Skandal
Eine Kurzgeschichte von Tom Torn
Ins Deutsche übersetzt von Ute Paulsen
„Du bist ein verdammter Kinderficker.“
„Sie verstehen da was falsch.“
„Was soll ich da falsch verstehen. Ist dir eigentlich klar, dass wir deinen scheiß Rechner beschlagnahmt haben.“
„Ich weiß.“
„Und?“
„Ich habe immerhin die Polizei informiert. Ich habe mich selbst angezeigt.“
„Ja, weil du ein verdammter Irrer bist.“
Carl Land konnte das Blut in seinem Kopf rauschen hören. Warum musste er sich eigentlich eine solche Scheiße anhören? Er sollte den Kleinen einfach umlegen und allen wäre geholfen.
„Also noch einmal“, sagte Land. „Name?“
„Oliver Pitkin.“
„Mensch Pitkin, du Stück Scheiße, du Homo.“ Land spuckte ihm die Worte ins Gesicht und drehte sich weg. „Irgendwoher kenne ich dich.“
„Klar kennen Sie mich.“
„Und woher?“
Pitkin begann seine Hände, so gut es die Handschellen zuließen, zu drehen und streckte dabei seine Zunge raus. „Na?“, grinste er. „Haben Sie mich erkannt?“
„Ich sag es ja. Du bist ein Irrer.“
„Nein, ich bin es. Der kleine Joe aus ,Joe macht Dummheiten’. Sie müssen mich doch kennen. Haben Sie nie ,Joe macht Dummheiten’ geguckt?“
Land schielte den Irren an. Er drehte den Kopf zur einen Seite und dann zur anderen Seite.
„Könnte sein“, sagte Land.
„Könnte nicht nur so sein. Ist so.“ Er streckte wieder seine Zunge raus.
„Und was soll das mit den verdammten Kinderfickerfotos auf deinem Rechner zu tun haben? Dass dir Fernsehen nicht bekommen ist …?“ Land dachte daran, eine Zigarette zu rauchen.
„Sie sollten auf jeden Fall ein paar Zeitungen benachrichtigen.“ Pitkin strahlte ihn freudig erregt an.
Der Kleine ist wirklich durchgeknallt, dachte Land. Ich sollte ihm ein paar Ohrfeigen geben. Wenn der sich wegen Polizeigewalt beschwert, hört ihm eh keiner zu. Land holte aus und scheuerte dem Kleinen eine.
„Nicht so grob.“ Pitkins Gesicht war puterrot angelaufen.
Die Farbe steht im gut, dachte Land.
„Du willst es nicht begreifen. Wir lassen jetzt ein schönes Geständnis aufsetzen. Und dann kannst du zurück in deine Zelle, du Stück Scheiße.“
„Aber wollen Sie denn nicht die Wahrheit wissen?“ Pitkin hatte die Zunge ein Stück rausgestreckt.
„Lass nur deine verfluchte Zunge drin. Und was soll das überhaupt? Wahrheit? Die haben wir doch längst.“
„Oho. Die haben Sie. So? Nein, die haben Sie nicht. Aber ich werde sie Ihnen verraten.“
„Und warum ausgerechnet mir?“
„Weil es jemand wissen soll, bevor ich in den Knast gehe. Die Wahrheit muss Sie auch nicht sonderlich belasten. Vergessen Sie einfach alles wieder. Hören Sie zu und vergessen Sie es.“
Land kramte in seiner Hose nach einem Päckchen Zigaretten. Er fand keine. Stattdessen hatte er einen Zahnstocher in der Hand. Kam der halt in den Mund.
„Na, dann erzähl mal“, knurrte Land.
„Ob Sie es glauben oder nicht: Ich bin unschuldig. Unschuldig wie das kleinste Baby.“
„Lass lieber diese Vergleiche.“
Pitkin räusperte sich. „Gut. Kann sie natürlich lassen. Auch wenn sie stimmen.“
„Und warum stimmen sie?“ Land war langsam genervt.
„Sie stimmen halt. Wissen Sie, ich war früher das, was man einen Kinderstar nennt. Es war eine herrliche Zeit. Alle kümmerten sich um mich. Ich stand immer im Mittelpunkt.“
„Bald stehst du wieder im Mittelpunkt.“
„Darum geht es ja“, strahlte Pitkin.
