungen, Hirngespinste, Zornesausbrüche und Freudengeheul”, schreibt Greil Marcus im Vorwort. “Lester pflegte eine Ästhetik freudvoller Geringschätzung, eine Liebe zum offensichtlichen Trash”. Und eine “Entmystifizierung von Superstars”.

Bangs, der brennende Befürworter des total subjektiven Journalismus, dessen Prämissen Ehrlichkeit und Gnadenlosigkeit sind, war einer der Protagonisten des von Tom Wolfe geprägten “New Journaliism” und des “Gonzo Journalism” wie Hunter S. Thompson ihn betrieb. Bangs wurde 1948 in Kalifornien geboren und starb mit 33 Jahren an einer Medikamentenunverträglichkeit. Er war zuvor schwerer Trinker und Dope-Raucher gewesen, hatte fast alle Drogen ausprobiert.

 

Im Film “Almost Famous” spielt Philip Seymour Duncan den Rockkritiker Lester Bangs, der mit seinen Platten, Büchern und Texten im Zimmer hockt, sich als uncool bezeichnet und dem 15-jährigen Jungjournalisten William Miller, der Hauptperson des Films, wertvolle Tipps auf seinem Weg zum Erfolgs-Schreiber beim Rolling Stone gibt.

 

Bangs, ein Punk mit Schnauzbart, beschrieb in überlangen Texten voll großartiger Abschweifungen und Umwegen seine Faszination und Ambivalenz gegenüber Lou Reed, Iggy Pop, David Bowie, Mick Jagger, Elvis, Kraftwerk, Richard Hell, den Sex Pistols und PIL. Wem klar ist, dass “Astral Weeks” von Van Morrison (der, so Bangs, einen “kleinen, hydrantenförmigen Körper” besitzt) zu den fünf besten Platten des Pops und Rocks gehören, findet in diesem Buch einen fantastischen zwölfseitigen Artikel, der erklärt, warum dies so ist.

The Troggs mit ihrem Hit “Wild Thing” werden von ihm als Erfinder des radiikal-primitiven Rocks für Höhlenbewohner (Troglodyten) gefeiert. Die frühen Kinks und Stones, die Yardbyrds sowie Velvet Underground werden immer wieder als Eckpfeiler in seinem Wertesystem herangezogen. The Clash widmete er fünfzig Seiten inclusive Tourneebericht.

Die Leidenschaft, Intensität und Suche nach Transzendenz mit der Bangs der Musik und dem Leben begegnete, ist im heutigen Journalismus weitgehend verpönt oder bleibt unabgedruckt. Die Verbindungen und (pop-)kulturellen Bezüge, die Bangs schafft, die Abrechnungen (mit Mainstream-Rockern wie Grand Funk Railroad beispielsweise) sind klasse. Immer wieder sticht er ins Herz allzu fanatischer Begeisterung für Mittelmäßigkeit und pseudo-anspruchsvolle Musik. So auch im Verriss “Ich sah Gott / oder Tangerine Dream”, in dem er diagnostizierte: “Diese Band hört sich an wie glitschender Schleim auf dem Grund des Ozeans, und doch ist der Laden gerammelt voll”.

 

“Rock´n´Roll als Literatur und Literatur als Rock´n´Roll” ist der Band untertitelt. Und genau darum geht es in dem Buch: Bangs Texte haben großen sprachlichen Glanz. Aber die Qualität der Texte schwankt. Er fand Bilder und Metaphern, deren Schönheit und Direktheit niederschmetternd sind. Sensibel und brutal, je nach Bedarf und Objekt der Betrachtung. Manche Passagen sind aber auch platt und stumpf geraten.

 

Bangs, der auch eine Band hatte (Lester Bangs & The Delinquents), war einer, der “auf Insidecheck” ging, während er Rock hörte und darüber schrieb. Einer, der seine Emotionen, seine Schutzlosigkeit und Einsamkeit in seine Prosa einfliessen ließ und von persönlichen Erfahrungen ausgehend, eigene Maßtäbe entwickelte. Das ging weit über das Beurteilen von Musik hinaus, war erfüllt von Lebensweisheit, tiefer Kenntnis über die Verdrängungsmechanismen Amerikas und die (emotionalen) Probleme seiner Zeit. Er hatte dem Mainstream mehr entgegenzusetzen, als das Kultivieren von Legenden. Er betrieb Musikjournalismus als Schriftsteller, der Rock in Sprache überführte. “Vielleicht verlangt dieses Buch dem Leser die Bereitschaft ab zu akzeptieren, dass der beste Schriftsteller Amerikas vielleicht nichts außer Plattenkritiken schreiben konnte”, resümmiert Greil Marcus.

 

Carsten Klook

 

Zuerst erschienen am 23. 1. 09 auf ZEIT ONLINE.

 

 

Lester Bangs: Psychotische Reaktionen und heiße Luft

Rock´n´Roll als Literatur und Literatur als Rock´n´Roll

Greatest Hits, herausgegeben von Greil Marcus

Edition Tiamat, Paperback, 400 Seiten, 19.80 Euro

ISBN: 3-89320-127-0

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

amazon