30. Oktober 2003

Der nicht ganz so schwarze Kanal

 

Diese liebenswürdigen Kurzfilme ließen sich bequem unter das ein wenig entwendete Motto stellen: DDR-Bürger, noch eine kleine Anstrengung, wenn ihr Sozialisten werden wollt. Liebenswürdig, ja, aber auch ein bisschen muffig, darin waren die 50er Jahre wohl (zonen)grenzenüberschreitend. Aber glücklicherweise war man noch meilenweit entfernt von der schenkelklopfenden Spaßkultur. Man durfte noch in die Weite schauen, staatsparteilich oder – wie im Westen – avantgardeclubhaft. Erstaunlich aber, wie weich die Stacheln dieses Filmtierchens zum Teil sind. Die noch bestehenden (bürgerlichen) Schwächen werden aufgezeigt, aber nicht denunziert. Umgekehrt kündigt man ästhetischen Staatsanleihen wie dem sozialistischen Realismus den Kredit auf (in „Ein Liebesbrief“). Bloßgestellt wird überall der bürokratische Faktor, da muss dann schon mal die Mythologie in Form des Prometheus in dem gleichnamigen, ziemlich trashigen Kurzfilm herangezogen werden, um den Amtsschläfern auf die Beine zu helfen. In einigen Filmen kann man lernen, dass die Selbstinitiative des (Neo)Liberalismus sich nicht wesentlich unterscheidet von der Philosophie des Man-muss-sich-nur-zu-helfen-Wissens der ersatzteillagervernachlässigten DDR. Und mehr als ein „Treppenwitz“ ist, dass man sowohl im Westen wie im Osten schneller zum Ziel gelangen kann, wenn man sich nicht zum in der Warteschleife stehenden Befehlsempfänger von Ämtern und anderen Organen macht.

Den DDR-Bürgern hat diese komödiantische Serie vom Witz bis zum kleinen Einakter anscheinend ganz gut gefallen. Aber ein solches Programm mehr als zehn Jahre in diesem gleichbleibenden Rhythmus von 14 Tagen durchzuziehen, zeugt entweder von irgendwann eintretender Resignation, wo man dann trotzdem weitermacht, weil das menschliche Tier so unglaublich schlecht und schwer erziehbar ist und es sich auch darin gefallen kann, dass es einfach so weitertrottet, sich selbst verlacht und ans Bein pisst, oder von einem breit gestreuten Spektrum heroischer Treue, dessen herausragende Lichtgestalten sich mit zusammengebissenen Zähnen weigern, sich dem Klassenfeind vorschnell auszuliefern. Wie auch immer, zur gleichen Zeit etwa haben die schlauen Lettristen ihr mehr oder weniger zufällig gewähltes Publikum einfach dadurch zu etwas mehr Beteiligung an revolutionärer Aktivität provoziert, dass sie das Erscheinungsdatum ihres Bulletins „Potlatch“ zunächst von der wöchentlichen Erwartbarkeit entbanden, um dann auch den monatlichen Rhythmus aufzugeben, bis das Blatt ganz auslief, nach dreieinhalb Jahren. Aber ein VEB ist natürlich kein Avantgarde-Verein, ob jedoch der kleinere Club den besseren Plan hatte, ist eine ganz andere Frage. Auf jeden Fall musste man dort als Mitglied höllisch aufpassen, nicht von falsch gesetzten Buchstaben erschlagen oder von avancierteren Mitstreitern ausgeschlossen zu werden. Geschichte ist beides, und beides eigentlich ziemlich lustig – zu sehen und zu lesen.

 

Dieter Wenk

 

Das Stacheltier, DDR 1953-64, verschiedene Regisseure, 14-tägig