Land runzelte die Stirn. „Worum geht es?“
„Sehen Sie, die Zeiten sind hart geworden. Ich habe mit allerlei Skandalen versucht, auf mich aufmerksam zu machen. Aber es hat niemanden interessiert. Ich habe mich beim Drogenkonsum ablichten lassen, ich habe Bordelle besucht und auf Gott geschimpft. Gut. Das gab immer ein paar kleine Geschichten. Aber mehr war es nicht. Ich habe kaum noch Geld. Ich weiß nicht, wie ich überleben soll. Und da bin ich auf die Idee mit den Pornobildern gekommen. Und weil ich nicht warten kann, bis mich eine virtuelle Streife verhaften kommt, habe ich mich halt selbst angezeigt.“
Land stand mit offenem Mund da. Das schlug dem Fass ja nun wirklich den Boden aus. Das hatte er bisher noch nicht gehört. Der Typ war wirklich mit allen Wassern gewaschen.
„Gott, Junge, was für eine Geschichte. Du bist ja noch irrer, als ich geglaubt habe.“
„Denken Sie, was Sie wollen“, grummelte Pitkin. „Es ist so. Ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht.“
Land dachte nach.
„Na, wenn das so ist, dann könnte ich dich ja eigentlich laufen lassen. Ich spreche mit den anderen Jungs. Der Rechner landet einfach im Hudson. Und du bist draußen. Keine Aufmerksamkeit.“ Land fegte mit der geraden Hand einmal horizontal durch die Luft. „Dann bleibt nichts. Du bist einfach aus dem Geschäft.“
„Das sollten Sie nicht tun.“
„Warum?“, fragte Land.
„Wegen meines Folgeplans. Deshalb.“ Pitkin zog die Augenbrauen nach oben.
„Und wie sieht dein Folgeplan aus?“
„Ich besorg mir ein scheiß Maschinengewehr und laufe hier in der Wache ein. Und dann mähe ich euch alle um. Was meinen Sie, was ich dann erst für eine Aufmerksamkeit habe.“
„Das würdest du tun?“
„Das würde ich tun.“ Pitkin nickte Land zu.
„Du bist ein echter Bastard, was?“
„Nein“, lachte Pitkin auf. „Nur ein Star, den man vergessen hat.“
„Also soll ich die Geschichte einfach vergessen und dich für die Pornobilder einlochen lassen? Kann ich machen. Das wird eine harte Zeit für dich im Knast werden. Die mögen dort keine Kinderficker.“
„Hab ich schon gehört.“ Pitkin grinste immer noch.
„Und das schreckt dich nicht?“
„Schreckt mich schon. Aber man muss für die Kunst und den Ruhm leiden können.“
„Na, dann soll es so sein.“ Land setzte sich auf den Tisch neben ihn. Blitzartig fuhr seine Hand in den Nacken von Pitkin und schlug seinen Kopf auf die Tischplatte. Pitkin stöhnte dumpf auf.
„Schon genug gelitten?“, fragte Land.
Auf dem Tisch lagen einige Zähne von Pitkin. Er grinste Land mit dem blutverschmierten Mund an.
„Ich will meinen Ruhm“, ächzte er.
„Du bist ein verdammtes Arschloch. Und ich muss dich drankriegen. So oder so. Wie soll ich wissen, ob deine Geschichte stimmt. Am Ende zählen nur die Beweise.“
Land ging zur Tür und drückte einen Knopf. Er ließ Pitkin abholen und sein Geständnis aufnehmen.
Er fragte später den zuständigen Polizisten: „Hat er dir irgendetwas erzählt. Davon, dass er mal Kinderstar war?“
„Nein, hat er nicht“, sagte der Polizist. „Hätte er da was sagen sollen?“
„Ich glaube, es wäre mir lieber gewesen“, sagte Land. Dann suchte er in seinen Taschen nach Zigaretten. Das Einzige, was er fand, war ein Zahnstocher. Er steckte ihn sich in den Mund und machte Feierabend.
Tom Torn: Der gute Polizist, Roman, 278 Seiten, Kuratowski Verlag 2009
Ein aktuelles Interview mit Tom Torn lesen Sie hier >>
Lesen Sie hier die Rezension zu Tom Torns neuem Roman "Der gute Polizist" >>